Disneys »Die Monster-AG«

Die Wirtschaft des Schreckens

»Die Monster AG« kündet als typisches Disney-Produkt von einer humanen Welt.

Der Wandschrank ist in der angloamerikanischen Imagination ein wichtiger Topos. Die Tür in der Wand, die nirgendwohin führt, und der enge Raum, in den eilig alles hineingestopft werden kann, was die Ordnung stört, bilden eine Projektionsfläche für das Unheimliche und sind die Halde für alles Verdrängte. Im amerikanischen Kinderzimmer, insbesondere aber in dessen Abbild im US-Horrorfilm, ist der Wandschrank ein Tor zu einer anderen bedrohlichen Welt, einer Welt des Schreckens.

»Die Monster AG«, dem neuesten Animationsfilm von Disney und den Pixar Animation Studios, wird dieser psychoanalytische Topos popularisiert. Hier hat es nichts mit Trauma und Verdrängung zu tun, wenn nachts die Monster aus den Wandschränken kriechen, um kleine Kinder im Schlaf heimzusuchen. In einer verspielt vulgärdeleuzianischen Wendung ist die Tür zur Alptraumwelt in diesem Film ein Fabriktor, und hinter dem nächtlichen Spuk stehen handfeste Kapitalinteressen.

Die Monster AG ist ein Konzern, der die Monsterstadt Monstropolis mit Energie versorgt, indem er professionelle Erschrecker in die Kinderzimmer der Menschen schickt, damit sie den Kleinen jene Angstschreie entlocken, die der Rohstoff sind, auf die sich die Ökonomie des Monsterreichs gründet. Diese Erschrecker müssen nicht nur das Handwerk des Furchteinflößens perfekt beherrschen, sie müssen auch einiges an Mut mitbringen, denn die Monster fürchten sich vor Kindern mindestens ebensosehr wie umgekehrt.

James »Sulley« Sullivan, der Held des Films, ist einer dieser Gruselprofis, und er ist ein Working Class Hero, wie er im Buche steht: gutmütig, leistungsbereit und mit dickem, zotteligem Fell. Zusammen mit seinem Kollegen und Buddy Mike Glotzkowsky könnte er ein ruhiges Leben als besonders produktiver Held der Arbeit führen, wenn es da nicht eine immer beunruhigendere Energiekrise gäbe. Denn die nach exzessivem Fernsehkonsum immer abgebrühter reagierenden Kids sind nur noch schwer in Angst zu versetzen.

Zu allem Überfluss führt Sulleys Tolpatschigkeit zusammen mit den unlauteren Machenschaften seines krankhaft ehrgeizigen Rivalen Randall auch noch zum Gau im Kraftwerk des Schreckens. Ein Menschenkind überschreitet die Schwelle zur Welt der Monster. Ein Störfall, der sich vor der entsetzten Monsteröffentlichkeit nicht lange vertuschen lässt.

Natürlich ist »Die Monster AG« auch eine Antwort auf den vielleicht besten und erfolgreichsten Animationsfilm der letzten Zeit. Der »Shrek« ist der Firma Disney offensichtlich heftig in die Glieder gefahren. Schnell musste ein eigener Film mit putzig-schrägen Monster-Protagonisten her, denn die freche Persiflage auf die notorisch cleane Disney-Welt, die das Werk aus dem Hause Dreamworks in Gestalt der blankgeputzten Diktatur des dekadent-faschistischen Fürsten Lord Farquaad geliefert hatte, durfte nicht unerwidert bleiben.

»Die Monster AG« nimmt diese Herausforderung an, und gibt sich in der Verteidigung von Disneys Saubermann-Image betont selbstbewusst, etwa wenn der Zottelheld Sulley ironisch auf Shreks fäkale Morgenhygiene anspielt, indem er sich ganz besonders gründlich die Zähne putzt, denn: »Monster haben keinen Zahnbelag!«

Tatsächlich ist Disneys Antwort auf den großen grünen Herausforderer über weite Strecken glänzend gelungen. Nicht nur dass die Dialoge - zumindest in der amerikanischen Originalfassung - wirklich blitzschnell und äußerst witzig sind. (Aber was könnte auch mit Sprechern wie John Goodman als Sulley, Billy Crystal als Mikey und Steve Buscemi als lispelndem Schurken Randall schief gehen?)

