Prozess gegen Sharon in Belgien

Nichts als Klagen

Einen politischen Prozess hatten die Kläger gewollt, und den werden sie aller Voraussicht nach auch bekommen. In der vergangenen Woche begann in Brüssel unter Ausschluss der Öffentlichkeit das Vorverfahren zur Anklage gegen den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon. Ihm wird vorgeworfen, 1982 als damaliger Verteidigungsminister und Leiter des Libanon-Feldzuges den rechtsextremen, christlichen Falange-Milizen freie Hand bei Morden in den palästinensischen Flüchtlingscamps Sabra und Shatila gegeben zu haben.

Zudem gab der Rechtsausschuss des belgischen Parlaments die Eröffnung der Akte Shimon Peres bekannt. Dem israelischen Außenminister wird die Verantwortung für die Bombardierung des Dorfes Kana während einer israelischen Militäraktion im Libanon 1996 zur Last gelegt.

Damit dürfte es bald eng werden auf der Anklagebank des Brüsseler Gerichts. Denn seit im Sommer des vergangenen Jahres die Kampagne »Indict Sharon« vor dem Rechtsausschuss des belgischen Parlaments eine Klage gegen Sharon vorgebracht hat, wird Brüssel mit solchen Anträgen regelrecht überschüttet. Neben Saddam Hussein, Yassir Arafat und Fidel Castro stehen 30 andere Politiker auf der Liste der belgischen Ermittler, die die Zulässigkeit der Klagen prüfen müssen.

Die Akte Sharon verweist dabei auf das grundsätzliche Problem politischer Justiz im Völkerstrafrecht. Denn nicht gegen einen Verteidigungsminister im Ruhestand, sondern gegen den amtierenden israelischen Ministerpräsidenten richtet sich die Kampagne. Während gegen den Verteidigungsminister Sharon bereits in den Achtzigern ein Verfahren in Israel stattfand, in dem ihm der Rücktritt nahe gelegt wurde, zielt der jetzige Prozess darauf ab, die Politik Israels im aktuellen Konflikt mit den Palästinensern zu delegitimieren.

Dass dies bereits gelungen ist, bevor überhaupt entschieden wurde, ob es zur Prozesseröffnung kommt, zeigen die Reaktionen auf den Mord an dem ehemaligen Kommandeur der libanesischen Falange-Milizen Elie Hobeika. Ausgerechnet die belgischen Ermittler, die Hobeika kurz vor seinem Tod am vergangenen Donnerstag zu den Massakern von 1982 befragt hatten, verdächtigten den israelischen Geheimdienst, ihn liquidiert zu haben, damit er nicht auspacke.

Daran, dass über die Gräultaten im libanesischen Bürgerkrieg geschwiegen wird, waren bisher alle ehemaligen Bürgerkriegsparteien interessiert. Als im Libanon 1990 nach 15 Jahren Bürgerkrieg ein fragiler Frieden unter syrischer Kuratel vereinbart wurde, war dies nur mit der unausgesprochenen Übereinkunft möglich, dass über die geschehenen Verbrechen nicht gesprochen werden sollte.

Das Attentat auf Hobeika, unter dessen Befehl die Milizen standen, die in Sabra und Shatila Vergeltung für den Mord an dem libanesischen Präsidenten Bashir Gemayel verübten, verweist darauf, dass dieser Konsens in Frage gestellt werden könnte. Wie kein anderer verkörperte er die schmutzige Geschichte des Krieges und das Schweigen über ihn. Nach 1990 wechselte Hobeika ins prosyrische Lager und wurde Minister für Flüchtlingsfragen. Damals war längst bekannt, dass nicht die PLO, sondern Syrien seinen einstigen Patron Gemayel ermorden ließ. Inzwischen bekannte sich eine antisyrische Gruppe zum Mord an Hobeika.

Bis zum 6. März hat das belgische Gericht nun Zeit, um darüber zu entscheiden, ob es mit der Aufnahme des Verfahrens gegen Sharon die Geschichte des libanesischen Bürgerkrieges noch einmal aufrollen will. Dass der politische Prozess, der dann in Gang gesetzt würde, noch in den Händen der Richter läge, kann allerdings bereits jetzt bezweifelt werden.