Luxemburg-Liebknecht-Demo

Karneval der Ostkulturen

Bei der jährlichen Luxemburg-Liebknecht-Demo gehen Stasis und Antifas Hand in Hand. Und das nur, weil 1992 ein paar Wessis den großen Lenin schleiften.
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Es begann mit einer »Demütigung der Verlierer«: Die ostdeutsche Firma Naturstein Vertrieb in Berlin GmbH aus Marzahn musste passen. Nachdem es Ende November 1991 den Kopf des 19 Meter hohen Lenin-Denkmals aus rotem Granit demontiert hatte, scheiterte das Ost-Unternehmen am harten Betonkern der Statue am damaligen Leninplatz. Eine West-Firma musste übernehmen und schleifte schließlich das Denkmal.

Gegen den Abriss des Riesenlenins protestierte damals neben Bürgerrechtlern, Denkmalschützern und Grünen auch eine Anwohnerinitiative aus Walter Ulbrichts früherer Mustersiedlung rund um den Leninplatz. Unter der Leitung ehemaliger ranghoher Stasi-Aktivisten organisierte sie schließlich erstmals - gleichzeitig mit der traditionellen Luxemburg-Liebknecht-Ehrung in Friedrichsfelde - eine Demonstration vom Leninplatz zur Gedenkstätte der Sozialisten. Auf einem Wagen führte man 1992 wie bei einem religiösen Totenritual Stücke des in Demontage befindlichen Lenindenkmals mit. In der ersten Reihe und als Ordner: alte Stasi-Funktionäre und ein ehemaliger Sicherheitstrupp der FDJ.

Dieselben Gestalten fungieren heute noch immer als Organisatoren der Demonstration und als Sprecher des Demo-Bündnisses, an dem inzwischen Gruppen und Parteien von PDS über DKP, MLPD und FDJ bis zur Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) teilnehmen. Der Großteil der jährlich aufmarschierenden Demonstranten besteht aus Oldschool-Kommunisten, deren Betonköpfe ohne weiteres mit der alten Leninstatue konkurrieren können.

Fahnen, Trommeln und Schalmeien dürfen niemals fehlen. Es wird der DDR hinterhergetrauert: Lenin, dem Lenindenkmal - und überhaupt der ganzen autoritären Abteilung linker Arbeitergeschichte. Jede Menge Verrückte tummeln sich da. So wurden gar Aktivisten der FAU/AP gesichtet, die Solidaritätsschreiben für Erich Mielke auslegte. Auch die rot-braune Querfront-Zeitung Sleipnir baute schon mal einen Infotisch auf.

Im letzten Jahr musste die LL-Ehrung um eine Woche verschoben werden, nachdem ein gewisser Olaf Staps großmäulig mit Attentaten auf die Kundgebung gedroht hatte. Staps war danach von Medien und LL-Organisatoren zum irren Monstrum aufgebaut worden, bei dem man mit dem Schlimmsten rechnen müsse. Ende Dezember nahm man ihn nun ganz unspektakulär in einer Kneipe mitten in Friedrichshain friedlich am Tresen sitzend fest. Es passt zum Charakter der LL-Veranstaltung, dass Staps ausgerechnet durch die Denunziation eifriger Bürger an die Polizei ausgeliefert wurde und die Organisatoren das ausdrücklich begrüßten. Und es fanden sich weder Bomben noch Waffenlager bei der Hausdurchsuchung in der WG, in der Staps seit April lebt.

Um sich von dem sibirischen Flair des Marschs der Kalten Körper ein wenig abzugrenzen, ruft die AAB seit 1996 zu einem eigenständigen Antifa-Block auf. Mit dem medienwirksamen Schaulauf will sie ihren revolutionären Anspruch zum Ausdruck bringen. Das ist auch bitter nötig, nachdem sich im Sommer die Anti-Nazi-Politik, durch welche die Antifa bisher glänzte, als kompatibel mit den Staatsinteressen erwiesen hat. Auf der Suche nach neuen, systemantagonistischen Ansätzen hatte sich die AAB im Oktober am Thema Rassismus versucht und eine Demo gegen die NPD-Zentrale am Abschiebeknast in Grünau vorbeigeführt.

