Tod eines Neonazis in Sachsen

Attacke mit Folgen

Um sich selbst zu verteidigen, griff im sächsischen Bernsdorf ein junger Vietnamese zum Messer und erstach einen Skin. Die meisten Landsleute des 15jährigen haben die Stadt bereits verlassen.

Weihnachtsmärkte gehören momentan ins Bild jeder deutschen Klein- und Großstadt. Auch in Sachsen. Und so obligatorisch wie Lebkuchenherzen, Tombolas und Luftgewehrschießen sind im Osten auch die Gruppen kurzgeschorener Jungmänner, die sich hier aufhalten. Die meisten öffentlichen Räume in sächsischen Städten werden von rechten Jugendlichen besetzt - das ist schon seit Jahren Alltag, sei es in Hoyerswerda, Kittlitz, Bautzen, Pirna oder Chemnitz. Oder in Bernsdorf.

Diejenigen, die nicht ins rechte Weltbild passen, haben ihre Lebensgewohnheiten längst danach ausgerichtet. Flüchtlinge vermeiden es, nach Einbruch der Dunkelheit alleine Straßenbahn zu fahren; in Kittlitz treffen sich nicht-rechte Jugendliche nur noch privat in Hinterzimmern und Schuppen; in Pirna soll eine Security-Firma bei den wenigen alternativen Parties im städtischen Jugendfreizeitzentrum dafür sorgen, dass sich die Provokationen der White Warriors aus Sebnitz oder der Skinheads Sächsische Schweiz in Grenzen halten.

Aber manchmal haben MigrantInnen, Flüchtlinge oder nicht-rechte Jugendliche keine Wahl und keine Chance, dem rechten Alltagsterror aus dem Weg zu gehen. So wie der 15jährige Vietnamese Thung D. in Bernsdorf am vorletzten Wochenende, als eine 20köpfige Gruppe randalierender und grölender Skins über den Weihnachtsmarkt der sächsischen Kleinstadt zwischen Hoyerswerda und Kamenz zog. Als mindestens drei Männer aus der Gruppe den letzten Stand der Bernsdorfer Händler erreicht hatten, wo die vietnamesische Familie Glühwein ausschenkte, attackierten sie den Stand, brüllten rassistische Parolen und schmissen die Warenauslage um.

Was dann passierte, stellt sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wie folgt dar: Der vietnamesische Schüler sei nach dem Übergriff nach Hause gegangen, habe zwei Messer geholt und sei dann zum Markt zurückgekehrt. Dort traf er auf den 21jährigen Matthias Förster und den 22jährigen Rene H. und stach ihnen in den Bauch. Während Matthias Förster an den Folgen der Verletzungen starb, überlebte René H. schwerverletzt. Kurze Zeit später wurde der vietnamesische Schüler festgenommen; seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft. Der Vorwurf lautet u.a. auf Totschlag. Thung D. bestritt bei den Vernehmungen eine Tötungsabsicht.

Seitdem hat die Skinszene in der sächsischen Oberlausitz einen neuen Märtyrer. Und der wird gefeiert. Auf der Hauptstraße, wo der 21jährige »nur für Deutschland« starb, soll ein Holzkreuz aufgestellt werden. Am vergangenen Samstag versammelten sich trotz Schneeregens rund 300 schwarz uniformierte Neonazis und rechtsextreme Skinheads zur Beerdigung von Matthias Förster, dessen Vater nach Informationen regionaler Antifagruppen als Delegierter bei einem NPD-Parteitag aufgetreten sein soll. Unter den Teilnehmern des Gedenkmarsches befanden sich neben Vertretern der Kittlitzer Kameradschaft Odins Legion und dem ehemaligen Vorsitzenden der rechtsextremen Jungen Landsmannschaft Ostpreußen, Alexander Kleber, vor allem organisierte Rechte aus Bautzen, Dresden und Hoyerswerda.

