Die zweite Runde der Rasterfahndung

Kreative Willkür

Die Rasterfahndung nach islamistischen Terroristen an den Universitäten geht in die zweite Runde. Die Fahndungskriterien wurden erweitert.

Das Berliner Landeskriminalamt scheint ein besonderes Gespür für symbolträchtige Daten zu haben. Ausgerechnet am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, forderte die Behörde von den Berliner Hochschulen, im Rahmen der Rasterfahndung nach Terroristen nunmehr auch die Daten israelischer Studenten zu übermitteln. Zuvor waren die Kriterien der Rasterfahndung stark erweitert worden. Ende Oktober beschloss das Berliner Amtsgericht, die Liste der zu rasternden Nationalitäten von 15 auf 28 zu verlängern. Außer den Daten von Israelis sollen jetzt auch die von Franzosen, Bosniern, Ägyptern, Indonesiern, Bangladeshis oder Staatenlosen an das LKA weitergeleitet werden.

Die Berliner Universitäten haben die Daten inzwischen herausgerückt. Wurden im ersten Durchgang der Rasterfahndung etwa an der Humboldt-Universität nur 24 Datensätze weitergegeben, ist deren Zahl jetzt auf 650 gestiegen. Nicht nur die Liste der verdächtigen Nationalitäten wurde erweitert. Auch die Beschränkung auf technische Studiengänge wurde fallen gelassen. Mittlerweile werden alle männlichen Studenten aus den verdächtigten Staaten im Alter zwischen 18 und 41 Jahren in die Fahndung mit einbezogen.

Besonders skurril wirkt dabei das Kriterium »vermutlich islamische Religionszugehörigkeit«. Von dieser sei nach Meinung des Amtsgerichts dann auszugehen, »wenn der Geburtsort der Person« in einem der genannten Länder liege - was nicht nur die meisten Israelis, sondern auch Franzosen und viele Bosnier in Erstaunen versetzen dürfte. Immerhin: In einem Punkt ist alles beim Alten geblieben. Auch vorher wurden bei der Suche nach so genannten Schläfern Islamisten und ihre politischen Gegner, linke Migranten und Regimekritiker, gleich behandelt.

Groteske Kriterien und allgemeine Rechtsunsicherheit bestimmen auch bundesweit die Rasterfahndung. Abgesehen von Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, in denen die fehlenden gesetzlichen Grundlagen jetzt im Eilverfahren durchgepeitscht werden, läuft sie bereits seit Anfang Oktober. Dabei herrscht kreative Willkür. Während in Hessen nach Studenten aus 22 arabischen Ländern gesucht wird, werden in Brandenburg die Angehörigen von über 30 Nationen im Alter zwischen 18 und 50 Jahren durchleuchtet. Zu dieser Zielgruppe gehören auch Türken, Philippinos, Inder sowie die neu erfundene Kategorie deutscher Staatsangehöriger mit ausländischem Geburtsort.

Besonders in Brandenburg kommt es dabei zu Chaos. Dort sind nach Auskunft der Sprecherin des Datenschutzbeauftragten, Lena Schraut, gleich die Datensätze aller Einwohner für die Rasterfahndung verwendet worden. Die Polizei sitzt nun vor einem unübersichtlichen Datenhaufen, der teilweise von Hand abgeglichen werden muss, und nutzt die Situation dazu, eine bessere Ausstattung zu fordern.

Aber auch bei der Suche nach qualifizierter Verstärkung eröffnen sich neue Probleme, klagte Heiner Wegesin, Brandenburgs oberster Verfassungsschützer. Auf der Suche nach arabischsprachigen Mitarbeitern mussten die Verfassungsschützer feststellen, dass das Profil der gesuchten Mitarbeiter dem Verdächtigenprofil aufs Haar gleicht. Merkmale für die Fahndung sind Mehrsprachigkeit, Auslandsaufenthalte und Bildungseifer. Somit erweisen sich diejenigen, die am verdächtigsten wirken, gleichzeitig auch als potenziell qualifizierteste Verfassungsschützer - und umgekehrt.

