Repressalien gegen Kokabauern

Die Kokaleros kommen

Auf die Revolte bolivianischer Kokabauern antwortet die Regierung mit Repression. Nun mischen auch paramilitärische Einheiten mit.

Der Terrorismus und der Drogenhandel sind siamesische Zwillinge und Feinde des 21. Jahrhunderts«, verkündete der bolivianische Präsident, Jorge Quiroga Ramírez, in der vergangenen Woche in La Paz. Diesem offiziellen Antiterrorismus entsprechend gehen die Militärs verstärkt und brutaler gegen die organisierten Kokabauern Boliviens vor. Seit Ende September erschossen sie drei Kokaleros, 400 von Schüssen Verletzte und über 4 000 willkürlich Festgenommene wurden gezählt. Berichte über schwere Folter häufen sich.

In einem Interview, das die Tageszeitung Los Tiempos mit einem anonymen Aussteiger aus höheren Militärkreisen führte, kamen zudem Informationen an die Öffentlichkeit, nach denen in der zentral gelegenen tropischen Region Chapare unter den schätzungsweise 10 000 Soldaten neuerdings auch Spezialeinheiten aktiv sind, die die »schmutzigen Jobs« erledigen. Die Repressionswelle wurde von der offiziellen örtlichen Menschenrechtsorganisation, der Kirche und dem staatlichen »Anwalt des Volkes« bestätigt. Die Regierung rechtfertigt sie mit der Notwendigkeit, die Straßenblockaden der Kokaleros zu beseitigen.

»Jetzt wird es endgültig zum bewaffneten Kampf kommen, denn das werden wir der Regierung nicht so leicht verzeihen«, erklärte Evo Morales, Anführer der Kokaleros und Abgeordneter im nationalen Parlament, gegenüber Los Tiempos. Dies dürfte allerdings mehr ein Aufruf zur inneren Geschlossenheit sein als eine wirkliche Option, denn die Kokaleros verfügen weder über genügend Waffen noch über eine organisatorische Struktur, um eine Guerilla oder gar eine Armee aufzubauen.

Im ganzen Chapare-Gebiet, durch das der wichtigste Verkehrsweg des Landes von Santa Cruz nach Cochabamba führt, herrscht Anspannung. Die Kokabauern haben eine neue Taktik entwickelt. Mit Menschenketten umzingeln sie Militärbasen und -konvois, um zu verhindern, dass die Einheiten ihre Felder zerstören. Sie fordern die Legalisierung von einem »Cato« Koka-Anbaufläche pro Familie, rund 1 600 Quadratmetern Land, das ihre Existenz sichern soll. Präsident Quiroga hingegen hält an der Politik der Vernichtung der Kokafelder fest. Offiziell ist dieses Ziel fast erreicht. Innenminister Leopoldo Fernández zufolge existieren noch 6 000 Hektar Kokafelder. Rechnet man mit vierzigtausend Familien, deren Existenz von der Koka-Ökonomie abhängt, so entspricht die Fläche in etwa den Forderungen nach einem »Cato« pro Familie.

In der vergangenen Woche kam es zwar zu Verhandlungen zwischen der Regierung und den Kokaleros, ihre Erfolgsaussichten aber sind gering. Quiroga bot monatlich umgerechnet etwa 80 Euro für jede betroffene Familie für die Dauer von 15 Monaten an; dafür sollen alle Kokafelder aufgegeben werden. Morales lehnte diesen Vorschlag entschieden ab. In der Vergangenheit hatte die unter Druck geratene Regierung Scheinverhandlungen geführt, um die aufgebrachten Massen zu beschwichtigen; die dabei unterzeichneten Verträge hatte sie jedoch nicht eingehalten.

Indessen entflammte im Distrikt Tarija im Süden des Landes ein weiterer Konflikt. Anfang November erschoss eine Rotte von 30 bewaffneten Großgrundbesitzern sechs Bauern, die einen Landstrich besetzt und kultiviert hatten. Bei dem Überfall auf die Bauern, denen etwa 250 weitere Mitglieder der Landlosenbewegung Sin Tierra aus den umliegenden Dörfern zu Hilfe geeilt waren, kam auch der mutmaßliche Anführer der paramilitärischen Latifundisten, Teófilo Urzagasti, ums Leben.

