Frenz’ Connection

Nicht nur der NPD-Prozess droht wegen der Spitzelaffäre zu scheitern. Es handelt sich wahrscheinlich um den größten Verfassungsschutzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik.

Mit der fatalistischen Stimmung ist es jetzt vorbei«, tönte der NPD-Vorsitzende Udo Voigt am vergangenen Donnerstag in der Parteizentrale in Berlin-Köpenick vor Journalisten. Als zwei Tage zuvor die jüngste Verfassungsschutz-NPD-Connection aufgeflogen war, ließen nicht nur die Anführer der Neonazi-Partei die Sektkorken knallen. Fast die gesamte rechtsextreme Szene Deutschlands befindet sich in heller Freude, seit das Bundesverfassungsgericht das Verbotsverfahren gegen die NPD auf Eis gelegt hat, weil ein vom Staat bezahlter ehemaliger Spitzel, das ehemalige NPD-Vorstandsmitglied Wolfgang Frenz, als Kronzeuge der Anklage in dem Prozess auftreten sollte.

Die NPD triumphiert, ihre Anhänger fühlen sich gestärkt. Die Nazi-Szene feiert die »Panne« als Erfolg, berichtet der Berliner Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner. Nicht ohne Grund: Der NPD-Verbotsprozess droht zu platzen. Wenn überhaupt, wird das Verfahren wohl frühestens nach der Bundestagswahl weitergehen. Um ihre Teilnahme an den Wahlen braucht sich die NPD jetzt nicht mehr zu sorgen. Und für die erste Gratis-Wahlwerbung sorgte bereits Bundesinnenminister Otto Schily (SPD).

Der geriet in der vorigen Woche immer mehr unter Druck. Erst flog die Sache mit Frenz auf, dem Mitgründer der NPD und ehemaligen Vorstandsmitglied der Partei, der 36 Jahre lang eng mit dem Verfassungsschutz kooperierte. Frenz sollte als Zeuge in dem Verbotsverfahren auftreten, Äußerungen von ihm waren neben denen Horst Mahlers in der Anklageschrift als Hauptbeweis für den aggressiven Antisemitismus der NPD zitiert.

Doch Frenz ist kein Einzelfall, wie Schily erst vollmundig behauptet hatte. Das Ausmaß der Spitzelaffäre kam erst nach und nach heraus. Am Donnerstag hieß es, dass ein weiterer V-Mann in den Verbotsverfügungen als Quelle angeführt werde, der NPD-Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, Udo Holtmann. Am Freitag kursierten bereits drei weitere Namen von NPD-Kadern, die sich beim VS ein Zubrot verdient haben sollen, und am Samstag meldete der Kölner Stadtanzeiger unter Berufung auf das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass möglicherweise sieben Parteifunktionäre Informationen im NPD-Verbotsverfahren geliefert haben sollen. Und es könnten noch weitaus mehr sein.

Während die Spitzelaffäre der NPD die größte Aufmerksamkeit seit langem bescherte, übte sich der in Bedrängnis geratene Schily in Schadensbegrenzung. Er lehnte Rücktrittsforderungen der Union und der FDP kategorisch ab, sprach aber von »gravierenden Fehlern« mehrerer hochrangiger Mitarbeiter seines Ministeriums. Doch nicht nur im Hause Schily wurde geschlampt. So wusste der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens (SPD) bereits seit dem vergangenen Sommer von der Spitzel-Vergangenheit des Zeugen. Weitergegeben hat er die Information erst Anfang Januar.

Dass das brisante Material dann immer noch nicht dem Bundesverfassungsgericht übergeben wurde, erklärte ein Beamter der Innenbehörde nun damit, dass ihm der Sachverhalt entfallen sei. Bloße »Kommunikationspannen« hätten zu dem Versäumnis geführt. Schily sprach zudem von einer »Fehleinschätzung« seiner Beamten.

Ob nun wirklich »geschlampt« wurde oder ob es sich dabei gar um Absicht handelte, wie die NPD mutmaßte (»Hier hat einer die Notbremse gezogen«), darüber kann nur spekuliert werden. Auch dürfte der Nachweis schwer fallen, dass die ganze Geschichte nur deshalb inszeniert wurde, um Law-And-Order-Schily, einen der wichtigsten Minister in Gerhard Schröders Kabinett, aus wahlkampftaktischen Gründen zu beschädigen. Sicher ist nur eines: Die rot-grüne Regierung steht vor dem wahrscheinlich größten Verfassungsschutzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Der innenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion Cem Özdemir sprach bereits von einer »Katastrophe«.

