Rasterfahndung trifft ausländische Studenten

Kalter Herbst auf dem Campus

Die Aktionen gegen den Terror haben begonnen. Ausländische Studenten werden bereits zu Objekten der Rasterfahndung.

Früher habe ich mich vor dem iranischen Geheimdienst versteckt - jetzt stehe ich vielleicht auf der Liste des deutschen Geheimdienstes.« Majid R. Zadeh vom AusländerInnen-Referat der Freien Universität Berlin (FU) befindet sich in einer kuriosen Situation. Wegen seiner Zugehörigkeit zur iranischen Opposition ist er aus dem Land geflohen, und jetzt gerät er als potenzieller islamistischer Terrorist in die Rasterfahndung. Zadeh ist kein Einzel- oder Spezialfall, was ihm geschieht, entsteht nahezu zwangsläufig aus der Funktionsweise dieser Fahndung und aus der allgemeinen Stimmung in Deutschland nach den Anschlägen in den USA.

Denn seit dem 11. September hat sich die Situation für viele Migranten in Deutschland verschlechtert. Der Parteienstreit um die Definitionshoheit beim Thema Innere Sicherheit wird wie üblich hauptsächlich auf ihrem Rücken ausgetragen. Migranten werden nicht mehr nur als kriminelle Faulpelze verdächtigt, sondern auch noch als islamistische Terroristen.

Zur gewohnten Schikane der Verordnungen und Gesetze kommt das Arsenal der Terrorbekämpfung hinzu. Da sie pauschal - sozusagen als Gemeinschaft - verdächtigt werden, brechen aber auch unter den Migranten politische Differenzen umso deutlicher auf. Aus dieser Mischung entsteht diesmal kein heißer Herbst, sondern ein kalter.

Die Terrorhysterie wurde noch einmal durch den Wahlerfolg der Schill-Partei in Hamburg verstärkt. Seit dem triumphalen Durchmarsch Ronald Schills heißt es auch an der Elbe: Habemus Haider. Die übrigen Fundamentalisten der Inneren Sicherheit halten mit. Schon vor der Wahl in Hamburg wurde die angekündigte Vorlage eines Zuwanderungsgesetzes auf unbestimmte Zeit verschoben. Wie vorauszusehen war, wird das Gesetzeswerk jetzt allseits in Frage gestellt. Großer Elan wird nicht mehr spürbar, wenn die Bundesregierung verkündet, das Zuwanderungsgesetz sei nicht aufgeschoben. Nach dem Willen von Innenminister Otto Schily soll nun erstmal nur ein Teil davon in Kraft treten. Vor allem der Zugriff der Polizei und der Nachrichtendienste auf Daten des Ausländerzentralregisters soll schnell ermöglicht werden.

Der Datenzugriff erfolgt mit der Rasterfahndung. In Hamburg, wo mehrere der mutmaßlichen Attentäter studierten, wurde die erste Rasterfahndung unter Universitätsstudenten eingeleitet. Sie wurde mittlerweile auf die Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ausgedehnt. Gesucht werden so genannte »Schläfer«, Personen, die unter dem Deckmantel eines völlig unauffälligen, »normalen« Lebens Terroranschläge planen.

In Berlin betrifft die Rasterfahndung bislang die Freie Universität, die Humboldt Universität (HU), die Technische Universität (TU) und die großen Fachhochschulen. Sie müssen dem Landeskriminalamt die Daten von Studenten aus 15 arabischen Ländern übergeben. Die Angaben umfassen Namen, Vornamen, Geburtsdaten, Wohnorte, Religionszugehörigkeit und Beschäftigungsverhältnisse der Personen, die potenziell der Zielgruppe angehören. Diese Angaben werden dann mit diversen anderen Datensätzen kombiniert, um mögliche Täter zu ermittlen. Wer diese Datenvergleiche anstellt und wo die Daten landen, ist unklar.

Die Kriterien, mittels denen die »Schläfer« ermittelt werden sollen, entsprechen ironischerweise genau jenen, die im vergangenen Jahr den »nützlichen Ausländer« charakterisierten: Sie sollen männlich und völlig unauffällig sein, keine finanziellen Zuwendungen benötigen und ein technisches Fach studieren. Das exotische Idealbild eines den Standort Deutschland bereichernden GreenCard-Ausländers verwandelte sich über Nacht in das Phantombild eines im Klandestinen wirkenden Taliban-Terroristen. Und bei der Suche nach ihnen werden wahllos Daten gesammelt.

