Der Feind steht rechts VIII

Angie, oh Angie

Der Feind steht rechts VIII: Mit ihrer Vorsitzenden Angela Merkel kann die CDU nur noch Mitleid erwecken.

Als Angela Merkel im April des vergangenen Jahres zur Vorsitzenden der CDU gewählt wurde, war der Jubel groß. Nicht nur war der Generationenwechsel vollzogen, die Wahl diente nicht nur der so genannten inneren Einheit Deutschlands und der Gleichberechtigung der Frauen. Merkel wurde zur »Chefaufklärerin« des Finanzskandals allein deshalb ernannt, weil sie die Selbstverständlichkeit formuliert hatte, das Kapitel Kohl müsse schleunigst beendet werden. Damit schien nun auch die Erneuerung der Partei endlich begonnen und fast auch schon erfolgreich durchgeführt.

Denn an der Spitze der CDU stand nun eine »Ikone der Glaubwürdigkeit« (Die Welt). Die Süddeutsche Zeitung beobachtete ein »Pfingstwunder«, und Karl Feldmeyer wollte sich in der FAZ überhaupt nicht mehr einkriegen: »Die Delegierten haben mehr getan, als von ihnen erwartet worden war. Ihr Votum für die neue Parteispitze fiel wahrhaft überwältigend aus, und die Ovationen, mit denen sie sich für ihre Rede bedankten, belegen, dass sich in Angela Merkel die Hoffnungen der ganzen Partei bündeln. Die CDU ist aus dem Tal der Demütigungen heraus, die Ära Kohl endgültig Geschichte, und die Frage, wer die Nummer eins der CDU sei, beantwortet.« Angela Merkel sei eine Vorsitzende, die »nicht nur kämpfen, sondern auch siegen kann«.

Dass eine ostdeutsche Frau ohne einen Gegenkandidaten mit 96 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt wurde, lag aber vielleicht weniger an ihren Qualitäten als an der Weisheit der westdeutschen Männer, die wegen der Ungewissheit, was wohl noch alles an den Tag kommen mochte, lieber auf die spätestens mit einer Niederlage bei der Bundestagswahl im Jahr 2002 eintreffende Gelegenheit warteten, die neue Vorsitzende zu beerben. Seitdem arbeiten sie an Merkels Rücktritt.

Aufklärung aber wurde alsbald im parteipolitischen Interesse betrieben, das heißt vermieden. Und das Hoffnungsbündel zeigt inzwischen Führungsschwäche. Der Niederlage in der Auseinandersetzung um die Steuerreform folgten der Rücktritt des Generalsekretärs Ruprecht Polenz, die unsägliche »Leitkultur«, das Fahndungsplakat zum Thema Rente und die an Ahnungslosigkeit kaum zu übertreffenden Beiträge zur Debatte um die 68er, die nicht einmal die eigenen Leute überzeugten. Und auch die schlecht verborgene Rivalität mit dem Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz wird der Parteivorsitzenden zur Last gelegt.

Die Glaubwürdigkeit Angela Merkels besteht heute nur noch aus ihrem mangelnden Schauspielertalent, empört zu sein, wenn Empörung im Manuskript steht, und begeistert, wenn das Publikum begeistert werden soll. Sie verdankt ihren Erfolg und ihr Amt der Autosuggestion einer Partei, die sich von jedem hätte retten und führen lassen und die sich in ihrer Not selbst von ihr bezaubern ließ. Dass Angela Merkel den Schmus, den sie täglich absondert, selbst nicht glaubt, ist vernünftig und sympathisch. Dieser Charakterzug, den man ihr so deutlich ansieht, macht sie ungeeignet für den politischen Beruf, ändert aber nichts an dem Umstand, dass der Merkelsche Schmus schwer erträglich ist.

