EU und USA streiten um die Vormacht auf dem Balkan

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Die vom ehemaligen US-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski entwickelte Doktrin, wonach die Führungsrolle der USA in Europa nur durch ihre Vormachtstellung innerhalb der Nato gesichert werden könne, trifft immer noch zu. Auch wenn die konservative Rechte in den Vereinigten Staaten es gerne sähe, wenn die Europäer und nicht die amerikanischen Steuerzahler für ihre Verteidigungskosten aufkämen, unterstützte sie voriges Jahr dennoch den Kosovokrieg. Deshalb dürfte auch die Forderung von George W. Bush, die rund 13 000 auf dem Balkan stationierten US-Soldaten abzuziehen, keine guten Chancen haben.

Sollte Europa es aber tatsächlich schaffen, sich unter einem Banner zu vereinen - militärisch wie ökonomisch -, dann stünde auch das Primat der USA auf dem Alten Kontinent in Frage. Dazu müssten EU und WEU die Nato nicht einmal zerschlagen, würde doch von der »gemeinsamen Verteidigungsidentität«, wie sie in der jetzt installierten Schnellen Eingreiftruppe skizziert ist, die Führungsrolle der USA innerhalb der Nato desavouiert.

Jene Republikaner, die im Kongress gegen die weitere Stationierung von Streitkräften in Bosnien und im Kosovo votieren, könnten so in ihrer Haltung gestärkt werden. Damit die Nato ihre hegemoniale Stellung nicht verliert, muss auch eine konservative Regierung in Washington der möglichen strategischen Autonomie der Europäer zuvorkommen, indem sie das Unabhängigkeitsstreben Frankreichs zurückdrängt, Deutschland am Rande hält und sich gegen die Aufnahme Russlands stellt.

Der Charakter des Regimes, das der potenzielle neue Hegemon EU - jene Clique aus Zentralbankchef und korrupten Brüsseler Kommissaren also - auf dem Balkan installieren will, wird sich freilich nicht ändern. Die neue Regierung in Belgrad hat nur die freie Wahl zwischen unterschiedlichen Protektoren.

Aus dieser Warte muss auch der so genannte Integrationsprozess betrachtet werden, den die EU in Zagreb eröffnet hat. Der Transfer von einigen Milliarden Euro wird die vorherrschende Verwaltung der Armut und des sozialen Zerfalls nicht ändern können. Das Verfahren erinnert an die Vorgehensweise der USA bei der Gründung der nordamerikanischen Freihandelszone Nafta. Jugoslawien und die meisten anderen ost- und südosteuropäischen Staaten werden zu Rohstofflieferanten degradiert und müssen für die Defekte des globalen Kapitalismus geradestehen. Nach dem Gipfel von Zagreb bleibt nur noch die Frage, welche Gegenleistungen die EU für die 4,6 Milliarden Euro erwartet.

Die Antwort ist klar: Die Liberalisierung der Märkte von Skopje bis Zagreb ist die Voraussetzung dafür, dass die Kapitalflüsse aus dem Norden Europas in den Süden überhaupt beginnen. Begünstigungen für inländische Unternehmen müssen gestrichen werden. Die Entfesselung des Marktes ist in Serbien schon jetzt verbunden mit der Zerschlagung der letzten unabhängigen Gewerkschaften. Die neoliberale G-17-Gruppe, die die jugoslawische Regierung unter Vojislav Kostunica berät, leistet dabei gute Dienste. Wenn nach Weihnachten auch in Serbien die neue Administration im Amt ist, werden weitere Syndikalisten die Erfahrungen teilen, die Aktivisten der Gewerkschaft Nezvisnost bereits in den letzten Wochen sammeln durften: Viele von ihnen wurden verprügelt, sodass der Widerstand gegen die Entscheidungen der neu installierten Unternehmenschefs gebrochen werden konnte. Marktkonforme Gesetze werden ein Übriges tun, den Übergang der Balkanstaaten in die Eurozone zu erleichtern - nach den Regeln der WTO.

Haben Ost- und Südosteuropa also eine Chance? Noam Chomsky formulierte es einmal so: »Die Aussichten auf ein Überleben an der Peripherie hängen vom Ausmaß der Dissidenz in den imperialen Staaten ab.« Ich würde hinzufügen: und vom Ausmaß der Dissidenz an der Peripherie der globalen Ökonomie.

Andrej Grubacic ist Historiker und lebt in Belgrad.