Präsident gestürzt

Fünf Tage, die Manila erschütterten

Der philippinische Präsident Estrada musste nach heftigen Protesten zurücktreten. Die Macht seiner Nachfolgerin Arroyo ist noch nicht gesichert.

Zum zweiten Mal hat sich die philippinische Bevölkerung erhoben, um einen Präsidenten zu stürzen, und zum zweiten Mal wurde eine Frau von einer Massenbewegung zur Präsidentin gemacht. Am 20. Januar musste der philippinische Präsident Joseph Estrada zurücktreten, Vizepräsidentin Gloria Macapagal-Arroyo übernahm sein Amt. Viele Demokratieexperten schreiben nun ihre Einschätzungen des Ereignisses auf, und wie beim ersten Aufstand gegen den langjährigen Diktator Ferdinand Marcos vor knapp 15 Jahren wird es keine einheitliche Interpretation geben. Dennoch ist sicher, dass dieser zweite Aufstand noch lange nicht vorbei ist.

Niemand hätte erwartet, dass es eine zweite People Power-Bewegung unter der Präsidentschaft Joseph Estradas geben würde. Er hatte 1998 einen Erdrutsch-Sieg eingefahren und befand sich gerade in der Mitte seiner Amtszeit. Noch immer ist Estrada bei den Armen sehr populär. Die Bewegung begann im September, nachdem ein Gouverneur aus einer Nordprovinz Estrada beschuldigte hatte, von den Tabaksteuern seiner Provinz und aus einer illegalen Lotterie Geld abzuzweigen.

Daraufhin wurde ein Amtsenthebungsverfahren gegen Estrada eingeleitet (Jungle World, 46/00). Am 16. Januar wurde das Verfahren unterbrochen, als die Senatoren, die darin zugleich als Richter fungierten, sich mit einem Votum von 11 zu 10 weigerten, entscheidendes Beweismaterial über Konten zu verwerten, das Estrada wohl belastet. Der Senatspräsident und der Untersuchungsausschuss, der aus Abgeordneten des Unterhauses bestand, traten zurück. Damit kollabierte das Verfahren gegen Estrada.

Aber täglich waren die Verhandlungen live im Fernsehen übertragen worden - eine politische Soap Opera, die landesweit verfolgt wurde. Einige Stunden nach Ausstrahlung ihrer letzten Folge versammelten sich etwa 40 000 Menschen spontan dort, wo 1986 die erste People Power-Mobilisierung stattgefunden hatte. Dann mobilisierten linke Organisationen und Arroyo-Unterstützer ihre Anhänger. Sie trugen die Bewegung in den folgenden Tagen - inmitten von Spekulationen, das Militär könnte putschen. Bereits zu Beginn des Skandals war es in Manila und in großen Provinzstädten täglich zu Protestzügen gekommen, die auch als »Parlament der Straße« bekannt wurden.

In den meisten Berichten werden Vergleiche zwischen dieser erfolgreichen fünftägigen Mobilisierung und der ersten People-Power gezogen, die vor knapp 15 Jahren ebenfalls in der Epifanio de los Santos Avenue (Edsa) stattfand. Zwischen beiden Bewegungen existieren viele Gemeinsamkeiten, aber die Unterschiede sind signifikanter.

Zum einen fand 1986 mit Edsa 1 ein anti-diktatorischer Aufstand statt, der den verhassten Marcos stürzte, während Edsa 2 im wesentlichen ein Aufstand gegen Korruption ist, der den populären, aber gierigen Präsidenten Estrada stürzte. Edsa 1 brachte die formale Demokratie und ihre Institutionen zurück, was zu einer neuen Verfassung führte. Edsa 2 ist ein Beispiel direkter Demokratie, das in eine neue Politik münden könnte. Die Niederschlagung des Amtsenthebungsverfahrens gegen Estrada hatte die engen Grenzen der formalen Demokratie aufgezeigt. Das brachte die Menschen dazu, Gerechtigkeit in der Arena zu suchen, der sie eher trauen: dem Parlament der Straße.

Zudem wurde Edsa 2 durch den Misserfolg von Edsa 1 verursacht und ist zugleich dessen Weiterentwicklung. Beide basierten auf den starken philippinischen NGOs und sozialen Bewegungen, deren politische Macht und Einfluss ständig zunahmen. Edsa 1 wurde durch einen fehlgeschlagenen Staatsstreich des Militärs gegen den Diktator ausgelöst. Um die rebellierenden Militärs zu schützen, für Demokratie zu kämpfen und den von Marcos nicht anerkannten Wahlsieg Corazon Aquinos zu verteidigen, stellten die Massen sich den Panzern der regimetreuen Armeeinheiten entgegen. 1986 hatte sich die Menge nach einem Aufruf des charismatischen Kardinals von Manila, Jaime Sin, versammelt. Es war der erste friedliche Aufstand auf den Philippinen. Bei Edsa 2 hingegen initiierte die Bevölkerung, hauptsächlich die Jugend und die Mittelklasse, von sich aus die Massendemonstrationen, ohne den Aufruf eines charismatischen Leaders zu benötigen. Erst in letzter Minute schlossen sich ihr militärische Überläufer und zurückgetretene Kabinettsmitglieder an.