In Nordrhein-Westfalen hat man solche Probleme nicht. Dort wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. In NRW werden unabhängig von der Staatsangehörigkeit alle männlichen Studenten der Jahrgänge zwischen 1960 und 1983 gerastert. Zusätzlich wurden die Einwohnermeldeämter zur Herausgabe der Daten aller männlichen Einwohner zwischen 18 und 31 Jahren aufgefordert. Schätzungsweise handelt es sich dabei allein in Nordrhein-Westfalen um 1,4 Millionen Datensätze. Gegen diese Maßnahme haben mittlerweile Studenten aus Siegen, Essen, Duisburg, Gießen und Münster geklagt. Sie werden dabei vom fzs (freier Zusammenschluss von StudentInnenschaften) unterstützt.

Nach Auskunft von Carmen Ludwig vom fzs wurden diese Beschwerden als unbegründet verworfen. Das Landgericht Düsseldorf stützte sich dabei auf einen Passus des Polizeigesetzes, der bei »gegenwärtiger Gefahr für Leib, Leben oder die Freiheit von Personen« Rasterfahndungen für rechtmäßig erkennt. Dagegen argumentierten die Betroffenen, dass selbst vom nordrhein-westfälischen Innenminister Fritz Behrens (SPD) die Gefahrenlage nach Auskunft der Geheimdienste als »sehr niedrig« beurteilt werde. Auch das Bundesinnenministerium sehe derzeit »keinen Anlass zur Besorgnis«.

Davon ließ sich das Gericht nicht beeindrucken. Eine Gefährdung, so die Argumentation, werde mit größter Wahrscheinlichkeit eintreten. Davon sei, nachdem die Bundesregierung ihre uneingeschränkte und mit militärischen Mitteln zu beweisende Solidarität mit den USA erklärt habe, erst recht auszugehen. Dass die Gefährdung nach Meinung des Gerichts vor allem durch die Ankündigung eines deutschen Bundeswehreinsatzes seitens der Regierung verursacht wird, verdeutlicht die Tendenz, den vom Staat verschärften Ausnahmezustand wiederum als neue Begründung für Repressionsmaßnahmen zu verwenden. Die Beschwerdeführer wollen vor dem Oberlandesgericht und gegebenenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht weiterklagen.

Nach Meinung von Carmen Ludwig werde mit solchen Urteilen vor allem die juristische Schwelle für künftige Rasterfahndungen gesenkt. So müsse nur noch eine geringe Gefährdung nachgewiesen werden, um Datenübertragungen zu legalisieren, die seit einem Grundsatzurteil von 1983 immerhin noch als Grundrechtseingriff gelten. Nach ihrer Einschätzung sei nach der Verabschiedung der neuen Sicherheitsgesetze eine weitere Rasterfahndung, die sich auf Kontobewegungen von Studenten bezieht, zu erwarten. Die gesetzlichen Grundlagen werden dafür gerade geschaffen.

Für Jan Fischer vom RefRat der Humboldt-Universität Berlin ist die erweiterte Rasterfahndung allerdings auch ein Anzeichen des bisherigen Fahndungsmisserfolgs. So heißt es in einer Stellungnahme des RefRats, dass »die deutsche Justiz, Polizei und Politik lediglich Aktivität (simulieren), um über fehlende Fahndungserfolge hinwegzutäuschen.«

Erfolge hat die Rasterfahndung zwar nicht vorzuweisen, aber Konsequenzen - vor allem für Migranten. An einigen Berliner Unis ist der Beratungsbedarf für Migranten eklatant angestiegen. Nach Auskunft von Constanze Schwärzer vom AusländerInnenreferat der FU Berlin geht es dabei auch um die Zunahme von offenem Rassismus und offener Diskriminierung. Latente Diskriminierung habe es zwar immer gegeben, offene Diskriminierung sei aber gegenüber StudentInnen in den letzten Jahren zurückgegangen. Jetzt gebe es wieder mehr Fälle, in denen Bewerber für Jobs oder Wohnungen unmissverständlich wegen ihrer Staatsangehörigkeit abgelehnt würden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese neue Qualität der Diskriminierung auch gegenüber Bosniern, Indonesiern, Franzosen oder Israelis zeigt.