Wichtiger bei diesem Genre: Auch auf der visuellen Ebene kann »Die Monster AG« mit »Shrek« mehr als nur mithalten. Das Setdesign zum Beispiel ist einfach umwerfend. Der High Tech-Streifen imaginiert die kriselnde Welt der Monster als eine - zu Zeiten der New Economy reichlich nostalgisch anmutende - urbane Industrielandschaft, die der Anti-Märchenwelt von »Shrek« an atmosphärischer Dichte und Detailreichtum um einiges überlegen ist. Und erst die Figuren!

Man hat beim Erschaffen von Monstern einfach ungleich mehr Möglichkeiten als bei der parodistischen Arbeit mit tradierten Märchenfiguren, allein schon was die Farbpalette und die Verteilung von Augen, Hörnern und Gliedmaßen angeht. Aber auch die Animation der Figuren ist beeindruckend lebendig. Dabei fällt auf: Während bei Shrek und seinen Gefährten die Stärke im kinetisch-motorischen Moment der Choreografie lag (man denke an den tänzelnden Esel oder an die Kung-Fu-Einlage der Prinzessin), stehen bei den Monstern eher Gestik und Mimik im Vordergrund. Man muss den kugeligen grünen Mikey einfach gesehen haben, um glauben zu können, wieviel Ausdruck man in ein einziges zentral plaziertes Auge legen kann.

Die Betonung des Expressiven hängt fraglos mit der humanistischen Tradition des Hauses Disney zusammen, die auch die Message des Films bestimmt. Ohne zu viel von der Handlung preisgeben zu müssen: Die Geschichte, die von »Die Monster AG« erzählt wird, läuft auf die Aussage hinaus, dass es netter ist, Kinder zum Lachen zu bringen, als sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Das scheint zunächst einmal geradezu banal, schließt aber auf der Ebene, auf der sich der Film als medienkritische Legitimation der Disneyschen Politik der Idylle lesen lässt, an jenen schon seit den letzten High-School-Shootings virulenten Diskurs an, der die Ursache von Gewalt und »Verrohung der Jugend« in den exzessiven Gewaltdarstellungen der Medien ausgemacht hat.

Interessanter als die Frage, welche Interessen dieser Diskurs transportiert (und ob das auf doch eigentlich als überholt geltenden mimetischen Kulturkonzepten beruhende Gegenargument, die Gewaltorgien in Film und TV bildeten soziale Realität lediglich ab, wirklich fortschrittlicher ist), ist aber vielleicht die Beobachtung, dass es gerade dieses tief humanistische Ethos ist, an dem der Film trotz bester technischer Voraussetzungen ästhetisch scheitert. Und zwar genau in dem Moment, in dem auf der Handlungsebene gleichfalls der Störfall im Monsterbetrieb eintritt: Wenn das Menschenkind erscheint.

Es ist fast überflüssig zu bemängeln, dass eine Kinderfigur in einem Disney-Film kitschig geraten ist. Aber diese hier ist mehr als Kitsch. Sie ist grauenhaft. Es ist den Figuren-Designern bei Pixar wahrhaftig gelungen, das millionenfach bewährte Kindchenschema in so groteskem Maße zu überzeichnen, dass es nicht mehr Rührung und Beschützerinstinkte weckt, sondern nur noch blanken Ekel. Die einzig wirklich monströse Figur in diesem Film ist ausgerechnet die menschliche.

So hat der Zuschauer von vornherein Verständnis für das nackte Entsetzen, mit dem die Bewohner von Monstropolis zunächst auf diese Kreatur reagieren. Aber je mehr die Monster lernen, sie liebzugewinnen, um so weniger ist man bereit, der moralischen Erzählung des Filmes zu folgen. Fast glaubt man in diesen Szenen das Kichern der Nerds zu hören, die bei Pixar die Grafik besorgen und sich diebisch darüber freuen, dass sie die Disney-Linie trickreich unterlaufen haben. Insgeheim finden sie vielleicht den Schurken Randall am coolsten, den echsenhaften Herrn über schreckliche Maschinen, der sich nach Belieben unsichtbar machen kann. Und wenn das moderne Bild des Menschen so ausfällt wie in diesem Film, muss man dem bunten Monsterhaufen allemal den Vorzug geben.

»Die Monster AG«, (USA 2001). R: Peter Docter. Start: 31. Januar