Eröffnung der neuen Wehrmachtsausstellung

Totaler Kontext

Man erkennt schon am Titel, dass alles komplexer geworden ist. Im Titel der alten Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944« stand gleich vorne, worum es ging: darum, dass die deutsche Wehrmacht einen rassenideologisch, imperialistisch und nationalistisch motivierten Angriffs- und Vernichtungskrieg führte. Dieser ermöglichte nicht nur den Holocaust, sondern wurde von der Organisation Wehrmacht auch selbst betrieben. Jetzt steht das Ergebnis hinten und hat Dimensionen: Die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944« vom Hamburger Institut für Sozialforschung wird nach einer grundlegenden Überarbeitung ab heute in Berlin-Mitte gezeigt.

Eigentlich sollten nach dem Bericht der Historikerkommission lediglich sachliche Fehler, Ungenauigkeiten und Flüchtigkeiten bei der Verwendung des Materials sowie die Art der Präsentation überarbeitet werden. Stattdessen entstand eine gänzlich neue Ausstellung. Dennoch bleiben die zentralen Thesen: Die Institution Wehrmacht war an der Planung und Durchführung des Vernichtungskrieges beteiligt, geltendes Kriegs- und Völkerrecht wurde missachtet.

Die Dimensionen des Vernichtungskrieges werden nun in der um ein mehrfaches vergrößerten Ausstellung in verschiedenen Räumen dargestellt: der Völkermord an den sowjetischen Juden, die angebliche Partisanenbekämpfung, die Behandlung der Kriegsgefangenen, die Deportationen der Zwangsarbeiter und der Terror gegen die Zivilbevölkerung.

Eingearbeitet wurden allerdings auch Elemente, die nach Angaben von Jan Philipp Reemtsma die Verbrechen der Wehrmacht »in ihren Zusammenhängen von Intentionalität und situativer Dynamik« zeigen sollen. Das bedeutet, dass jetzt die unterschiedliche Beteiligung verschiedener NS-Institutionen an den Verbrechen herausgestellt wird. Einsatzgruppen, höhere SS- und Polizeiführer, Waffen-SS, Ordnungspolizei und Zivilverwaltung werden beleuchtet. Damit steigt die wissenschaftliche Präzision, mit Sicherheit aber nicht die Schärfe der Aussagen der Ausstellung.

Gezeigt werden zusätzlich noch die Kriegsverbrechen der Wehrmachtsverbündeten und auch die der Roten Armee. Statt des totalen Vernichtungskrieges der Wehrmacht wird dadurch der Kontext des Krieges selbst total. Dennoch, so wird herausgestellt, um auch ja genug zu differenzieren, boten sich dem einzelnen Akteur immer noch Handlungsspielräume.

Aus dem »neuen Zugang« zur Ausstellung, den Reemtsma schaffen wollte, ist eine andere Aussage geworden. Statt des Eisernen Kreuzes als Symbol des deutschen Militarismus steht jetzt ein Rondell im Zentrum der Ausstellung, das über Kriegs- und Völkerrecht im Jahr 1939 informiert und die Verbrechen vor diesem Hintergrund reflektiert. Ob gewollt oder unglücklicher Zufall - damit bietet die Ausstellung an, sich darüber zu unterhalten, ob nicht der Vernichtungskrieg der Wehrmacht im Rahmen des damals geltenden Rechts lediglich ein bisschen übertrieben war.

Dieses Angebot zum historischen Kompromiss ist bei der NPD aber wohl nicht angekommen. Unter dem Motto »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht« mobilisiert sie für den 1. Dezember zu einer Demonstration gegen die Ausstellung, die unter anderem durch die direkte Umgebung des Ausstellungsortes führen soll. Dort liegt damals wie heute das kulturelle Zentrum des jüdischen Berlin.

Die Ausstellung ist bis zum 13. Januar 2002 in den Kunst-Werken Berlin, Auguststr. 69, zu sehen. Treffpunkt für die Demo gegen den NPD-Aufmarsch: 1. Dezember, um 10.30 Uhr am Hackeschen Markt.