Botho Strauß, Sein und Zeit

Kein Bock auf Gesänge

Ein offener Brief. Über Botho Strauß, Bildung, Sein und Zeit.

Es geht nicht. Es bringt nichts. Was? Na, Botho Straußens in der Zeit erschienenen, wie gewohnt schwer stieseligen, von bizarren Fauxpas-Insekten durchschwirrten Nebelsuppenkessel »Wollt ihr das totale Engineering« auslöffeln. Schon gar nicht, nachdem in der Folgenummer bereits eine repräsentative Auswahl von Kreuzworträtselexperten und pensionierten Oberlandgerichtsdirektoren diesem ebenso verbiesterten wie aufrichtigen Hanswurst der Informationsgesellschaft ihr Misstrauen ausgesprochen hat.

Denn wie soll man so etwas angehen? Sprachkritisch? Leute! Wenn ein Autor wie Strauß die Anführungszeichen bei wörtlicher Rede nur deshalb konsequent weglässt, damit man merkt, dass man es mit kostbarster Hanser-Verlags-Gedankendichtung zu tun hat, um dann andererseits bei »Information und Kommunikation« und anderen Begriffen aus der Sziento- und Technosphäre, die er denunzieren will, Anführungszeichen als ironisierende Gänsefüßchen einzusetzen, dann bin hoffentlich nicht nur ich mit meinem polemischen Latein am Ende.

Ja, sicher, ich weiß, ich habe zugesagt, mich an dem Kram zu versuchen, voreilig und anstellig wie nur je ein Meinungskasper, mich aber andererseits nicht gerade drum geprügelt, und wollte auf jeden Fall vor dem Abendessen fertig sein. Aber die Pampe ist einfach zu bitter, zu lachhaft, zu schal.

Was wir vorhatten, wäre eine Herkulesaufgabe für fleißige Paranoiker, die ernsthaft glauben, angesichts mehrerer mit der Präzision einer Synchronschwimmertruppe abgesprochener Pro-Gentech-Deklarationen von Blair bis Schröder, die uns in den letzten Wochen und Monaten auf den verschärften Hi-Tech-Krieg zwischen der EU und den USA einstimmen sollten, mache es noch ein Pauspapierchen Unterschied, ob sich Botho Strauß, Stoibers Putzfrau oder das Schlossgespenst von Weikersheim nach wettergegerbten Bauerngesichtern, Uromas Spinnrad und handgeschnitzten Hölderlin-Gedichten zurücksehnten.

Umgekehrt: Die Bauchschmerzen versprengter Resthohepriester sperriger alteuropäischer Hochkultur-Rudimente, deren Blähungsgeräusche Straußens Interventionen zu Brucknerscher Symphonik auswalzen und verstärken sollen, sind nicht nur keine Bremsargumente wider den verwissenschaftlichen Verwertungsdurchmarsch, sondern flankieren und supplementieren ihn vielmehr wie die Demontage sämtlicher Segmente des Hoch- und sonstigen Schulwesens, die zum kurrenten Vektorprodukt aus Profitsteigerung und Social Engineering quer stehen.

Nur wer als Intellektueller das totale sacrificium intellectus an eine mythisch unausweichliche Gegenwartsdynamik bereits erbracht hat, klagt noch wie der Kulturötzi Schwanitz oder sein Zwillingsyeti Strauß »Bildung« ein. Damit aber gibt so ein Mahner im selben Moment endgültig verloren, was er vermisst, in dem er jene sozialen Konstellationen begriffslos affirmiert, die das Verschwinden seiner heiligen Güter bedingen.

Wenn es also überhaupt ein Problem gibt mit öden Events wie Straußens jeweils neuestem Seinsvergessenheitsrequiem, dann geht das Wesen dieses Problems ebenso weit über Straußens Horizont wie über den der Paladine des techno-kapitalistischen Nivellierungs-Molochs, den Strauß sich eifernd oder brütend zum Weltverdummungspopanz zurechtmacht. Denn der Dichter, der in diesem seinen jüngsten Textbankert mit offensichtlich nur unzulänglich resorbierten Begriffssplittern aus der Welt der Info-, Neuro-, Nano- und Cyberwissenschaften hantiert, die ihn spätestens seit seinem mit Fußnoten aus populärwissenschaftlichen Werken verzierten 1992er Bändchen »Beginnlosigkeit« - ein derber 130-Seiten-Quatsch, den ich seinerzeit abscheubegeistert in anderthalb Stunden verschlungen habe - nicht mehr loslassen, wäre zwar als Autor von allerlei deskriptiver Prosa und zahlreichen Theaterstücken eine differenziertere Auseinandersetzung wert. Aber der hier, der Warner?