Doch diese erfreulichen Ansätze sind längst nicht in allen Antifa-Kreisen akzeptiert. Bei einem Strategietreffen letztes Jahr in Leipzig - dem so genannten Verstärkerkongress - dominierte vielmehr die Ansicht, dass man dann revolutionär antifaschistisch wirke, wenn man antikapitalistisch sei. Alles andere sei »intellektuelle Hirnwichse«. Die Frage nach der antikapitalistischen Praxis wurde jedoch nicht einmal gestellt.

Auch in dem aktuellen Aufruf der AAB wird Faschismus vor allem als Krisenoption des Kapitalismus thematisiert. Und das, obwohl in dem Text zugleich festgestellt wird, dass »Nazis für die bundesrepublikanische Gesellschaft« derzeit eben keine »Krisenoption im faschistischen Sinne« sind. Es dürfte auch durchaus fraglich sein, ob der realexistierende Kapitalismus in der nächsten Krise tatsächlich die faschistische Karte spielen muss. Weil von Klassenidentitäten längst nicht mehr die Rede sein kann, sich die Gewerkschaften und die linke Bewegung selbst entmachtet haben und die deutsche Bevölkerung auch ganz von selbst ihren Zorn auf Nichtdeutsche lenkt, scheinen totalitäre Lösungen kaum notwendig.

Dennoch ist die Hauptsorge der AAB offenbar der Totalitarismus-Diskurs. Dabei erweist sich der an sich richtige Kampf gegen Totalitarismustheorien als billige Ausrede, um notwendige Kritik an autoritären Sozialismusentwürfen zurückweisen zu können - gerade wenn er zur Rechtfertigung der Teilnahme an einer Demo der autoritären Linken dient.

Antikapitalistische Praxis kann nicht darin bestehen, rote Fahnen zu schwenken. Der internationale militante Widerstand gegen Globalisierung, IWF und Weltbank wird hingegen als solche verstanden. Doch ob Seattle, Davos oder Prag - ständig vermischt sich der berechtigte Protest gegen den totalitären Anspruch der Profitlogik mit der Agitation gegen das »globale Kapital«, welches sozusagen der böse Gegenspieler zum lieben heimischen, nationalen Kapital sein soll.

Hier treffen sich zuweilen nationale und antisemitische Argumentationen mit der Standortlogik und dem völkischen Gerede von kultureller Vielfalt. Sehr treffend fordert das Leipziger Bündnis gegen Rechts in einem aktuellen Positionspapier, antikapitalistische Kritik dürfe niemals verkürzen, »sondern muss gesellschaftliche Prinzipien und die Profitlogik im Kapitalismus grundsätzlich angreifen. Sie muss sich gegen den Arbeitswahn stellen und deutsche Sekundärtugenden wie Fleiß, Anpassung und Unterordnung verachten.«

Diesem Anspruch wird man jedoch niemals gerecht, wenn man den Aufmarsch der Spielmannszüge und Parteifahnenträger beim Karneval der Ostkulturen durch die eigene Teilnahme unterstützt. Auch wenn man meint, im eigenen Antifa-Block nichts damit zu tun zu haben. Huldigung des Arbeitswahns und verkürzte Kapitalismuskritik sind bei der LL-Demo an der Tagesordnung, die autoritären Gesellschaften in der DDR oder der Sowjetunion werden verteidigt, jede Kritik daran wird zurückgewiesen.

So kommt die Linke nicht zu neuen Politikansätzen und die Antifa bestimmt nicht aus ihrer Sinnkrise. Mit Spannung darf die Fortsetzung des Verstärkerkongresses erwarten werden, die über Ostern in Göttingen stattfindet. Anders, aber ebenso spannend ist die LL-Demo am 14. Januar. Man sollte sie sich auf jeden Fall anschauen. Sonst verpasst man die skurrilste, schrägste und trashigste Popveranstaltung des Jahres.