Das Krankenhaus Havelhöhe

Klüngel heilt alle Wunden

Gefährliche Orte CXXVI: Hilfe, die Anthroposophen sind los! Im Krankenhaus Havelhöhe haben sie sich schon breitgemacht. Der Senat unterstützt sie.

Eberhard Diepgen verschenkt ein Krankenhaus an den Klub seiner Frau - darüber müsste er eigentlich stolpern«, glaubt Jochen Sommer*, ein Mitarbeiter des anthroposophischen Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe. Seine Wut hat sich lange gestaut, doch er möchte anonym bleiben, denn die Angst vor dem Einfluss der Anthroposophen ist groß.

Sommer ist nicht allein mit seinem Ärger über die Vorgänge im Krankenhaus, das im Berliner Bezirk Spandau steht und 1995 von Anthroposophen übernommen wurde. Auch andere Kritiker werfen der Klinikleitung Mobbing, Kunstfehler, und unsaubere Finanzierungspraktiken vor.

Vieles deutet darauf hin, dass die Patienten auf dem anthroposophischen »Erkenntnisweg« nicht optimal versorgt werden. Stattdessen werden die knappen öffentlichen Mittel zugunsten anthroposophischer Therapieangebote verwandt, die eigentlich als Erweiterung herkömmlicher Behandlungsmethoden gedacht waren. Die renommierte Lungenabteilung fiel den innerbetrieblichen Umstrukturierungen bereits 1998 zum Opfer.

Der Träger des Krankenhauses ist ein Verein zur Förderung und Entwicklung anthroposophischer Heilkunst, dem auch Monika Diepgen, die Frau des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU), angehört. Jahrelang hatte der Verein nach einem Standort für ein eigenes Krankenhaus gesucht, zunächst ohne Erfolg. So hatte das Personal des Oskar-Ziethen-Krankenhauses im Ostberliner Bezirk Lichtenberg 1991 eine Übernahme durch den Verein verhindert. Professor Heinz Ringk, der ärztliche Direktor, meinte damals, man habe ja nicht eine Ideologie abgeschüttelt, um sich einer anderen zu unterwerfen.

Der damalige Gesundheitssenator Peter Luther (CDU), ein Anthroposoph, der seine Doktorarbeit über das Steinersche Universalpräparat Mistel schrieb, wählte 1993 das Krankenhaus Havelhöhe, um aus ihm eine anthroposophische Einrichtung zu machen.

Doch auch dessen Mitarbeiter wehrten sich. Eine Bürgerinitiative sammelte 26 000 Unterschriften für den Verbleib in städtischer Trägerschaft. Man wollte keine Gespräche mit den Anthroposophen führen, bevor nicht ein Vertrag auf dem Tisch liege. Erst dann könne über die Arbeitsbedingungen gesprochen werden.

Dann ging alles recht schnell. Gesundheitsstaatssekretär Detlef Orwat stellte das Klinikpersonal vor die Alternative, die Schließung des Krankenhauses oder den Wechsel zur anthroposophischen Trägerschaft zu akzeptieren. Das Bürgerbegehren wurde unerwartet und mit knapper Stimmenmehrheit in der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung abgelehnt. Ein Vertrag regelte die Übernahme der Belegschaft. Auch die Pacht für das Grundstück wurde festgelegt - sehr zum Vorteil des neuen Trägers, denn gezahlt werden muss die nächsten 90 Jahre lang nur, wenn ein bestimmter Gewinn erwirtschaftet wird.

»So eine Bilanz ist natürlich leicht zu manipulieren. Das war auch dem Senat ganz klar. Legte man einen normalen Maßstab an, müssten die Anthroposophen 40 bis 50 Millionen Mark Pacht jährlich zahlen«, meint Jochen Sommer. Auf dem großen Gelände an der Havel befinden sich neben dem Krankenhaus jetzt auch ein Kindergarten und Arztpraxen, die ebenfalls anthroposophisch ausgerichtet sind. Ulrich Dombrowsky, Betriebsrat des Krankenhauses Spandau, zu dem das Krankenhaus Havelhöhe bis zum Trägerwechsel gehörte, erinnert sich: »Dass die Familie Diepgen den Anthroposophen sehr nahe steht, war damals eine Vermutung.«

Auch Hartmut Neusetzer, ein ehemaliger Mitarbeiter in Havelhöhe, sieht den Trägerwechsel heute kritisch: »Die Anthroposophen haben das Krankenhaus letzten Endes geschenkt bekommen, das war der politische Wille.« Roland Bersdorf, der Verwaltungsleiter in Havelhöhe, widerspricht diesen Vorwürfen. Die Form des Pachtvertrages sei für gemeinnützige Einrichtungen wie das Krankenhaus Havelhöhe durchaus üblich. Frau Diepgen habe außerdem mit der Initiative nichts zu tun.