Unter der Parole der »Verteidigung gegen die Invasion der Bauern« sind in den Distrikten Santa Cruz und Tarija zivile und paramilitärische Organisationen entstanden. Sie stellen eine Reaktion auf die seit über einem Jahr schwelenden sozialen Kämpfe in Bolivien dar, die nach dem Hochland und Chapare nun auch den Südosten des Landes erfasst haben. Dem Dokumentations- und Informationszentrum Bolivien (Cedib) in Cochabamba zufolge rekrutierten die Paramilitärs in Santa Ana del Rosa im Distrikt Santa Cruz 192 bewaffnete Personen. Sie nennen sich »Verteidigungskomitee«. Diese Gruppen verstehen sich als Ergänzung zum Militär und bestehen neben den traditionellen Großgrundbesitzern auch aus mittelständischen und kleinen Rindfleischproduzenten.

Neben der Bekämpfung der Landbesetzer spielen auch interregionale Interessenkonflikte eine wichtige Rolle. Santa Cruz, die im Tiefland gelegene und mit rund 800 000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Boliviens, ist das Zentrum der bolivianischen Ökonomie und der einzige Bereich, der halbwegs lukrativ wirtschaftet. Die Auswirkungen der Straßenblockaden der vergangenen Monate und des letzten Jahres trafen vor allem die Cruzenos, da jedesmal deren Handelswege abgeschnitten wurden.

Auch auf der politischen Ebene übt das ökonomische Establishment mächtigen Druck aus. In der vergangenen Woche titelte die Internetzeitung Bolivia.com: »Santa Cruz stellt der Regierung ein Ultimatum.« Nach einer Demonstration mit 50 000 Teilnehmern in Santa Cruz forderten die Organisatoren »außergewöhnliche Maßnahmen« zur Beendigung der Krise. Sollte Quiroga nicht schnell etwas unternehmen, werde er »mit den Konsequenzen zurechtkommen« müssen, drohten sie. Als erstes Zeichen forderten sie die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Evo Morales und ein Ende der Subversion im Chapare. Vor diesem Hintergrund agieren die paramilitärischen Gruppen als Söldner einer breiten Schicht von neoliberalen Hardlinern, die auch politisch und gesellschaftlich einflussreich sind.

Die »Verteidigungskomitees«, die selbst zur Waffe greifen, sind ebenso wie die Sin Tierra-Bewegung (MST) in Bolivien eine neue Erscheinung. In Brasilien, Ecuador und Mexiko machen die Landlosenorganisationen seit Jahren auf sich aufmerksam; in Bolivien organisierten sich seit 1999 zunächst lediglich einige versprengte landlose Bauern, Tagelöhner und Migranten unter diesem Namen. Im Oktober organisierten sie einen MST-Kongress in Santa Cruz, beschlossen den Ausbau ihrer Organisation und kündigten die Übernahme privater Latifundien an. Nach Angaben ihres Vorsitzenden, Angel Duran, gibt es derzeit 250 000 Landlose, die sich vorwiegend als Tagelöhner in den Städten durchschlagen.

Die Gründe für das schnelle Wachstum des MST und die Zunahme der Kämpfe dürften vor allem die gegenwärtige Rezession und das misslungene Programm INRA sein, das ursprünglich die Umverteilung von Land zugunsten der Kleinbauern vorsah, in der Praxis aber den einflussreichen Großgrundbesitzern neues Land zuschanzte. Im Rahmen des seit 1996 laufenden Programms wurden bisher zwar insgesamt 38 Prozent aller vorgesehenen Ländereien privaten Nutzern zugewiesen. Die Indigenas erhielten jedoch nur 3,8 Prozent des zu verteilenden Landes.

Die Landfrage hat weiterhin eine immense Bedeutung. Noch immer verfügen 4,5 Prozent der landwirtschaftlichen Produzenten über 70 Prozent des agrikulturellen Eigentums.