Landser mordeten ängstlich

Die neue Ausstellung ist gut angekommen. Das Bekenntnis der Wehrmachtsverbrechen legitimiert die deutsche Interventionspolitik.

Warum eigentlich die deutsche Rechte so allergisch auf die erste Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung reagierte, fragte sich Klaus Theweleit im Juni 1997. Drei Monate vorher, als die Wanderausstellung nach München kam, hatte der dortige Vorsitzende der CSU, Peter Gauweiler, einen Aufruf verfasst und ihren Urhebern vorgeworfen, »dass sie deutsche Soldaten - die Gefallenen, die Überlebenden, die Kriegsversehrten und die langjährig Gefangenen - generell herabwürdigen und faktisch auf eine Stufe mit Kriegsverbrechern stellen. (...) Eine pauschale Verurteilung ist ein Schlag ins Gesicht von Millionen Familien, die im Krieg ihren Vater, Bruder, Sohn oder Ehemann verloren haben, und eine späte absichtsvolle Demütigung zahlloser Männer, die ehrenhaft gekämpft hatten.« Genauso sah das auch die NPD, 4 000 Neonazis marschierten damals zum Marienplatz, um gegen die Ausstellung zu protestieren.

Theweleit erkannte hinter alldem »eine Inszenierung wie im Theater«. Die Zeiten, als noch die Lehrmeinung, zahllose Mitglieder der Wehrmacht hätten auch an der Ostfront ehrenhaft gekämpft, zur Staatsräson der Bundesrepublik gehörte, als der Bundeskanzler und der sozialdemokratische Oppositionsführer noch Ehrenerklärungen für die Wehrmacht abgaben, seien vorüber, inzwischen habe jeder die historischen Tatsachen zur Kenntnis genommen.

Warum dann die Aufregung? Die Militärs, die von dieser Ausstellung »nicht emotional direkt getroffen« würden, bräuchten »natürlich die Kontinuität der Vorstellung eines 'sauberen Heeres' zur Legitimation neuer Aufgaben der Bundeswehr. In diesem Punkt ist die Ausstellung ein Schuss vor den Bug der Leute, die den verfassungsmäßigen Auftrag der Bundeswehr gern ausweiten würden. Deren Strategie wird von der Wehrmachtsausstellung empfindlich gestört.«

Damals konnte die linksliberale Ideologiekritik noch sauber unterscheiden zwischen Gut und Böse. Die taz, der Theweleit seine Analyse vortrug, war noch kein Regierungsblatt, die Rechten planten den nächsten Krieg und mussten deshalb die Geschichte des letzten zurechtfälschen, obwohl auch sie die historischen Fakten insgeheim längst anerkannt hatten.

Die Aufklärer hingegen zerstörten die Legende von der sauberen Wehrmacht, verlangten die Rehabilitation der Wehrmachtsdeserteure und die Entschädigung der Zwangsarbeiter und trugen so ihren Teil dazu bei, dass nie wieder ein Krieg ausgehen konnte von deutschem Boden.

Als im Februar 1999, wenige Wochen bevor die neue rotgrüne Bundesregierung ihren ersten Krieg begann, die Ausstellung nach Saarbrücken kam, beschwerte sich der saarländische Landesvorsitzende der CDU, Peter Müller, über die »historisch einseitige und daher tendenziöse Darstellung der deutschen Wehrmachtsgeschichte«.

Selbstverständlich seien »aus der Wehrmacht heraus Verbrechen begangen worden«, selbstverständlich sei »die Spitze der Wehrmacht Teil des verbrecherischen NS-Systems« gewesen. Deshalb müsse aber nicht jeder deutsche Soldat sich einen Verbrecher schimpfen lassen. Nur etwa ein Prozent der Wehrmachtssoldaten, behauptete Müller, habe sich an Verbrechen beteiligt. Eine pauschale Diffamierung der Wehrmacht als verbrecherischer Organisation sei nicht akzeptabel.

Die Landtagsfraktion der CDU erklärte in Zeitungsanzeigen unter der Überschrift »Unsere Väter waren keine Mörder!«, die Ausstellung betreibe »das systematische Zerstören von Nationalgefühl und Vaterlandsliebe«. Zwei Wochen später verübten Unbekannte einen Bombenanschlag auf die Saarbrücker Volkshochschule, in deren Räumen die Wehrmachtsausstellung gezeigt wurde.

Heute sind die Neonazis, wie sie am vergangenen Samstag durch Berlin marschierten, mit ihrem Protest allein. Die CDU hat sie inzwischen verlassen. Die FAZ riet 1997 dem Leiter des Hamburger Instituts, Jan Philipp Reemtsma, er möge doch statt der Wehrmachtsgeschichte die Verstrickungen seiner eigenen Familie untersuchen. Nun wird der christdemokratische Bundestagsabgeordnete Hohmann aus Fulda zum Außenseiter seiner Partei, wenn er diese Empfehlung mit Nachdruck wiederholt: »Reemtsma versucht mit der Ausstellung die Reinwaschung seiner Familie. Sie hat mit Systemnähe in der NS-Zeit Riesenprofite gescheffelt. Zweifache Opfer sind die Wehrmachtssoldaten: Damals, im Zweiten Weltkrieg, zerstörten sie mit Nikotin und Teer aus Reemtsma-Zigaretten ihre Lungen und betäubten ihr Hungergefühl. Heute sind sie als alte Männer der wissenschaftlich daherkommenden verallgemeinernden Schmähkritik der Reemtsma-Ausstellung ausgesetzt.«

Mit solchen Leuten macht sich heute niemand mehr gemein. Auch die FAZ, in der vor zwei Jahren Horst Möller, der Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, seine vernichtende Kritik der alten Ausstellung formulierte, ist mit der neuen rundum zufrieden.