Kränze vom Nationalen Widerstand Bernsdorf und mehreren regionalen Kameradschaften sowie lautstarke Unmutsäußerungen während einer zu Toleranz mahnenden Trauerpredigt sorgten für die rechte Stimmung auf dem Bernsdorfer Friedhof. Aufnäher mit »White Pride« und »White Power«-Parolen, Mützen mit »88«-Aufdrucken und schwarze Mäntel in SA-Manier sorgten für eine Atmosphäre, die Augenzeugen an »nationalsozialistische Aufmärsche aus den Dreißigern« erinnerte. Die Polizei hielt sich auffallend zurück.

Auf deren Schutz wollen sich die potenziellen Opfer im PDS-regierten Bernsdorf lieber nicht verlassen. Mehrere vietnamesische Familien, darunter die Familie des vietnamesischen Schülers Thung, haben ihre Kinder von den Schulen abgemeldet, Geschäfte und Läden geschlossen und sich bei Verwandten in größeren Städten in Sicherheit gebracht.

Sie wissen, was Lokalpolitiker - von CDU und SPD bis hin zur PDS - gerne verschweigen und regionale Medien nur selten berichten: dass die Oberlausitz seit Jahren zu den rechten Hochburgen gehört. Zunächst etablierte Mitte der neunziger Jahre der Berliner Neonazi Frank Schwerdt mit seinem Verein Die Nationalen unweit von Bernsdorf in Weißwasser, Nisky und Umgebung das Junge Nationale Spektrum. Nach der Selbstauflösung der Nationalen, die damit einem staatlichen Verbot zuvorkommen wollten, folgten dann die Gründungen von JN- und NPD-Stützpunkten.

Deren Sympathisanten sorgten immer wieder für Schlagzeilen, zum Beispiel mit einem Überfall von acht Naziskins auf die Wohnung von linken Jugendlichen nach einer NPD-Veranstaltung in Weißwasser am 31. Januar 1998. In den Wohnungen der Angreifer aus dem ostsächsischen Rothenburg fand die Polizei neben Baseball- und Totschlägern auch NPD-Mitgliedsausweise. Und auch nach einem Brandanschlag auf ein Flüchtlingswohnheim in Kamenz stießen die Ermittler bei den mutmaßlichen Tätern auf Verbindungen zur JN.

Doch dem »Aufbau Ost« der rechtsextremen Strukturen schadete das keineswegs; 25 Kreisverbände zählt die NPD in Sachsen inzwischen. Im Frühsommer gründete sich beispielsweise in Bautzen ein Kreisverband der NPD unter der Führung des 20jährigen Henry Loos. Und in Kittlitz hält die Gemeindeverwaltung seit Jahren ihre schützende Hand über den Jugendclub »Glossen«, der als Treffpunkt für die Kameradschaft Odins Legion dient. Deren Mitglieder behaupteten ihre Hegemonie immer wieder durch Angriffe auf nicht-rechte Jugendliche. Zuletzt geriet der Club Anfang Dezember bundesweit in die Medien, als bei der Auflösung eines Rechtsrock-Konzerts mit rund 180 Teilnehmern mehrere Polizeibeamte verletzt wurden.

MigrantInnen und Flüchtlinge sind in der Region zwischen Hoyerswerda und Kamenz kaum noch vertreten. Nach dem Pogrom gegen mosambikanische VertragsarbeiterInnen und Flüchtlinge in Hoyerswerda im September 1991 gibt es heute unter den 50 000 Einwohnern nur noch ca. 200 MigrantInnen. Je größer der zeitliche Abstand zu den Jagdszenen von 1991 geworden ist, desto hartnäckiger betreiben Lokalmedien und Kommunalpolitiker Legendenbildung. Städte wie Hoyerswerda seien »Opfer der Medienhetze« geworden, lautete schon vor der Berichterstattung über Sebnitz der gängige Konsens in der Region.

Und auch in Bernsdorf, wo der Weihnachtsmarkt erst einmal beendet wurde, hofft man auf eine schnelle Wiederherstellung von »Recht und Ordnung«. Die Frage nach den Ursachen für die Angst, Ohnmacht und Verzweiflung, die den 15jährigen Thung zum Messer greifen ließen, will hier kaum jemand stellen oder gar beantworten.