Sturm auf den Präsidentenpalast gescheitert

Rebellion für einen Mythos

Der Angriff von 20 000 Demonstranten auf den Präsidentenpalast in Manila ist misslungen. Die philippinische Regierung beschuldigt die Oppositionsführer, einen Umsturz geplant zu haben.

Für die 57 Gefangenen dürfte der hohe Besuch eine Überraschung gewesen sein. Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo kam am Freitag ins Polizeihauptquartier von Manila, um ihnen zu erklären, dass der Aufstand, bei dem sie verhaftet wurden, überflüssig war. »Wir sind auf der gleichen Seite«, so Arroyo, »lasst uns nicht kämpfen.«

Sechs Tage lang hatten zeitweise mehr als 50 000 Menschen am Edsa-Schrein in Manila demonstriert. Der Schrein wurde zur Erinnerung an den Sturz der Marcos-Diktatur errichtet, der 1986 mit Demonstrationen an diesem Ort begann. Am 20. Januar dieses Jahres hatte Präsident Joseph Estrada nach fünftägigen Massenprotesten am Edsa-Schrein sein Amt aufgeben müssen (Jungle World, 6/01). Diesmal waren es die Anhänger des in einem nahe gelegenen Krankenhaus befindlichen ehemaligen Präsidenten, die sich dort versammelt hatten.

Am frühen Morgen des 1. Mai versuchten etwa 20 000 von ihnen, den Malacanang-Präsidentenpalast zu stürmen. Dies war der Regierung zufolge Teil des Vorhabens, Arroyo zu töten und die Regierung zu stürzen. Entgegen den Zielen der Demonstranten hätten die Hintermänner des Aufstandes geplant, auch Estrada während der Unruhen zu töten. Quellen aus der Militärführung, aber auch aus den Reihen der untereinander zerstrittenen Feinde Arroyos, bestätigen diese Darstellung.

Arroyo hat die bisher größte Bedrohung ihrer Regierung überlebt. Doch nicht nur ihre Versöhnungsgesten gegenüber den Aufständischen, auch das im Vergleich zu früheren Ereignissen dieser Art zurückhaltende Vorgehen von Polizei und Militär verdeutlichen die Besorgnis der Regierung. Der Angriff auf Malacanang, kommentierte die philippinische Tageszeitung Today, sei »die Rückkehr der Armen als bedeutende Kraft in die elitäre Politik dieser Nation«. Die Aufständischen seien »so arm, dass sie ihre Hoffnungen auf einen diebischen Filmstar setzen«.

Der ehemalige Filmschauspieler und ehemalige Präsident Estrada war vorletzte Woche inhaftiert worden, ihm werden Korruption und »Plünderung« vorgeworfen. Die Verhaftung wurde im Fernsehen übertragen, und die Bilder des gefallenen Idols Estrada, der wie jeder andere Verdächtige behandelt wurde, brachten zwei unterschiedliche Effekte hervor. Für die Anhänger der Bewegung, die Estrada gestürzt hatte, aber auch für politische Skeptiker war die Verhaftung ein wichtiger Schritt zu politischen Reformen. Zum ersten Mal wurde ein ehemaliger Präsident wegen Korruption zur Verantwortung gezogen, und dies verstärkte die Hoffnungen, dass auch andere Mächtige fallen würden wie Dominosteine.

Ein anderer Effekt trat bei Estradas Anhängern ein - Mitleid mit dem Inhaftierten. Estrada hatte es verstanden, sich als Präsident der Armen darzustellen, und diese Vorstellung ist bei seinen Anhängern weiterhin präsent. Sie haben ein personalistisches Verständnis von Politik und sehen in dem Populisten Estrada einen Erlöser der Armen, der nun von den Reichen verfolgt wird.

Mit einigem Erfolg verbreitete Estrada die Behauptung, dass Arroyos Aufstieg zur Präsidentschaft ein Projekt der Elite von Makati, Manilas wichtigstem Geschäftsviertel, gewesen sei. So setzte seine Inhaftierung starke Leidenschaften frei, genährt von der Enttäuschung darüber, dass jahrzehntelang keine Regierung die Lebensbedingungen der Armen verbessert hat.

Estradas Verbündete konnten das ausnutzen. Hinter dem, was sie Poor People's Power nennen, standen jedoch einige Politiker und Militärs, geführt von Senator Gregorio Honasan, einem einflussreichen ehemaligen Offizier, und dem ehemaligen Chef der philippinischen Polizei Panfilo Lacson. Mit dem Sturm auf den Präsidentenpalast wollten sie die Macht ergreifen, hatten aber nicht die Absicht, sie an Estrada zurückzugeben. Stattdessen sollte Juan Ponce Enrile, Verteidigungsminister unter der Marcos-Diktatur, zum Präsidenten gemacht werden.