Nicht zu Unrecht: In der vorigen Woche war in Pressemeldungen von 100 V-Männern allein in der NPD die Rede. So besteht durchaus Grund zu der Annahme, die Neonazi-Partei sei erst durch den VS »hochgezüchtet worden«, wie etwa die PDS-Politikerin Petra Pau vermutet. Bernd Wagner hingegen findet es »übertrieben«, von einer »staatlichen Inszenierung der NPD« auszugehen.

Auch die PDS-Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt ist an diesem Punkt etwas vorsichtiger als ihre Parteikollegin. Inwieweit der VS am Aufbau der NPD beteiligt war, könne sie nicht beurteilen. Aber dass die Behörde »der Nazi-Partei jetzt zu einem propagandistischen Sieg verhilft«, sei unübersehbar. »Der Verfassungsschutz gehört schnellstmöglich aufgelöst«, so Marquardt.

Bereits die V-Mann-Skandale in Thüringen in den Jahren 2000 und 2001 oder in Brandenburg im vorvergangenen Jahr offenbarten, dass »der Verfassungsschutz praktisch in die rechtsextreme Szene verstrickt ist«, sagt der Bremer Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner. »Mit seinen klandestinen Mitteln der Unterwanderung und Infiltration mischt er dort partiell mit, verstrickt sich fast zwangsläufig in kriminelle Machenschaften, wobei dann auch Straftaten geduldet oder indirekt gefördert werden.« Doch die VS-Mitarbeiter haben nicht nur zu Gewalttaten angestiftet oder daran teilgenommen. Viele haben auch maßgeblich dazu beigetragen, rechte Organisationsstrukturen überhaupt erst aufzubauen.

Allein der Fall Frenz zeigt, wie sehr die Kooperation mit dem Verfassungsschutz der NPD genutzt hat. Frenz wurde nach eigenen Angaben seit 1959 als V-Mann beim nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz geführt. Aber erst 1964 wurde die NPD gegründet. Bedeutet das nun, dass der VS beim Aufbau der NPD mitgeholfen hat?

Die Unterstützung ging noch weiter. Frenz soll nach eigenen Angaben monatlich 600 bis 800 Mark für seine Informantentätigkeit bekommen haben, die er versteuert und dann in die NPD Kasse eingezahlt habe. Allein die 36 Jahre lange Zusammenarbeit zwischen Frenz und dem VS dürfte der NPD demnach mindestens 250 000 Mark aus der Staatskasse eingebracht haben.

Dass Neonazis und die Staatsorgane eng miteinander kooperieren ist nichts Neues und noch nicht einmal verwunderlich. Oft genug waren und sind gerade V-Männer die fanatischsten Propagandisten des braunen Terrors. So zitiert der Verbotsantrag ausführlich aus Frenz' 1998 veröffentlichtem Buch »Verlust der Väterlichkeit oder Das Jahrhundert der Juden«. In dem antisemitischen Machwerk bezeichnet er unter anderem Adolf Hitler als »Jahrtausendgestalt der Geschichte« und zieht vom Leder: »Wenn es Auschwitz nicht gegeben hätte, müsste es für die Juden von heute erfunden werden. Denn Auschwitz ist die Machtergreifung durch das vernetzte Judentum.«

1995 schaltet der Düsseldorfer VS seinen Spitzel ab, angeblich weil er sich radikalisiert habe. Diese Behauptung sei jedoch schlicht falsch, sagt Jörg Fischer, der Autor des Buches »Das NPD-Verbot«. Wolfgang Frenz habe immer schon zu den »Radikalsten« innerhalb der NPD gehört und zudem nie die taktischen Zurückhaltungen des NPD-Parteivorstands nachvollzogen. Fischer muss es wissen, schließlich war er bis zu seinem Ausstieg 1991 viele Jahre Mitglied der NPD.

Der Aussteiger Fischer übt jedoch nicht nur Kritik an dem Gebaren des Verfassungsschutzes. Es sei kein Wunder, dass nun das gesamte Verbotsverfahren auf der Kippe stünde. Die Verbotsanträge seien ohnehin »Ausdruck einer stümperhaften Flickschusterei«, V-Mann-Aussagen hin oder her. Sie seien einem »blinden Aktionismus« geschuldet, der die jahrelange Untätigkeit der Bundesregierung gegen die erstarkende extreme Rechte kaschieren sollte. Dass die Bundesregierung mit dem NPD-Verbot vorrangig auf den Öffentlichkeitseffekt spekulierte, um ihr angekratztes Image aufzupolieren, liegt auf der Hand. Den Öffentlichkeitseffekt hat sie nun. Nutzen wird er der NPD.