»Ein Verhältnis von Herr zu Diener«

Ein Gespräch mit dem kroatischen Wirtschaftswissenschaftler horvat branko

Die Europäische Union hat auf ihrem Gipfel in Zagreb die rasche Durchsetzung marktwirtschaftlicher Reformen verlangt. Welche Erfahrungen hat man in Kroatien bislang mit der Privatisierung gemacht?

Schon im sozialistischen Jugoslawien hatte die Privatwirtschaft einen größeren Umfang als in den meisten westeuropäischen Ländern. Bereits in den fünfziger Jahren wurden alle Unternehmen, die bis dahin in staatlicher Hand waren, privatisiert und den Beschäftigten zur Selbstverwaltung übergeben. Diese konnten anschließend über die Arbeitsbedingungen und die Gewinnverteilung in ihren Unternehmen entscheiden. Als Anfang der neunziger Jahren die damalige Regierung erklärte, sie wolle die Wirtschaft wieder privatisieren, bedeutete dies eine Rückkehr in längst vergangene Zeiten.

Wie gingen die Privatisierungen konkret vonstatten?

Erst seit der Wahlniederlage der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) Franjo Tudjmans und dem Regierungswechsel Anfang des Jahres ist wirklich bekannt, wie die Privatisierungen zustande kamen. Die Unternehmen wurden nach Kriterien, über die alleine die HDZ entschied, an Personen übergeben, die der Partei nahe standen. In vielen Fällen haben die neuen Inhaber für wertvolle Unternehmen entweder einen symbolischen oder gar keinen Betrag bezahlen müssen. Zudem haben sich die neuen Besitzer weder um die Produktion noch um die Beschäftigten gekümmert. Ihre Sorge galt nur der Frage, wie sie das Kapital dieser Unternehmen auf ausländische Privatkonten transferieren konnten. Ein großer Teil dieser Gelder landete schließlich in Deutschland.

Gibt es abgesehen von der Korruption noch weitere strukturelle Probleme bei der Transformation in die Marktwirtschaft?

Vor allem der Umgang mit den Großbetrieben erweist sich als sehr problematisch. Diese haben im alten Jugoslawien für einen wesentlich größeren Binnenmarkt produziert als heute. Für die Firmeninhaber ist es sehr schwierig, einen Käufer zu finden. Um die Unternehmen überhaupt verkaufen zu können, wurden sie schon in bis zu zwanzig einzelne Betriebe aufgeteilt. Dabei wird allerdings die Tatsache missachtet, dass viele dieser neuen Betriebe alleine gar nicht funktionsfähig sind.

Welche Rolle spielen ausländische Investitionen in Kroatien?

Das Vermögen der Beschäftigten und der Bürger wird an die ausländischen Investoren verschleudert. Diese übernehmen vor allem diejenigen Unternehmen, die für die Infrastruktur des Landes wichtig sind, wie z.B. Telekommunikation, Post oder Energie.In Kroatien spielt sich der gleiche Vorgang ab wie in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung. So wie damals westdeutsche Unternehmer kaufen heute ausländische Firmen die einheimischen Betriebe auf. Anschließend legen sie die Produktion still, um die Konkurrenten auf dem Binnenmarkt zu beseitigen.

Das heißt, an der Privatisierung haben sich vor allem deutsche Konzerne beteiligt?

Ein großer Teil kroatischer Banken befindet sich heute im Besitz von westeuropäischen Finanzinstituten, insbesondere von deutschen Banken. Eine wichtige Rolle spielt auch die Deutsche Telekom, die heute über mehr als fünfzig Prozent der Anteilsrechte an der Kroatischen Post und dem Telekommunikationsunternehmen HPT verfügt. Nach dem Konkurs von HPT hatten die Skandinavier ein sehr günstiges Angebot gemacht - überraschenderweise hat sich die zuständige Kommission jedoch für die Telekom entschieden. Vor kurzem hat sich dann herausgestellt, dass die Deutschen eine hohe Bestechungssumme an die Kommission bezahlt haben. Diese Summe floss an die HDZ weiter.

Der strikte marktwirtschaftliche Kurs, den die EU jetzt einfordert, ist seit der Unabhängigkeit die Maxime aller kroatischen Regierungen gewesen. Gab es Erfolge?

Die kroatische Wirtschaft durchlitt Anfang der neunziger Jahre - bedingt durch den Krieg und den Verlust der jugoslawischen Märkte - eine Hyperinflation. Diese Krise konnte durch ein Stabilisierungsprogramm, das in Absprache mit dem Internationalen Währungsfonds zustande kam, 1993 überwunden werden. Außerdem gelang es der kroatischen Nationalbank, den Kuna zu stabilisieren, indem sie den Geldzufluss drastisch reduzierte. Die Preise stiegen nicht mehr, und der IWF war zufrieden.

Doch seitdem erleben wir in Kroatien einen systematischen Rückzug des Staates aus der Wirtschaft. Begründet wird diese Haltung mit der neoklassischen Doktrin, die monetaristische Finanzpolitik hat absoluten Vorrang vor staatlich gesteuerten Entwicklungsprogrammen. Die kroatische Regierung richtete ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Preisstabilität. Die Folgen sind katastrophal. Nahezu jedes zweite Unternehmen ist heute überschuldet und steht kurz vor dem Bankrott.

Welche sozialen Folgen hatte diese Politik?

Kroatien hat heute eine offizielle Arbeitslosenquote von 22 Prozent, die tatsächliche Arbeitslosigkeit liegt jedoch weit höher. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Eine Mittelschicht existiert nicht mehr, die Lebensqualität hat sich in jeder Hinsicht verschlechtert. Untersuchungen zufolge ist die Lebenserwartung der Kroaten heute im Durchschnitt um zehn Jahre geringer als in Westeuropa.

Kann die neue Regierungskoalition diese Probleme lösen?

Die Probleme sind nicht in erster Linie ökonomischer, sondern politischer Natur. Die neue Regierung verfolgt jedoch die gleiche Politik wie die HDZ. Erst kürzlich hat der stellvertretende Ministerpräsident den Konkurs unrentabler Unternehmen angekündigt, was eine weitere Verschlechterung der sozialen Lage bedeutete.

Um seine ökonomische Lage zu verbessern, hat Kroatien also gar keine andere Wahl, als auf das Ausland zu setzen und die Integration in die EU zu forcieren.

Kroatien kann heute nicht nach Westeuropa oder auf den Weltmarkt exportieren, aber sehr wohl auf dem Balkan. Dies gilt auch für die Nachbarländer. Aber die Bemühungen der kroatischen Politiker gehen nicht in diese Richtung. Ihr Hauptziel ist die Mitgliedschaft in der Nato und die Integration in die EU.

Der freie Handel hat aber nur bei gleich entwickelten Wirtschaften oder Partnern einen Sinn. Wenn Daimler und Chrysler eine Fusion machen, dann ist das ein Geschäft zwischen gleich starken Partnern. Wenn aber Daimler nach Kroatien oder Bosnien-Herzegowina kommt, dann ist das ein Verhältnis von Herr zu Diener.

Branko Horvat lehrte als Professor für Ökonomie an den Universitäten in Belgrad und Zagreb. Heute lebt er in Zagreb und ist als Berater des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) tätig.