Das sächsische Bernsdorf, ein Jahr nach dem Tod eines Neonazis

Gefährliches Reservat

Vor einem Jahr tötete im sächsischen Bernsdorf der Vietnamese Tung D. einen Neonazi in Notwehr. Seither haben viele Migranten die Stadt verlassen. Wer geblieben ist, wird bedroht.

Heimatkunde Ost: Die Stadt Bernsdorf in Sachsen ist mit ihren knapp 6 000 Einwohnern das Tor zur Oberlausitz. Der sächsische Ort, so heißt es einladend auf der städtischen Website, »liegt in dem von der Unesco anerkannten 26 000 Hektar großen Biosphärenreservat 'Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft' und ist umgeben von Seen, Mooren, Sümpfen, Feucht- und Trockenwäldern«. Sümpfe finden sich übrigens nicht nur in der Umgebung des Städtchens. Um Bernsdorfs braunen Sumpf zu begutachten, braucht man das Stadtzentrum gar nicht erst zu verlassen.

Wen es am kommenden Samstag dorthin verschlägt, der sollte sich vorsehen. Denn an diesem Tag planen so genannte Freie Nationalisten einen Trauermarsch in Bernsdorf. Sie wollen des Neonazis Matthias Förster gedenken, der vor einem Jahr, am 9. Dezember 2000, starb.

An jenem Tag attackierten 20 Skinheads den Stand einer vietnamesischen Familie auf dem Weihnachtsmarkt, sie brüllten rassistische Parolen und schmissen die Warenauslage um. Pöbeleien, Beleidigungen, körperliche Gewalt - für die wenigen Vietnamesen, die in Bernsdorf damals wohnten, gehörten Anfeindungen zum Alltag. Dass sich einer von ihnen gegen den rechten Alltagsterror wehren könnte, damit hatten die Angreifer wohl nicht gerechnet. Der 15jährige Sohn der Familie, Tung D., verteidigte sich jedoch mit einem Messer. Einer der Angreifer starb, ein anderer wurde schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Die Bernsdorfer Neonazis haben seither einen Märtyrer.

Bereits am Tag nach den Ereignissen verließen die meisten vietnamesischen Familien aus Angst fluchtartig den Ort, eine Woche später wohnten überhaupt keine Vietnamesen mehr in der Stadt. Niemand in Bernsdorf versuchte, sie zum Bleiben zu bewegen. Kurz darauf erklärten die Rechten Bernsdorf für »fidschifrei«.

»Dass die vietnamesischen Familien Bernsdorf verlassen haben, war sehr vernünftig von ihnen«, kommentiert heute das sozialdemokratische Stadtratsmitglied Peter Brüggemann die damaligen Ereignisse lapidar. Er gesteht ein, dass der Schutz von Migranten vor rassistischer Gewalt »von staatlicher Seite nicht gewährleistet werden« könne. »Das ist ja das Problem. Wenn die vietnamesischen Kinder in die Schule gehen und von irgendwelchen irregeleiteten Fanatikern weggefangen werden, macht doch niemand etwas dagegen.«

Dieses Lehrstück über die Zivilgesellschaft ostdeutscher Provenienz fand im Mai mit der Verurteilung von Tung D. zu einer vierjährigen Haftstrafe vor dem Landgericht Bautzen einen weiteren Höhepunkt. Der Revisionsantrag wurde erst kürzlich abgelehnt. Nach dem Abbüßen seiner Strafe droht dem Vietnamesen die Abschiebung. Bis dahin soll er in der sächsischen Jugendstrafanstalt Zeithain den Rest seiner Strafe absitzen.

Doch selbst dort ist der junge Vietnamese vor Übergriffen nicht sicher. In Zeithain sitzen einige Neonazis ein, von denen mindestens einer aus Bernsdorf stammt. Tung D.s Anwältin Petra Schlagenhauf hat deshalb gegenüber der Jugendgerichtshilfe darauf gedrängt, dass ihr Mandant von diesen Mitgefangenen getrennt wird.

Wie Schlagenhauf gegenüber Jungle World zu Protokoll gibt, sei ihr Mandant mit dem Gerichtsurteil relativ gut davon gekommen, auch wenn die Umstände, die von der Verteidigung geltend gemacht wurden, sich nicht strafmildernd auswirkten. Wahrscheinlich wird Tung D. im April des nächsten Jahres entlassen.

An der Situation in Bernsdorf scheint sich seit dem 9. Dezember des vergangenen Jahres nichts verändert zu haben. »Immer wieder ist es zu Übergriffen auf anders Denkende und anders Aussehende gekommen. Die Migranten agieren alle auf Zehenspitzen, sehr viele haben deutliche Angst«, berichtet die evangelische Pastorin Angelika Scholte-Reh.

So wurden Anfang Oktober bei allen Geschäften, die von Migranten betrieben werden, nachts die Fenster eingeworfen. Für Walter Großmann, ein Stadtratsmitglied der CDU, ist ein ausländerfeindlicher Hintergrund jedoch »konstruiert«: »Es könnte ja auch der Frust eines Trunkenboldes, der nichts mehr zu trinken bekommen hat, gewesen sein.«

Die Verharmlosung rassistischer Gewalt scheint eine Spezialität des Lokalpolitikers zu sein. Anfang März verkündete er, dass die Rechten »meist von außen einfliegen«. Das war kurz nachdem mehrere Jugendliche, unter ihnen auch Bernsdorfer, versucht hatten, einen Angolaner aus einem fahrenden Regionalzug zu werfen.

Neben Verharmlosungen der rechten Szene dominiert in Bernsdorf vor allem Konzept- und Ahnungslosigkeit, wie dem Rechtsextremismus begegnet werden soll. Die Jugendorganisation Internationaler Bund (IB), an die das Problem delegiert werden sollte, will zum Jahresende ihre Arbeit einstellen. Nach Ansicht der beiden Stadträte Peter Brüggemann und Walter Großmann ist die vom IB praktizierte so genannte akzeptierende Jugendarbeit ohnehin gescheitert. Die Nazis hätten die Einrichtung des Jugendzentrums zerstört, eine »starke Hand« habe gefehlt, und auch die finanzielle Unterstützung der Stadt war bei weitem nicht ausreichend. So bleibt große Ratlosigkeit und der unverbindliche Appell an die Zivilcourage der Erwachsenen, doch mal mit guten Worten an die Jugendlichen heranzutreten.

Daran mangelt es dem Bernsdorfer PDS-Bürgermeister Eberhard Menzel nicht - ebensowenig wie an guten Gründen, keine Auskünfte zu geben: »Was ich Ihnen sagen würde, könnten Sie sowieso nicht schreiben.«

Einen Mann, der von der Lokalzeitung Lausitzer Rundschau wegen der vielen Nazi-Slogans auf seiner Kleidung als »wandelnde Reichskriegsflagge« beschrieben wurde, präsentierte Menzel unlängst als den »besten Mann in der Freiwilligen Feuerwehr«. Auf die Frage, welche politische Signalwirkung ein solches Vorgehen habe, antwortet Großmann: »Integrationsansätze zu finden, muss man doch dem Bürgermeister überlassen.«