Der dritte Unterschied besteht darin, wie die Philippinos die Präsidentin sehen, der sie zur Macht verholfen haben. Der Slogan von Edsa 1 war »Es reicht, wechselt Marcos aus!« Bei Edsa 2 hingegen hieß es: »Wechselt Estrada aus, aber behaltet Gloria im Auge!« Anders als Corazon Aquino ist Vizepräsidentin Gloria Macapagal-Arroyo nicht die Verkörperung, sondern lediglich die Nutznießerin von People Power. Der Anspruch Arroyos auf das höchste politische Amt im Land ist legal, nicht moralisch unterfüttert. Dieser dritte Grund ist Arroyos große Herausforderung; sie muss sich Edsa 2 sozusagen verdienen.

Der neuen Präsidentin der Philippinen ist der Malacanang-Palast nicht fremd. Als Tochter des neunten Präsidenten der Philippinen, des verstorbenen Diosdado Macapagal, wuchs sie dort auf. Nachdem sie als Ökonomin, Journalistin, Lehrerin und später als Beamtin gearbeitet hatte, wurde Arroyo 1992 in den Senat gewählt. Dort verfasste sie 55 Gesetzesentwürfe zu Wirtschafts- und Sozialreformen. Die umstrittensten betrafen die Abkommen der Philippinen mit GATT und dessen Nachfolger WTO sowie Privatisierungen und Deregulierung.

Vor diesem Hintergrund war es erstaunlich, dass die von Arroyo geführte United Opposition, ein Bündnis von fünf Parteien des Zentrums und der Rechten, die Unterstützung der NGOs, der im Bündnis Kompil zusammengeschlossenen militanten sozialen Bewegungen und auch der linksradikalen Organisation Bayan fand. Aber wie der bekannte philippinische Schriftsteller und Historiker Nick Joaquim bemerkte, ist das Archipel mit den 75 Millionen Einwohnern ein Land des magischen Surrealismus, ein Land, wo tatsächlich alles passieren kann.

Schon bildet sich der erste Riss zwischen der neuen Regierung und denen, die sie an die Macht gebracht haben. Denn die Regierung hat die Tendenz, einige Fehler der ersten People Power zu wiederholen. Die Hoffnungen, die mit Edsa 1 verbunden waren, wurden entäuscht. Auch unter den drei Regierungen nach Marcos verbesserte sich die Lage der Armen nicht. Der Marcos-Clan musste nie für seine Verbrechen bezahlen und konnte sogar seinen während der Diktatur erworbenen Reichtum genießen. Marcos' Günstlinge plünderten weiterhin die Wirtschaft und häuften Reichtümer an. Die Verantwortlichen für das Kriegsrecht unter Marcos waren immer noch in hohen Machtpositionen. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Estrada machte die Philippinos auf das Ausmaß der Korruption aufmerksam, die auf allen Ebenen der Regierung anzutreffen ist.

Eines der Probleme, denen sich die neue Regierung stellen muss, ist die Frage ihrer Legitimität. Estrada beharrt weiter darauf, dass er sein Amt lediglich zeitweise aufgegeben habe, was Teil der Vorrechte des Präsidenten ist. In einem Brief an die parlamentarischen und juristischen Kammern, abgesandt in dem Moment, als Arroyo ihren Amtseid als Präsidentin ablegte, erklärte er, dass er sie lediglich zur »geschäftsführenden« Präsidentin ernenne. Rechtsexperten vertreten die Auffassung, Estrada werde künftig den Anspruch auf seinen Posten wahren und zugleich jene Immunität gegen Strafverfolgung beanspruchen, die das Privileg amtierender Präsidenten ist.

Die weitere Behandlung des Falls Estrada ist ein Test, wie ernst die neue Regierung ihr Vier-Punkte-Programm nimmt, das unter anderem ein Ende der Korruption und die Realisierung von good governance verspricht. Eine ernsthafte Verfolgung der Korruption birgt jedoch Probleme. Am 25. Januar trat Arroyos Verteidigungsminister Olando Mercado zurück - aus Protest gegen die Ernennung Lisandro Abadias zum Sicherheitsberater, dem er Bestechlichkeit vorwirft.

Es steht jedoch nicht nur die Stabilität der neuen Regierung auf dem Spiel. Eine konsequente Verfolgung der Korruption würde fast die gesamte Oligarchie treffen und enthüllen, dass es nicht nur um moralische Verfehlungen Einzelner geht. Und dann dürfte Edsa 2 nicht die letzte Mobilisierung der People Power gewesen sein.