Dieser Tropf, der seit jenem Büchlein nur noch über ein geradezu mitleiderregend schmales, offenbar im Halbjahrestakt jeweils um die Hälfte sich verdünnisierendes Repertoire von Klagelauten gebietet? Dieser glücklose Poseur, der unablässig phantasiert, es gelänge ihm irgendwann, zur endgültigen bête noire einer angeblich immer noch hegemonialen linken Intelligenz zu werden, wie's sein ihn um mehrere Format-Größenordnungen überragendes erklärtes Idol Rudolf Borchardt in der Weimarer Republik gewesen sein dürfte?

Nein: dieser querulantische, missratene Quengelbotho aus dem Pfandleihhaus ist keinen einzigen Seufzer mehr wert. Was mich zuletzt aber zu einer kleinen Unmutsäußerung hinsichtlich meiner angeblichen Zuständigkeit für den in Rede stehenden Dreck reizt. Denn die Übergriffe des Straußschen Zeit-Artikels auf ein Strauß erkennbar fremdes, ihn aber ebenso erkennbar mit fasziniertem Grusel erfüllendes Terrain, von dem Ihr wisst, dass ich es leidlich kenne und heftig liebe, nämlich das der Naturwissenschaften, haben Euch und zunächst auch mich dazu verführt, eine textimmanente und sachorientierte Straußschelte für eine gute Idee zu halten.

Genau das ist sie aber eben nicht. Denn was gewinnt man, wenn jemand Strauß nachweisen kann, dass er Pico und Picto verwechselt (was ein Zeit-Leser in einem der oben erwähnten Leserbriefe getan hat)? Was wäre bewiesen, wenn ich Strauß vorhielte, dass seine dumme Phrase »Zum Erfassen der intimsten Zusammenhänge haben wir einzig diese vage Sammelvokabel: Komplexität« von einem »wir« ausgeht, in dem vielleicht Botho und ein paar GeisteswissenschaftlerInnen mit unterspezifiziertem Komplexitätsverständnis Platz haben, sicher jedoch nicht die neuere, immer stärker mathematisierte Komplexititätsforschung von der Synergetik über die Bio-Informatik bis zu den Störungstheorien?

Und was brächte es schließlich, wenn jemand den Schwafler dazu verdonnerte, sich zur Berechenbarkeit von Realität, Neuroscience und Computersimulation von Gehirnvorgängen erst wieder zu äußern, wenn er ein paar grundlegende wissenschaftliche Arbeiten wie »Machines, Logic, and Quantum Physics« (Deutsch, Ekert, Lupacchini) oder »Computation and Neural Systems« Eeckman/Bowers gelesen und begriffen hat?

Jenseits von sportiv gemeinten Schwanzvergleichen und doofer Wissensübertrumpferei kommt mir die Idee, derlei Kritik könnte irgendwen berühren, inzwischen so verkehrt vor wie die Vorstellung, ein Physiker würde auf die Bemerkung eines reaktionären Politologen, heutzutage könne man in zahlreichen politischen Fragen rechts und links schwer definieren, Folgendes erwidern: Man bräuchte doch nur Kobalt in ein starkes Magnetfeld halten und dann abkühlen, damit thermische Störungen den Prozess nicht beeinflussen, dann könnte man, nachdem sich die Kobaltatome im Magnetfeld geordnet haben, bei ihrem Zerfall bemerken, dass die dabei emittierten Elektronen in unterschiedlichen Raten auf die magnetischen Pole zustreben, was doch ganz klar die Spiegelsymmetrie verletze, wodurch sich mühelos links und rechts definieren ließen. Der Physiker hat zwar recht, aber der Politologe ist nicht widerlegt.

Was soll's? Kritisieren kann ich Aussagen nur im Rahmen von im Idealfall korrekturfähigen Konventionen. Der Witz an Straußens Gelalle ist aber doch gerade, dass es dazu dienen soll, diverse Konventionen, die angeblich von Liberalismus und Fortschrittswahn diktiert sind, aufzukündigen. Das kann man nicht diskutieren, nur annehmen oder ablehnen; und genauso will Strauß es haben. Soll er doch sehen, wo er damit bleibt. Jedes gedruckte Wort des jüngstverstorbenen großen analytischen Philosophen W.V.O. Quine ist lebendiger als die empirische Person Botho Strauß.

Ich hätte Euch besser einen Nachruf auf diesen Mann angeboten, statt schafsblöd einzuwilligen, so einen seichten, lahmen ... na ja. Immerhin, ein paar Gedanken haben sich doch noch rausquetschen lassen. Wir wollen uns also nicht grämen, sondern uns lieber wieder Wichtigem zuwenden. Let it be.