Chaos mit Kalkül

Die Protektorate und das europäische Krisenmanagement auf dem Balkan haben durchaus zum Frieden beigetragen. Für Stabilität in der Region haben sie nicht gesorgt.

Eine dringend notwendige Pause wurde Joseph Fischer und der deutschen Außenpolitik im Dezember zum Verhängnis und sorgte für eine veritable Niederlage interessengetriebener deutscher Politik auf dem Balkan. Als Fischer beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel den Tagungsraum verlassen hatte, kürten die verbliebenen Minister und der EU-Außenkommissar Chris Patten flugs den Österreicher Erhard Busek zum neuen Koordinator des EU-Stabilitätspaktes für den Balkan. Dabei hatte Fischer den Dänen Sören Jesse-Petersen favorisiert. Die Süddeutsche Zeitung folgerte: »Die Wahl Buseks ist eine Niederlage für Bundeskanzler Gerhard Schröder.« Der ehemalige österreichische Vizekanzler und konservative Politiker wird nun Bodo Hombach als Balkan-Koordinator beerben.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dessen Berufung vor eineinhalb Jahren ein Gnadenakt Schröders war, verfügt Busek tatsächlich über intensive Kenntnisse der balkanischen Verhältnisse. Schon in den achtziger Jahren tourte der österreichische Politiker durch Jugoslawien und Osteuropa, um sich unter ziemlich konspirativen Verhältnissen mit Dissidenten, Regimekritikern und nicht selten auch Nationalisten zu treffen.

Doch seine Erfahrungen mit all diesen Protagonisten werden Busek nun wenig nützen. Er steht vor ziemlich großen Herausforderungen. Nicht bloß die Gerüchte, Deutschland werde aus Ärger über die Wahl Buseks Zahlungen für den Stabilitätspakt blockieren, sorgen bei Busek für gemischte Gefühle. Denn gerade jetzt braucht der Koordinator möglichst freie Hand bei der Vergabe von finanziellen Hilfsleistungen für die Staaten auf dem Balkan: Jugoslawien beschwert sich seit Monaten, dass die internationale Gemeinschaft ihren finanziellen Verpflichtungen trotz der Auslieferung von Slobodan Milosevic nicht nachkomme. Erst ein Drittel des im Juni zugesagten Geldes sei angekommen, der Rest werde noch immer von der EU gebunkert.

Auch Mazedonien sieht sich abermals in der Rolle eines Schnorrers. Ursprünglich sollte noch im Dezember eine Geberkonferenz für das zerrüttete Land stattfinden, doch sie wurde wegen der recht erbärmlichen Vorstellung der Regierung in Skopje bei der Reform der mazedonischen Verfassung zugunsten der albanischsprachigen Bevölkerungsgruppe wieder abgesagt. Nun ist das Budgetdefizit des Landes auf 750 Millionen Mark (383,47 Millionen Euro) angewachsen.

Mazedoniens Finanzminister Nikola Gruevski wirft der EU nun vor, »mit Mazedonien zu spielen«. Gleichzeitig warnte er die europäische Politik vor schweren Folgen, sollten nicht bald einige Schecks nach Skopje geschickt werden: »Wir werden dann nicht in der Lage sein, das Friedensabkommen von Ohrid zu realisieren.« Selbst die Londoner Financial Times, die den Segnungen des ökonomischen Expansionismus nicht unbedingt abgeneigt ist, konstatiert ein chaotisches Krisenmanagement der EU in Mazedonien. Seit 1991 sei die europäische Politik auf dem Balkan gekennzeichnet vom »Fehlen einer klaren Strategie und administrativen Verzögerungen«.

Die Anekdote um Buseks Wahl und die unangenehmen Entscheidungen, vor denen der Österreicher nun steht, zeigen deutlich das hohe Maß an Dilettantismus und politischer Einfalt in den Beziehungen der EU zum Balkan. Der Stabilitätspakt gilt den bedrängten Ländern der Region nicht als Unterstützung ihrer zusammengebrochenen Ökonomien, sondern als zusätzliches Druckmittel zur Herstellung politischer Korrektheit.

Die Formel »Kriminelle gegen Kohle«, also die Zusicherung finanzieller Mittel gegen die Auslieferung von mutmaßlichen Kriegsverbrechern wie im Falle Slobodan Milosevics, ist keineswegs dazu geeignet, politische Stabilität zu gewährleisten. Gerade die seltsamen Umstände der Auslieferung Milosevics nach Den Haag Ende Juni des abgelaufenen Jahres inklusive des glatten Verfassungsbruches der serbischen Regierung unter Zoran Djindjic haben gezeigt, dass Stabilität durch solche Verzweiflungsaktionen keineswegs garantiert werden kann. Jugoslawiens Präsident Vojislav Kostunica, ein Gegner der Auslieferung, und Zoran Djindjic befinden sich seitdem in einem politischen Stellungskrieg, der die Institutionen des Landes lähmt. Zu allem Überfluss ist auch nur ein Bruchteil des versprochenen Geldes angekommen.

