Der Verfassungsschutz ist außer Kontrolle

Heil V-Mann!

Wer heute einen Neonazi beschimpft, sollte vorsichtig sein, denn es könnte sich um eine Beamtenbeleidigung handeln. Einem Flüchtling, der sich gegen den Angriff eines Skinheads wehrt, droht vielleicht sogar ein Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Denn die Verfassungsschützer haben die Stiefel angezogen, die schwarzen mit den weißen Schnürsenkeln.

Das Bundesinnenministerium hat zur Begründung des Antrags auf ein NPD-Verbot dem Bundesverfassungsgericht Äußerungen eines V-Mannes vorgelegt und damit das NPD-Verbot gefährdet und der rechtsextremen Partei eine überwältigende Publizität beschert. Allein unter diesem Aspekt betrachtet, wäre der aktuelle Skandal vielleicht noch immer einer um »vergessliche Beamte, unwissende Politiker« (Süddeutsche Zeitung). Man feuert einen subalternen Mitarbeiter, vielleicht tritt sogar der Innenminister zurück, ein frischer Mann übernimmt das Ressort - und die Demokratie geht gestärkt aus dieser Affäre hervor.

Doch der Skandal hat noch eine andere Dimension. Er besteht vor allem im Bundesamt für Verfassungsschutz selbst, das so tief in die rechtsextreme Szene verstrickt scheint, dass man sich fragt, ob es diese Szene in dieser Form überhaupt gäbe ohne die Beschützer der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Genau diesem dubiosen Clan aber, dem Verfassungsschutz, der die Gefahr für die Demokratie immer auf der linken Seite suchte und zugleich mit seinen Spitzel-Honoraren die rechte Szene finanziell aufpumpte, hat erst im Dezember eine große Mehrheit im Bundestag umfassende neue Befugnisse erteilt. Nach der Verabschiedung des so genannten zweiten Sicherheitspakets erhält das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa auf Anfrage die Daten von Privatkunden der Post oder der Banken, und zwar ohne richterliche Anordnung. Auch eine Überprüfung von Personen, die in »sicherheitsempfindlichen« Bereichen arbeiten, ist dem Geheimdienst inzwischen erlaubt. Betroffen sind Angestellte pharmazeutischer Betriebe, des Rundfunks und des Fernsehen, der Banken, der Bahn und der Post - also Tausende von Menschen.

Der Verfassungsschutz kann bereits gegen Bestrebungen, die »den Nährboden für die Entstehung extremistischer Auffassungen bilden können«, aktiv werden. Was so ein »Nährboden« ist, beurteilen Leute, die irgendwelchen Antisemiten für ihre Dienste monatlich Geld überweisen. Dabei stellt sich die Frage, wie viele Mitarbeiter im Apparat des Verfassungsschutzes selbst rechtsextrem eingestellt sind. Bei der Polizei etwa liegt die Zahl der Wähler rechtsextremer Parteien höher als beim Rest der Gesellschaft. Der Verfassungsschutz ist out of control, doch er hat selbst inzwischen einiges unter Kontrolle.

Diejenigen aber, die in der vergangenen Woche lauthals Otto Schilys Rücktritt forderten, haben die Ausweitung der Befugnisse des Verfassungsschutzes immer wieder vehement eingeklagt und auch vorangetrieben, wo sie konnten. So fordert die Union schon seit langem, V-Männer müssten das Recht haben, sich auch an Straftaten zu beteiligen. Das aber hieße, dass für die rechtsextremen Verfassungsschützer völlig legal wäre, wofür sie bis jetzt zur Verantwortung gezogen werden können: sich in antisemitischen und rassistischen Hetztiraden zu ergehen, Migranten anzugreifen, die rechtsextreme Szene aufzubauen, zu trainieren und zu radikalisieren und Brandsätze zu werfen.

Das muss verhindert werden. Vielmehr müssen die in Windeseile durch den Bundestag gebrachten Sicherheitsgesetze noch einmal thematisiert werden, genauso wie der Verfassungsschutz als solcher. Denn wenn der Verfassungsschutz sich in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die Verfassung wendet, dann gehört er wie die NPD verboten. Sicherer wär's.