Die Universitäten reagieren ebenso unterschiedlich auf die Rasterfahndung wie die Studentenvertretungen und sogar die Betroffenen. Während die TU und die FU widerspruchslos alle gewünschten Datensätze aushändigten, weigerte sich die Humboldt-Universität zunächst. Unter Druck gab sie dann einen reduzierten Datensatz weiter. Auch der ReferentInnenrat der HU und der Asta der TU reagierten schnell. Ihr Protestpapier mit dem Titel »Ich bin Araber und das ist auch gut so« wendet sich gegen die »durch rassistische Vorverurteilung motivierte Einschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte«. Es dränge »sich die Vermutung auf, dass die Opfer der schrecklichen Ereignisse in den USA zu Wahlkampfzwecken instrumentalisiert werden sollen«.

Instrumentalisieren will das Ereignis auch der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Er behauptet, dass die Terroristen im Umfeld linker Studentenvertretungen aufzuspüren seien. Tatsächlich ist die starke Präsenz islamistischer Gruppen in Studentenparlamenten ein Faktum. Ein solches Bündnis bekam an der TU 1997 dreimal mehr Stimmen als die linke AusländerInnen-Liste.

Aber gerade das AusländerInnen-Referat, so Majid R. Zadeh, habe stets auf einer strikten Trennung von Religion und universitären Angelegenheiten bestanden. Der RCDS unterschlage, dass er eigentlich der einzige Bündnispartner der islamistischen Gruppen gewesen sei, behauptet Majid.

Tatsächlich bekundet der RCDS auf seiner Homepage seine Solidarität mit der algerischen Studentenorganisation Union Générale des Etudiants Libres (UGEL). »Während woanders nur geredet wird, hilft der RCDS konkret mit, dass die Brücke zu unseren islamischen Freunden gefestigt wird«, wird der RCDS-Bundesvorsitzende Lars Kasischke zitiert. Die UGEL pflegt Kontakte zum Mouvement de la Société pour la Paix (MSP), einer Gruppe, die 1997 aus der algerischen Hamas hervorgegangen ist und heute als gemäßigt bezeichnet wird. Ihr stockreaktionäres Programm steht jedoch der Ideologie der algerischen Islamischen Heilsfront (FIS) in nichts nach.

Es sind vor allem die linken Organisationen von MigrantInnen in den Allgemeinen Studentenausschüssen, die teils schon seit einem Jahrzehnt den Widerstand gegen organisierte radikale Islamisten an deutschen Universitäten betreiben. So berichtet Aycan D. von der TU, dass Asta-Mitglieder von islamistischen Studentengruppen als »kommunistische Terroristen« bekämpft worden seien. Es sei zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen.

Bei vielen MigrantInnen führen die gegenwärtig diskutierten und zum Teil bereits angelaufenen Anti-Terror-Maßnahmen zu Widersprüchen und Auseinandersetzungen. Völlig neue Fragen stellen sich: Inwieweit soll man sich mit dem politischen Gegner solidarisieren, wenn er von rassistischen Maßnahmen betroffen ist? Die strikte Abneigung mancher MigrantInnnen, sich für die Rechte des politischen Gegners einzusetzen, führt auf der anderen Seite dazu, dass insbesondere Araber sich diffamiert und pauschal als Antisemiten verurteilt sehen.

Auch die Aufhebung des so genannten Religionsprivilegs im Vereinsrecht wird in diesem Zusammenhang diskutiert. Ist die Aufhebung Bestandteil eines antiislamischen Rassismus oder bedeutet sie lediglich die zu begrüßende und längst überfällige Säkularisierung eines religionsfixierten deutschen Vereinsrechtes, das rechtsextremen Gruppierungen für die Verbreitung ihrer Propaganda nützlich ist? Objektiv gesehen stimmt beides.

Das AusländerInnen-Referat der FU berichtet jedenfalls von zahlreichen Drohbriefen, in denen das Referat vor einer Parteinahme für Ausländer gewarnt wird.

Und in der Arbeitswelt sieht es nicht anders aus. Der Vorsitzende der IG-Metall, Klaus Zwickel, musste am vergangenen Wochenende auf einer Tagung mit dem Thema »Rechtsextremismus und Gewerkschaften« einräumen, dass in den Betrieben eine »latente Stimmung gegen anders aussehende Menschen« zu bemerken sei. Der Herbst hat begonnen.