Zur Hilflosigkeit in politischen Fragen kommt die Unfähigkeit der Vorsitzenden, einen anderen Anschein zu erwecken. Auf den sozialdemokratischen Slogan von der »Neuen Mitte« antwortet Merkel mit einer »Neuen Politik der Mitte«. Sie will, so muss man wohl vermuten, nicht alles anders und auch kaum etwas besser machen. Der Mittelstand verdiene wohl ein wenig Förderung, die Bundeswehr und die Familien brauchten mehr Geld, den Innenminister Otto Schily könne man eigentlich in ein Kabinett Stoiber übernehmen und deutsche Außenpolitik ist ohnehin nichts als deutsch. So findet die Opposition in den Sphären höherer Unverbindlichkeit statt, zwischen allerhand Grundwerten, dem Gewissen, der Freiheit und dem christlichen Menschenbild.

Vor fast zwanzig Jahren versprach Helmut Kohl eine moralische Wende. Zeit genug hatte er, dass trotzdem nichts daraus wurde, ist nicht seine Schuld. Absurd und lächerlich aber ist es, dass die CDU noch immer nichts Besseres anbietet als wieder eine Wende und zu ihrer Vorbereitung eine Wertediskussion und dass ihr zu der moralischen Wende, die zurzeit von der Wissenschaft und der Industrie betrieben wird, aber auch gar nichts einfällt. Angela Merkel formuliert dieses Nichts so: »Wir, mit dem C in unserem Namen, sind an dieser Stelle besonders gefordert. Auf die Frage, was dürfen wir von dem anwenden, was wir können, werden wir nur eine Antwort finden, wenn wir zur Spitze gehören. Ohne Spitzenstellung in Forschung und Technologie keine Spitzenstellung in der Wahrnehmung moralischer Verantwortung.« Wenn sie uns damit etwas anderes sagen will, als dass sie völlig verrückt geworden ist, dann doch wohl: Der Wertestandort muss dereguliert werden, aufs Menschenbild ist, wenn die Industrie pfeift, endgültig gepfiffen.

Auch andere Werte wanken, und was das Asylrecht betrifft, so mag Merkel sich dem in schweren Kämpfen errungenen Konsens fast aller Parteien nicht verweigern: »Wir müssen in Deutschland darüber nachdenken, unser Grundrecht auf Asyl als Individualrecht in Frage zu stellen.« Im November des vergangenen Jahres hatte sie über das große Ganze nachgedacht und präsentierte einen programmatischen Entwurf mit dem Titel »Die Wir-Gesellschaft«. »Nach dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft zu Beginn des letzten Jahrhunderts erleben wir jetzt den Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. In der so genannten Neuen Ökonomie treten Informationen und ihre Verbreitung an die Stelle von Rohstoffen, Maschinen, Ausrüstungen und klassische Erwerbsarbeit.«

Nun gut, diesen Unfug hat sie irgendwo abgeschrieben, daran glaubten noch vor wenigen Monaten viele. Merkels geistiges Eigentum dürfte allein die »Neue Soziale Marktwirtschaft« sein, in der eine »Wir-Gesellschaft« aus dem »umfassenden Bekenntnis zum Wettbewerb« entsteht: »Auch in die sozialen Sicherungssysteme werden mehr Wettbewerbselemente Einzug halten.« Ihr Vorgänger Wolfgang Schäuble wusste noch, dass es einen besonderen Klebstoff braucht, um die Gesellschaft zusammenzuhalten, wenn erst der Sozialstaat zerschlagen ist, und empfahl die völkische Identität.

Merkel schreibt »Wettbewerb« neben »Wir-Gesellschaft« und denkt sich nichts dabei. Sie habe ja auch, bemerkte Warnfried Dettling, einer der führenden konservativen Köpfe, keinen wirklichen Beitrag zu einer programmatischen Debatte leisten, sondern eine »Duftmarke« setzen und ein »Ambiente« schaffen wollen. Das also ist aus den großen Hoffnungen geworden: In der CDU macht der Hund jetzt die Innenarchitektur.