Alle drei, Honasan, Lacson wie Enrile, kandidieren für Estradas Partei Pwersa ng Masa (Kraft der Massen) bei den Wahlen zum Senat, die für den 14. Mai angesetzt sind. Umfragen zufolge war es jedoch fraglich, ob sie die für die Wahl in den Senat nötige Stimmenzahl erreichen würden.

Um die nötige Zahl von Demonstranten auf den Edsa-Platz zu bringen, hatten Anhänger Estradas beträchtliche Geldmittel eingesetzt. Politiker der Administration Groß-Manilas stellten Transportmittel zur Verfügung, verteilten Nahrungsmittel und zahlten umgerechnet zwischen sieben und zwölf Euro an Demonstranten. Doch Geld kann keine Leidenschaften entfesseln, die Bezahlung erklärt nicht die Bereitschaft, beim Sturm auf Malacanang Kämpfe mit Polizei und Militär zu riskieren.

Der Angriff auf Malacanang um zwei Uhr morgens führte zum Tod eines Polizeioffiziers und dreier Demonstranten. Etwa hundert Menschen wurden verletzt, der Sachschaden wird auf 4,5 Millionen Mark geschätzt. Arroyo verhängte den »state of rebellion« für Groß-Manila. Verfassungsmäßig zwei Stufen unterhalb der Verhängung des Kriegsrechts angesiedelt, erlaubt die Ausrufung des »state of rebellion« Verhaftungen ohne richerliche Anordnung sowie Demonstrationsverbote. Elf Oppositionsführer stehen auf Arroyos Verhaftungsliste, einige von ihnen halten sich noch versteckt. Der Rebellion beschuldigt werden neben Enrile, Lacson und Honasan unter anderen der ehemalige Botschafter in den USA, Ernesto Maceda, Brigadegeneral Jake Malajacan und vier hohe Polizeioffiziere.

Mit der relativ problemlosen Zerschlagung des Putschversuchs hat die neue Regierung ihre Macht gefestigt. Der Widerwillen, den viele angesichts des dilettantischen Versuchs der Machtübernahme empfanden, dürfte der regierenden Peoples' Power Coalition bei den Senatswahlen zu besseren Resultaten verhelfen, zumal die Feinde Arroyos derzeit keine allzu gute Figur machen. Jeder leugnet seine Rolle bei der Malcanang-Belagerung und weist die Schuld seinen Mitstreitern zu. »Es gibt keine Basis dafür, mich wegen irgendetwas zu verfolgen, nicht einmal wegen Rebellion«, hat etwa Honasan erklärt.

Die feurigen Reden aber, in denen die Estrada-Loyalisten die Menge dazu aufriefen, den Malacanang zu stürmen und die Präsidentin zu stürzen, wurden live im Fernsehen übertragen. Als der Sturm auf den Palast begann, waren sie nicht mehr anwesend. So wurde enthüllt, wie sie die Demonstranten als Kanonenfutter benutzten, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen.

Auf lokaler Ebene jedoch werden die Wahlen, vor allem in ländlichen und armen Gebieten, noch immer von den traditionellen korrupten Praktiken beeinflusst. Obwohl Reformen des Wahlrechts jetzt möglich sind, wird die Bekämpfung dieser Praktiken noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Rolle des Militärs in der philippinischen Politik dagegen scheint sich bereits geändert zu haben. Honasan gelang es nicht, größere Teile der Armee für sich zu gewinnen. Nur einige Dutzend Mitglieder seiner Jahrgangsklasse an der Militärakademie waren bereit, ihm zu folgen. Die Armeeführung geht davon aus, dass es dem Ansehen und der Position des Militärs schaden würde, sich in politische Machtkämpfe einzumischen, und unterstützt die gegenwärtige, vom Obersten Gericht bestätigte Regierung.

Nachdem nun auch die Anhänger Estradas Edsa als politischen Raum besetzt haben, wird in den zivilen Parteien und sozialen Bewegungen diskutiert, was Edsa repräsentiert. Dass jemand, der selbst nie arm war, sich so erfolgreich als »Präsident der Armen für die Armen« präsentieren kann, lässt die Regierung und sogar die Bewegungen der Linken darüber nachdenken, warum sie dieses Publikum nicht erreichten. Dieser Teil der armen Bevölkerung hat nie zuvor jemanden so verehrt wie Estrada. Dessen Mythos zerfällt langsam, doch die vorherrschende politische Kultur, die seinen Aufstieg begünstigt hat, nährt sich aus der Armut.

Und an der hat sich auch nach dem Sturz Estradas nichts geändert. Die Regierung reagierte bislang symbolisch. Bei ihrem Besuch im Polizeihauptquartier erklärte Arroyo: »Ich bin stolz auf die Tatsache, dass meine Großmutter tatsächlich eine Waschfrau ist.«