Neukonzeption der Wehrmachtsausstellung

Ein bisschen Krieg

Die Neukonzeption der Wehrmachtsausstellung dekonstruiert den deutschen Vernichtungskrieg.

Nur eine Woche nach der Vorstellung des Berichts der unabhängigen Historikerkommission zur Wehrmachtsausstellung stellte der Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, die Neukonzeption der Ausstellung vor. Zwar hatte die Historikerkommission den mangelnden wissenschaftlichen Ehrgeiz der Ausstellung - und damit ihres Machers Hannes Heer - getadelt, aber lediglich zwei Richtigstellungen empfohlen. Zwei Bilder konnten eindeutig als Aufnahmen von Opfern des sowjetischen NKWD identifiziert werden. Trotz dieses Ergebnisses setzt die offenbar parallel zur Arbeit der Kommission begonnene Neukonzeption auf eine andere Ausstellung.

Womit natürlich die Frage aufgeworfen ist, wozu die mit angesehenen Historikerinnen und Historikern besetzte Kommission eigentlich dienen sollte. Eine Begründung für die endgültige Schließung der alten und der Konzeption einer völlig anderen Ausstellung gibt ihr Bericht eben nicht her, er ist zu Recht als »Ehrenrettung« für die alten Ausstellungsmacher um Heer gewertet worden. Allerdings hätte jedes andere Ergebnis der Kommission auch überraschen müssen. Dass die Kritik an der alten Wehrmachtsausstellung revisionistisch motiviert war, ist kein Geheimnis. Der Historiker Bogdan Musial ging so weit, den Juden in der Westukraine eine Mitverantwortung für ihre Ermordung durch Wehrmachtseinheiten zuzuschreiben; diese sei eine Reaktion auf die Massaker des NKWD an polnischen und ukrainischen Nationalisten gewesen, deren Massengräber von den einmarschierenden deutschen Truppen entdeckt worden seien.

Die Entscheidung für eine neue Ausstellung hat also weniger mit den Resultaten der Historikerkommission zu tun, umso mehr aber mit einer anderen Interpretation des Vernichtungskriegs, wie sie sich in den vergangenen Jahren herausgebildet hat. Zentral für diese Interpretation ist die vermeintliche Entideologisierung der Geschichte. »Ein besonders wichtiger Diskussionspunkt und Ort des Missverständnisses war die Frage der Bedeutung des Wortes ðVerbrechenЫ, schreibt Reemtsma jetzt über die bisherige Ausstellung. »Es entstand immer wieder der Eindruck, die Ausstellung stelle sich gleichsam auf ein Plateau avancierter Zivilität und blicke hinab in eine archaische Zeit, in der keine Regeln gegolten hätten.« Tatsächlich war dieser Blick, der sich der Rationalisierung der barbarischen Elemente des deutschen Vernichtungskrieges verweigerte, einer der wenigen positiven Aspekte der Wehrmachtsausstellung und die Grundbedingung ihrer polarisierenden Wirkung.

Das soll nun anders werden: »Die Neufassung der Ausstellung muss darlegen, wie die zeitgenössischen Gesetze und Gewohnheiten waren und sie mit Befehlen und Verordnungen konfrontieren, die diese außer Kraft setzten und so Befehlssituationen und Handlungsspielräume eröffneten, in denen jene Destruktivität freigesetzt wurde, die für den Vernichtungskrieg kennzeichnend war.« Dass dieser Vernichtungskrieg sich auch ohne die Berücksichtigung der damaligen Rechtsnormen als solcher bezeichnen lässt und die Befehle und Verordnungen nur die eine Seite der »Destruktivität« waren und die ideologische Aufladung zum »Rassenkrieg« die andere - davon will die neue Verbrechensausstellung nichts mehr wissen. Die Rationalisierung ist hier schon vorauseilender Gehorsam, die These ist samt ihren Auslassungen gleichsam schon formuliert, bevor ihr Gegenstand genannt wird, bei Reemtsma ganz am Ende des Satzes: der Vernichtungskrieg.

Der Gesamtkomplex soll zugunsten der »Dimensionen der unterschiedlichen Verbrechen« dekonstruiert werden. »Das gibt Raum zu der nötigen Differenzierung, mit der die Interdependenz von Intentionalität und situativer Dynamik dargestellt werden sollte.« Das versteht sogar Christian Semler von der taz: »Das betrifft auch die Wechselwirkung zwischen NKWD-Verbrechen, Pogromen der Bevölkerung an Juden und den Mordaktionen der Deutschen in der (heutigen) westlichen Ukraine.«

Sollte Musial nach dem Bericht der Historikerkommission verstimmt gewesen sein, der Neuanfang dürfte ihn mit der Ausstellung versöhnt haben. Die »Interdependenz von Intentionalität und situativer Dynamik« schafft den Raum für jene Differenzierung, in der - ganz objektiv - untersucht werden kann, ob nicht doch die eine oder andere Mordaktion von der Haager Landkriegskonvention gedeckt war, so dass man nicht mehr generell von einem Vernichtungskrieg sprechen könne, sondern nur noch von Anteilen.

»Es werden den einzelnen Verbrechenstypen einzelne Kapitel bzw. Räume gewidmet werden: Völkermord, Hungerpolitik, Partisanenkrieg, Kriegsgefangene, Repressalien, Deportationen. Thematische Überschneidungen zeigen die Gesamtdynamik des Vernichtungskrieges.« Nicht die Gesamtdynamik soll anhand einzelner Kapitel nachvollziehbar werden - wie in der alten Ausstellung -, vielmehr soll die positivistische Zergliederung des Vernichtungskrieges nur dort ausgesetzt werden, wo »thematische Überschneidungen« dies erzwingen. Ins Auge springt der Begriff »Partisanenkrieg«; die Wehrmacht hat bekanntlich keinen solchen geführt, sondern ihre Gegner. Dass auch die Repressalien in der Aufzählung genannt werden, heißt außerdem, dass die deutsche Reaktion auf den Partisanenkrieg nicht gemeint sein kann. Offenbar soll der Wehrmacht damit bescheinigt werden, nicht nur sie habe Verbrechen begangen.

Ziemlich einhellig lobt die Presse, dass die »Neukonzeption« an der angeblich ursprünglichen Aussage der alten Ausstellung festhalte. Das Ausstellungskonzept, so betont die FAZ, »rechnet - anders als das alte - mit den ungläubigen oder unmutigen Besuchern, die nicht fassen können, was in der Wissenschaft seit den Nürnberger Prozessen bekannt ist: dass die Wehrmacht und ihre Institutionen ihre Ehre verloren und sich schlimmster Bluttaten schuldig gemacht haben.« So funktioniert die Revision der Geschichte: Die alte Ausstellung behauptete schließlich nicht einfach nur, dass die Wehrmacht ihre »Ehre« verloren und selbst Verbrechen begangen haben, ebenso wenig wie das Nürnberger Tribunal. Statt dessen wurde hier wie dort festgestellt, dass die Wehrmacht insgesamt als verbrecherische Organisation gehandelt habe, dass also der Vernichtungskrieg kein Nebenprodukt irgendwelcher Dynamiken ist, sondern Mittel und Zweck zugleich für das nationalsozialistische Deutschland.