Ähnlich ist die Situation in Bosnien. Da vegetiert die Republika Srpska seit Jahren beinahe ohne finanzielle Unterstützung der EU dahin, weil mutmaßliche Kriegsverbrecher wie Radovan Karadzic oder sein General Ratko Mladic sich weiterhin auf freiem Fuß befinden. Dabei tauchten insbesondere in den letzten Monaten immer wieder Gerüchte auf, dass die Sfor schon längst über den Aufenthaltsort Karadzics Bescheid wisse. Große Anstrengungen aber hat die so genannte Friedenstruppe nicht unternommen, um einen der beiden anscheinend für verschiedene Massaker während des Krieges verantwortlichen Serben zu erwischen.

Überhaupt breitet sich in ganz Bosnien langsam Ungeduld aus. Sechs Jahre nach dem Krieg fühlt man sich zumindest in Sarajevo langsam reif für eine gewisse Unabhängigkeit vom guten Willen der so genannten internationalen Gemeinschaft. Doch die Präsenz der internationalen Entscheidungsträger ist noch immer ungebrochen. »Wegen meiner Position sollte ich eigentlich in alle Entscheidungen eingebunden sein oder davon zumindest wissen, aber das Büro des Hohen Repräsentanten informiert mich nicht vollständig«, stöhnte bereits im Spätsommer des vergangenen Jahres der Sprecher des bosnischen Premiers Zlatko Lagumdzija, Amer Kapetanovic.

Er liegt nicht ganz falsch. Die bosnische Zentralregierung verharrt nach wie vor im undankbaren Status eines nachgeordneten Exekutivorgans des Hohen Repräsentanten Wolfgang Petritsch. Der Österreicher, ein Sozialdemokrat und wie Busek ein guter Kenner der Verhältnisse vor Ort, hat praktisch diktatorische Vollmachten. Er kann Regierungsmitglieder der beiden Entitäten nach Belieben feuern oder andere ernennen und allein kraft seines Amtes und ohne jegliche Kontrolle Gesetze zu Fall bringen. Zwar verhinderte Petritschs Eingreifen schon mehrmals einen Zerfall des labilen Landes, zu einer höheren Identifikation der Bosnier aller drei Bevölkerungsgruppen mit ihrem Staat führt die Vormundschaft aber auch nicht.

Schließlich gilt das unendliche Protektorat in Bosnien auch als abschreckendes Beispiel für andere krisengestählte Staaten. Bedrängte Regierungen auf dem Balkan haben inzwischen gelernt: Wenn die internationalen Interventionskräfte irgendwo eingreifen, gehen sie so schnell nicht mehr weg. Wohl deshalb war auch der Friedensprozess in Mazedonien zäher als ursprünglich gedacht. »Die Nato will hier ein Protektorat errichten«, sagte etwa der ehemalige Sprecher des mazedonischen Premiers Ljubco Georgievskij, Antonio Milososki, im Sommer des letzten Jahres der Jungle World. Schon allein deshalb dauerte das Tauziehen um die Etablierung der Mission »Essential Harvest« wochenlang.

Und auch jetzt, da die Nachfolgemission »Amber Fox« in ihre Verlängerung bis Ende März geht, schimmert die Angst vor einem zu großen Wohlwollen der westlichen Interventionskräfte in jedem Statement eines Politikers durch. Premier Ljubco Georgievskij hofft, dass Ende März die internationalen Truppen endgültig verabschiedet werden können.

Hinzu kommt im Falle Mazedoniens auch noch ein tiefes Misstrauen gegenüber dem internationalen Protektorat im Kosovo. Immer wieder sickerten während der Kämpfe zwischen der albanischen Guerilla und der mazedonischen Armee auch altgediente Haudegen der kosovo-albanischen UCK in Mazedonien ein, um sich in die Kämpfe einzumischen. Und ohne logistische, militärische und personelle Unterstützung hätten die mazedonischen UCK-Kämpfer das Land niemals in einen monatelangen blutigen Krieg verwickeln können.

Die von der Kfor niemals zerschlagenen UCK-Strukturen im Kosovo und die vollkommen unfähige Unmik-Verwaltung waren die nie versiegende Quellen des mazedonischen Konfliktes. »Zum ersten Mal in der Geschichte geht die Aggression gegen ein anderes Land vom Boden eines internationalen Protektorats aus«, so der ehemalige Regierungssprecher Antonio Milososki. Bereits im Spätsommer des letzten Jahres verlangte Mazedoniens Premier Ljubco Georgievskij deshalb den Rücktritt des Unmik-Chefs Hans Häkkerup. Nun ist der Däne tatsächlich zurückgetreten, angeblich aus Rücksicht auf seine Familie. Häkkerup mag bald wieder nach Dänemark zurückgehen, Figuren wie der mutmaßliche UCK-Kriegsverbrecher Agim Ceku oder Hashim Thaqi bleiben weiterhin im Kosovo aktiv. Dort, wo die Protektoratsmächte also ihre Macht demonstrieren sollten, haben sie versagt.

Und gerade im Falle Mazedoniens wird deutlicher als jemals sonst, wie sehr der Balkan zum Spielball des Interessenkonfliktes zwischen der von den USA geführten Nato und der EU geworden ist. »Als erstes Land auf dem Balkan hat es Mazedonien geschafft, ein Assoziationsabkommen mit den EU zu verfertigen, und das hat der Nato offenbar nicht gepasst«, interpretiert es Antonio Milososki. Mag sein, dass Milososki, der die UCK als »Kreatur der Nato« bezeichnet, Recht hat. Das Versagen der EU ist trotzdem offensichtlich.