Denn nun werden »eindringliche Geschichten erzählt von Wehrmachtsangehörigen mit Zivilcourage. Aus der plakativen und überaus provokativen Bilderschau, für die 1995 Hannes Heer verantwortlich war, ist nun eine auf Differenzierung und Genauigkeit setzende Dokumentenschau geworden.«

In der neuen Ausstellung scheinen alle Mängel beseitigt, die Möller der alten vorhielt. Diese sei nicht zur »entscheidenden Frage« vorgedrungen, nämlich zu »den Gründen für die extreme Barbarisierung des Kriegs im 20. Jahrhundert. Sie stellt nicht die Frage, welchen Anteil die fanatischen Ideologien von Nationalsozialismus und Bolschewismus und die Dialektik beider an dieser Entfesselung, Entgrenzung und scheinbaren Legitimierung brutaler Gewalt hatten.«

Außerdem habe sie nicht unterschieden zwischen völkerrechtlich anerkannten Formen der Partisanenbekämpfung und dem militärischen Auftrag der Wehrmacht einerseits und der willkürlichen Erschießung von Zivilisten und den zur Massenvernichtung eingesetzten Kommandos der SS und der Einsatzgruppen, die eben nicht zur Wehrmacht gehörten, andererseits. Sie habe die »kollektiven Ängste« der deutschen Rekruten missachtet, die ohne Ausbildung an die Front geschickt und dort verheizt wurden. Und so wurden »diejenigen, die ihren Widerstand mit dem Leben bezahlten, (...) postum von den heute Mutigen zur angeblichen kriminellen Normalität der Wehrmacht gerechnet«.

Obwohl Reemtsma darauf besteht, die Grundthese habe sich nicht geändert, begeht die neue Ausstellung alle diese Fehler nicht. Sie unterscheidet hinreichend, berücksichtigt kollektive Ängste und stellt die Frage nach der Dialektik. Und sie beherzigt den methodischen Einwand, Bilder seien keine historischen Quellen, sie ließen sich, wenn sie nicht ausführlich kommentiert werden, zu demagogischen Zwecken missbrauchen.

Die neue Ausstellung wird in der FAZ dafür gelobt, dass sie den Bildern nicht mehr vertraut. »Schockierende Fotos von lachenden Soldaten vor Leichenbergen sucht man hier vergeblich.« Einige mutige Historiker haben »die Indoktrination durch den Krieg der Bilder« beendet, nun kann die wirkliche Aufarbeitung der Wehrmachtsgeschichte beginnen. Besondere Aufmerksamkeit verdiene der neue Ausstellungsteil über die so genannten Handlungsspielräume.

»An Beispielen wird hier gezeigt, wie unterschiedlich Befehle ausgeführt worden sind - von der Übererfüllung bis zur Teilerfüllung oder gänzlichen Umgehung. Hier werden Geschichten erzählt über Soldaten mit und ohne Zivilcourage.« Und auch die Dialektik der Totalitarismen kommt nicht zu kurz.

Diese Ausstellung werde nun keinen Skandal mehr machen, verspricht das Feuilleton der FAZ im hausgemachten Jargon, »denn sie markiert einen Moment, in dem die nationalsozialistische Vergangenheit ihre unmittelbare, biographisch verankerte Virulenz verliert«. Man könnte denselben Gedanken auch einfacher ausdrücken: Die alten Nazis sind tot, auf sie braucht auch die CDU keine Rücksicht mehr zu nehmen. Und weil die neue Ausstellung das Gebot befolgt, niemand dürfe vom Nationalsozialismus oder von der Wehrmacht reden, wenn er vom Stalinismus und vom 20. Juli schweigt, wird auch die Wehrmachtsgeschichte zur »Konsenshistorie, deren politische Nutzanwendung selbstverständlich scheint«.

Die Lehre aus der Geschichte des Nationalsozialismus und der Hitlerwehrmacht lautete bis vor kurzem: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Heute geraten die beiden Teile dieser Parole immer öfter in Widerspruch zueinander, und die moderne Menschenrechtspolitik muss den zweiten Teil aufgeben, um den ersten zu retten. Beharrten die Deutschen noch immer darauf, dass ihre Väter keine Mörder waren, dürften sie womöglich keine Nato-Mission in Mazedonien kommandieren.

Die Nachfolger Alfred Dreggers und Helmut Kohls mussten sich von Gerhard Schröder und Joseph Fischer belehren lassen, dass deutsche Projektile in zukünftigen Kriegen an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn Deutschland seine Verbrechen der Vergangenheit bekennt. So viel haben nun alle begriffen, und nur Klaus Theweleit steht am Ende ganz dumm da.