Selbst in der CDU sieht man das offenbar anders. »Die Anthroposophen im Berliner Krankenhaus Havelhöhe schaffen durch ihr Lobbying nach außen ein gutes Image, nach innen betreiben sie jedoch eine schwierige Personalpolitik«, resümiert Matthias Urban, damals Mitglied des CDU-Ortsverbandes Gatow. Urban war langjähriger Assistenzarzt in der angesehenen Lungenabteilung der Klinik. Unter dem neuen Träger sollte er versetzt werden. »Ich habe dann angekündigt, dass ich mich niederlassen werde, und konnte auf meiner bisherigen Position verbleiben.«

Ähnlich erging es Hartmut Neusetzer, dem Oberarzt der Station: »Die Sachen, die mir angeboten wurden, waren faktisch eine Degradierung.« Der Chefarzt der Lungenabteilung, Dr. José Mollinedo-Montenegro, galt als Koryphäe auf seinem Gebiet. Da sein Bereich aufgelöst wurde, durfte er zuletzt, bevor er ausschied, nicht mehr operieren. »Eine einzigartige Klinik mit Thorax-Chirurgie und der Erfahrung von Jahren, die wir mühsam aufgebaut haben, ist Berlin verloren gegangen«, betont Mollinedo, der seit 1964 in Havelhöhe tätig war.

»Die Mitarbeiter von heute wissen, dass sie in einem solchen Betrieb nur etwas werden können, wenn sie sich massiv dort engagieren«, sagt Urban. Tatsächlich haben viele langjährige Mitarbeitern deutlich zu spüren bekommen, dass sie in der neuen Klinik keinen Platz haben. Harald Matthes, der ärztliche Leiter, soll nach Angaben eines ehemaligen Mitarbeiters nach der Übernahme sogar das Ziel verfolgt haben, in fünf Jahren das Haus von allen »alten Wiederständlern« zu befreien.

Die Folgen der Umstrukturierung des Krankenhauses sind heute kaum zu übersehen. Während die anthroposophisch ausgerichteten Stationen eine sehr individuelle Patientenbetreuung anbieten, herrscht auf anderen Stationen teilweise ein Pflegenotstand. Um die besonderen Therapieverfahren finanzieren zu können, muss der Krankenhausablauf an vielen Stellen rationalisiert werden. Die Öffnungszeiten des Krankenhauslabors wurden verkürzt, auf der Intensivstation wurden Ärztestellen abgebaut und Arbeit, die früher im Schichtdienst geleistet wurde, wird heute im Bereitschaftsdienst getan. Mitarbeitern, die sich dagegen gewehrt haben, wurden Abmahnungen angedroht.

In den meisten Krankenhäusern kommen Zusatzeinkünfte durch Privatpatienten vor allem den Chefärzten zugute. In Havelhöhe geht ein Großteil des Geldes an das Krankenhaus, wird aber auch gerne wieder ausgegeben. Offenbar möchte man nicht so viel Gewinn machen, dass Pacht bezahlt werden müsste. Investitionen fließen in den Ausbau der anthroposophischen Infrastruktur. Und die Gehälter sind individuelle Verhandlungssache. So soll einem leitenden Arzt beispielsweise eine Gehaltserhöhung von 3000 Mark gewährt worden sein, damit er das Schuldgeld für seine Kinder an die Waldorfschule zahlen kann. Ärzte sollen außerdem aufgefordert worden sein, darauf hinzuwirken, dass wohlhabende Patienten ihren Besitz dem Trägerverein vermachen.

Das Krankenhaus Havelhöhe ist nur ein Beispiel für den Berliner Klüngel. »Die Krankenhausplanung ist insgesamt nicht transparent«, sagt Christa Leibing, Gewerkschaftssekretärin für das Gesundheitswesen bei der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Und wie sich zuletzt im Fall Klaus Landowsky gezeigt hat, sind gut funktionierende Seilschaften ein Grundprinzip Berliner Landespolitik. Sommer ist sich sicher: »Wenn es in Berlin zu einem Regierungswechsel kommt, könnte es für Havelhöhe ungemütlich werden.«

* Name von der Redaktion geändert