Politische Konzepte der CDU/CSU

Konservativ mit Herz

Nicht nur die Kanzlerfrage beschäftigt derzeit die CDU/CSU. Auch das richtige politische Konzept für die Bundestagswahl im nächsten Jahr wird gesucht.

Obwohl es derzeit schon viel Fantasie erfordert, hoffen die Konservativen in Deutschland doch auf eine allgemeine politische Trendwende in naher Zukunft. Schließlich sind bereits die USA mit George W. Bush wieder fest in konservativer Hand, und mit Österreich und Italien werden inzwischen zwei europäische Länder von rechtskonservativen Regierungen geführt. Der Bayernkurier als Stimme der CSU frohlockte nach der Wahl des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi: »In Europa bröckelt die linke Vorherrschaft.«

Um den Funken des Erfolgs auf die deutschen Konservativen überspringen zu lassen, sollte der Wahlsieger aus Italien auf dem CSU-Parteitag in Nürnberg Mitte Oktober auftreten. Die Aufmerksamkeit der Medien schien gewiss, doch Termingründe verhinderten Berlusconis Anreise.

Immerhin ist der künftige programmatische Kurs der Union in Arbeit. Gute Chancen hat das Konzept des »Compassionate Conservatism«, das es den Parteistrategen der CSU angetan hat. Der mitfühlende Konservatismus war ein zentrales Element im Wahlkampf von George W. Bush. Schon bald nach seiner Wahl zum Präsidenten wurde das Konzept auch unter deutschen Konservativen diskutiert. »Kann der mitfühlende Konservatismus ein Erfolgsrezept für die bürgerlichen Parteien in Europa sein?«, fragte Chefredakteur Reinhard C. Meier-Walser in Politische Studien, der von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung herausgegebenen Zeitschrift.

Bush nutzte das Konzept, um das Image des Konservativen, der sich nicht für die sozial Schwachen und Marginalisierten interessiert, abzulegen. Gleichzeitig konnte er damit die Forderungen nach Steuersenkungen erfüllen. Denn der »mitfühlende Konservatismus« leistet beides. Er propagiert den Rückzug aus dem staatlichen Wohlfahrtssystem, ohne jedoch die Menschen ins soziale Elend fallen zu lassen.

Die Lösung soll die aus der katholischen Soziallehre stammende Idee der Subsidiarität sein. Danach sind für die Erfüllung sozialer Aufgaben vor allem die kleinsten nichtstaatlichen Gemeinschaften verantwortlich. Zuerst also die Familie, dann die Nachbarschaft, der Landkreis, und erst an letzter Stelle der Nationalstaat. So können soziale Aufgaben von der staatlichen und gesellschaftlichen Ebene ins Private verlagert und Steuern eingespart werden.

Kirchen, private Hilfswerke und Stiftungen sollen tätig werden. Am effektivsten seien religiöse Organisationen: »Wenn Sie das Verhalten eines Sozialhilfeempfängers oder eines Obdachlosen radikal ändern wollen, dann geht das am besten durch eine religiöse Bekehrung«, so Marvin Olasky, ein Vordenker des »mitfühlenden Konservatismus«, der Bush seit 1993 in sozialpolitischen Fragen berät. Dabei will Olasky mehr als eine punktuelle Erleichterung für die Staatskasse. Er geht so weit, für die vollständige Abschaffung staatlicher Sozialpolitik zu plädieren und jegliche Regulierung des Kapitalismus abzulehnen.

Das Konzept des »mitfühlenden Konservatismus« beschäftigt sich nicht nur mit der materiellen Versorgung der Bevölkerung, beziehungsweise damit, wie man den Staat von dieser Aufgabe befreien könnte. Eine Aufgabe der Sozialpolitik sei es auch, die Menschen zu fordern und zu disziplinieren. Eigenverantwortung ist das Motto, wie der konservative Ideologe Myron Magnet schreibt: »Den Armen einzureden, dass sie Opfer sind - entweder des Rassismus oder der wirtschaftlichen Kräfte -, ist nicht nur falsch, sondern psychologisch destruktiv. Dadurch wird den Armen das Gefühl der Eigenverantwortung und das Selbstvertrauen geraubt. Wer als Opfer behandelt wird, bleibt ein Opfer, weil ihm alles ausgetrieben wurde, was ein Mensch braucht, um sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.«

In Deutschland wird die Diskussion um das US-Konzept vor allem innerhalb der CSU geführt. Immerhin überwiegen die Stimmen, die sich gegen eine direkte Übernahme dieses Konzepts aussprechen, da die gesellschaftlichen Bedingungen in den beiden Ländern doch sehr unterschiedlich seien. Stattdessen will man die Diskussion als Anstoß für eine programmatische Neuausrichtung der CDU/CSU verstanden wissen. Markus Ferber, ein CSU-Abgeordneter im Europaparlament, sieht eine Reihe von Parallelen des US-Konzeptes zum »geistigen Fundament der europäischen Christdemokratie«. Vieles, was nun in den USA gefordert würde, sei in Deutschland bereits Realität, vor allem ein sozial abgefederter Kapitalismus und die Idee der Subsidiarität. »Der 'mitfühlende Konservatismus' bringt also in dieser Hinsicht nichts Neues, sondern bestätigt eine alte Erfolgsformel der europäischen Christdemokratie und der Konservativen. George W. Bush gilt das Verdienst, eine richtige Philosophie erfolgreich adaptiert und um eine amerikanische Besonderheit erweitert zu haben.«

Für die Politik der Union heißt das: »Wenn sich Europas Christdemokraten, Christsoziale und Konservative auf diese Prinzipien besinnen, dann wird ihnen auch mittelfristig wieder auf breiterer Front Erfolg beschieden sein.« Ganz ähnlich setzt auch der Generalsekretär der CSU, Thomas Goppel, auf die eigenen Grundlagen: »Die Leitidee des christlichen Menschenbildes muss wieder vermehrt in den Mittelpunkt unserer Politik rücken und übersetzt werden. Denn dieses Menschenbild ist alternativlos.« Compassionate conservatism auf bayerisch eben.

Und so könnte das Konzept auch eher in der Methode als in den Inhalten ein Vorbild für Europa sein. Nämlich zur Erschließung neuer oder verlorener Wählerschichten. Denn es geht um die Besetzung des Begriffes der »politischen Mitte« von rechts, die Entwicklung einer Erfolg versprechenden politischen »Message« und deren Instrumentalisierung im Wahlkampf. »Neue Soziale Marktwirtschaft« und »Aktive Bürgergesellschaft« sind die konzeptionellen Begriffe der Union. »Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass sich die Debatte zwischen Drittem Weg und compassionate conservatism in Deutschland konkret als eine Debatte um den Anspruch auf den Begriff der 'Sozialen Marktwirtschaft' darstellt«, so Manuel Fröhlich in der Politischen Meinung, dem Organ der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Und tatsächlich: Eigenverantwortung, Subsidiarität, christliche Werte und Familie sind die Schlagworte, die bei der CDU und der CSU die Leitlinien der Politik prägen.

Da passt es nur zu gut, wenn der ehemalige CSU-Europaabgeordnete Otto Habsburg als Antwort auf die Terrorangriffe vom 11. September im Bayernkurier »eine gemeinsame Front der Gläubigen« gegen den Atheismus und Materialismus fordert.