Jürgen Trittin in Bild

Lieblingspostkarte

»Ist Trittin der neue Liebling des Kanzlers«, fragte am 24. Juli die Schlagzeile auf Seite zwei des täglich aufs Neue mit allerlei Bos-, Dumm- und Albernheiten verblüffenden Printmediums Bild. Darunter prangte »der Jürgen« mit keck in Richtung Stirn gekämmter Haarsträhne, blitzenden Ministeraugen, unverwechselbaren Oberlippenborsten und einem weit aufgerissenen, lachenden Mund.

Ein wohlwollendes Foto. Richtiggehend sympathisch lugte »der Jürgen« da aus dem einstigen Anti-Trittin-Sprachrohr. Kein Bolzenschneider war ins Bild montiert, um den Umweltminister eines bösen linksmilitanten Vergehens anzuklagen. Kein Buback-Söhnchen weit und breit, das in geiferndem Ton irgendwelche Entschuldigungen für hundsgemeine Mensa-Flugblätter verlangte. Nicht einmal der Bundestagsskinhead Laurenz Meyer wurde von Bild ins Spiel gebracht, und auch von der heiligen Benzinwut fehlte jede Spur im Blatt.

Was war geschehen? Hatte die Heinrich-Böll-Stiftung klammheimlich den Springerverlag aufgekauft? Ist Trittin der neue Liebling der Bild-Zeitung? Nun ja. Zum Zungenkuss reichte es noch nicht ganz, doch Geronto-Graf Nayhauß streckte dem einstigen Paria schon mal die greise Hand entgegen und schrieb sich langsam an den Jürgen ran: »Der Jürgen hat sich inzwischen geändert. Auch äußerlich. Kürzlich zur Unterzeichnung des Atomausstiegs war er nobler gekleidet als der Kanzler und die Energiebosse - dunkler modischer Einreiher, weißes Hemd; hellgraue, dezent gepunktete Krawatte. Hat lange gebraucht, aber immerhin.«

Direkt unter Trittins lachendem Kopf war eine Postkarte vom Beethoven-Denkmal auf dem Münsterplatz in Bonn abgebildet. Die Rückseite hat »der Jürgen« mit eigener Hand beschriftet und frankiert. »Grüße an die Bild-Leser aus Bonn«, steht da in schwarzer Tintenschrift. »Hier verhandeln über 100 Staaten, wie die Klimakatastrophe zu verhindern ist. Deutschland hat dabei eine wichtige Rolle. Viel Arbeit für den Umweltminister. Urlaub gibt es erst später. Ihr Jürgen Trittin.«

Man liest und staunt. Das ist hohe Kunst: Ein dermaßen komplexes Thema in vier glasklaren Sätzen auf den Punkt gebracht. Hundert Staaten, Deutschland wichtig, viel Arbeit, kein Urlaub. Die Trittinsche Reduzierung der Komplexität ist vorbildlich. Das ist journalistische Zuspitzung der Meisterklasse. Da können sich der täglich aus der Zeitung grinsende irre Schamane Franz Josef Wagner und die diversen Dumpfkommentatoren noch eine Scheibe abschneiden. 24 Zeilen Rabattgesetzkommentar, 87 Zeilen Post von Wagner - pah!

Das geht viel kürzer. In vier Sätzen kann man alles sagen. Nehmt Euch ein Beispiel am Jürgen. Macht ihn zum Chefredakteur. Die freiwerdenden Seiten können mit schönen Fotos und Anzeigen gefüllt werden. Aber auch Politiker sollten das Trittinsche Kartenwunder zum Standardformat für Pressemitteilungen aller Art erheben. Schröder, übernehmen Sie: »Grüße an die Bild-Leser aus Genua. Hier verhandeln acht Staaten, wie der Kapitalismus zu retten ist. Deutschland hat dabei eine wichtige Rolle. Viel Arbeit für die italienische Polizei. Ihr Bundeskanzler.«