Attac im Wahlkampf

Freundliche Übernahme

Im französischen Wahlkampf versuchen die großen Parteien, die populären Globalisierungskritiker von Attac zu vereinnahmen.

Damit hatten die Veranstalter nicht gerechnet. Die französischen Globalisierungskritiker von Attac hatten am vorvergangenen Wochenende in die Pariser Konzerthalle Zénith geladen. Der große Saal der Halle fasst 6 000 Personen, und die Veranstalter hatten gehofft, ihn halbwegs auszulasten. Tatsächlich mussten dann aber vor der überfüllten Halle zahlreiche Besucher abgewiesen werden.

Es gab zwei Gründe dafür, dass Attac zu diesem Zeitpunkt die Initiative ergriff. Zum einen beginnt am Donnerstag das Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre. Das internationale Treffen wurde zum ersten Mal im vergangenen Jahr abgehalten, als Konkurrenzveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos. Auch in diesem Jahr finden die beiden internationalen Foren zur gleichen Zeit statt. Allerdings ist das Wirtschaftsforum nach New York umgezogen.

Zum anderen hat Attac zu der Veranstaltung im Zénith ein Manifest veröffentlicht, mit dem die Organisation im Wahljahr - im April und im Mai wird der nächste französische Staatspräsident und Anfang Juni das Parlament gewählt - Einfluss nehmen will.

Zugleich versucht die Organisation, ihr Themenspektrum zu erweitern. Zwar bildete die Einführung der so genannten Tobin-Steuer auf transnationale spekulative Kapitalflüsse den Anlass für die Gründung von Attac im Juni 1998, doch längst ist die Idee des Nobelpreisträgers James Tobin nicht mehr das wichtigste Thema der Organisation. Mit derzeit knapp 30 000 Mitgliedern, 230 örtlichen Komitees und 1 000 angeschlossenen Organisationen, zumeist Gewerkschaften, ist Attac längst die mit Abstand erfolgreichste außerparlamentarische Initiative in Frankreich geworden.

So sind bei Attac ehemalige Linke zu finden, die sich von den vermeintlich gescheiterten globalen Utopien abgewendet haben und nun eine pragmatischere Politik betreiben wollen. Ebenso schlossen sich Aktivisten und Gewerkschafter an, die von der Bilanz der linken Regierungskoalition enttäuscht sind. Und nicht zuletzt unterstützen 125 Parlamentarier die Arbeit der Globalisierungskritiker.

Heute stehen die Probleme der so genannten Dritten Welt - Attac fordert die vollständige Streichung der Auslandsschulden -, der Einfluss und die Funktion der Finanzmärkte sowie die Deregulierung der öffentlichen Dienste im Vordergrund. So wird etwa die Frage untersucht, wie die Privatisierung der städtischen Wasserversorgung mit der nationalen Sparpolitik und den internationalen Wirtschaftsstrukturen zusammenhängt.

Dabei ist Attac weit davon entfernt, Verschwörungstheorien über die Globalisierung und die Rolle der internationalen Institutionen zu verbreiten. Solche Thesen werden in der französischen Politik bereits von dem Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen formuliert. Das vierseitige Manifest des Netzwerks, das in einer Auflage von 500 000 Exemplaren derzeit verbreitet wird, beseitigt in diesem Punkt alle Unklarheit.

So analysiert der Leitartikel auf der Titelseite des Manifests ausführlich die Rolle der französischen Regierung in den internationalen Finanzinstitutionen wie IWF, Weltbank und WTO und weist darauf hin, dass in den Führungsgremien dieser Institutionen häufig das Einstimmigkeitsprinzip herrsche. Daher wird das Argument zurückgewiesen, die nationale Regierung stehe unter äußerem Druck und sei gezwungen, sich internationalen Interessen zu beugen.

Es wird betont, dass »in Asien, Afrika und Lateinamerika die durch den Schuldendienst und die 'Strukturanpassungsprogramme' (...) ausgebluteten Bevölkerungen zu Recht die Weltbank und den IWF« kritisieren. Aber es sei ebenso nötig, »die Regierungen, die die Beschlüsse fassen - darunter die französische Regierung - anzuklagen, und auch jene, die diese Regierungen so handeln lassen: Uns Bürgerinnen und Bürger.«

Die große Popularität von Attac in der französischen Öffentlichkeit bedeutet aber nicht, dass es in und mit der Organisation keine Probleme gebe. Als etwa der französische Präsidentschaftskandidat und nationalistische Ex-Sozialdemokrat Jean-Pierre Chevènement im Vorjahr als prominenter Redner in Porto Alegre auftrat, kam es zu heftigen Konflikten. Der amtierende Attac-Vorsitzende und Direktor von Le Monde Diplomatique, Bernard Cassen, hatte ihn eingeladen. Eine zwar kleine, aber einflussreiche Fraktion innerhalb der Gründergruppe von Attac sympathisiert mit dem linksnationalistischen, »republikanischen« Diskurs des früheren Innenministers (Jungle World, 4/02).

Der Streit in der französischen Delegation um die Anwesenheit von Chevènement verwirrte die anderen Teilnehmer des Forums in Porto Alegre. Grüne und Linke warfen dem Politiker vor, schöne Reden über die Nord-Süd-Politik zu halten, während er gleichzeitig die politische Verantwortung für die Abschiebung zahlreicher afrikanischer, illegalisierter Immigranten aus Frankreich trage. Doch auch in diesem Jahr wird Chevènement wieder mit dabei sein, neben den Präsidentschaftskandidaten der Grünen und der trotzkistischen LCR.

Zudem macht sich der beginnende Wahlkampf bemerkbar, und damit mehren sich die Versuche der großen Parteien, die neue Bewegung für sich zu vereinnahmen. Die französischen Sozialisten ließen bereits kurz nach den Protesten gegen den Gipfel in Genua im vergangenen Juli über ihren Parteisprecher Vincent Peillon scheinheilig ihr Bedauern darüber ausdrücken, dass sie nicht vor Ort gewesen seien. Sie hätten die Bewegung unterschätzt, obwohl sie doch viele gemeinsame Werte mit der überwiegenden Mehrheit der Demonstranten verbinden würden. Dabei vergaß Peillon allerdings hinzuzufügen, dass die Sozialistische Partei in Genua anwesend war, auf der Gegenseite, vertreten durch Regierungschef Lionel Jospin.

Im Sommer 2001 hat Jospin mit Laurence Tubiana sogar eine Beraterin für die Fragen der Globalisierungskritik eingestellt. Und selbst der bürgerliche Präsident Jacques Chirac versucht inzwischen, die Sympathien der Globalisierungskritiker zu gewinnen. Es gilt als wahrscheinlich, dass er einen seiner Berater nach Porto Alegre schickt. Bei der bürgerlichen Rechten ist mittlerweile der radikale Wirtschaftsliberale Alain Madelin der einzige Kandidat, der sich noch explizit gegen die Tobin-Steuer ausspricht.