Wird der Irak das nächste Angriffsziel der USA?

Notfalls im Alleingang

Die US-Regierung hat angekündigt, auch ohne die europäischen Staaten gegen Saddam Hussein vorzugehen.

Es scheint, als sei die US-Regierung das bekannte Spiel von Devotion und Sabotage, das die deutsche Regierung seit Monaten treibt, langsam leid. Immer deutlicher werden die Dementis, die jeder Erklärung der Bundesregierung über die vermeintlichen Pläne der USA binnen Stundenfrist folgen. So auch nach Gerhard Schröders jüngster Reise in die USA, in deren Anschluss er, kaum dass er den amerikanischen Boden verlassen hatte, bereits im Flieger verkündete, ein Angriff auf den Irak sei derzeit nicht geplant. Offenbar erfordere jeder neue Konflikt auch eine neue Koalition, konterte der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz und deutete damit an, dass der Sturz Saddam Husseins nötigenfalls auch ohne die europäischen Partner betrieben werden könnte, die seit Jahren die US-amerikanische Irak-Politik unterlaufen.

Das Werben um eine europäische Mitwirkung am Sturz Saddam Husseins, den Europa um jeden Preis verhindern will, ist offenkundig auch US-Außenminister Colin Powell leid. Nach der Sicherheitskonferenz in München erklärte auch er, der sich bis dato der harten Linie des Verteidigungsministeriums widersetzte, vor dem US-Senat, das irakische Regime müsse geändert werden. Notfalls werde Amerika dies eben alleine durchführen.

So einsam, wie es scheinen mag, stehen die USA allerdings längst nicht mehr da. Entgegen allen europäischen Warnungen vor einem Konflikt, der den ganzen Nahen Osten erfassen könnte, ist vom viel beschworenen Widerstand in der Region selbst bislang wenig zu spüren. Auf George W. Bushs Erklärung, der Iran sei Teil der »Achse des Bösen«, reagierte das iranische Regime zwar mit lautstarkem Protest. Der iranische Außenminister Kamal Kharazi jedoch machte den USA ein eindeutiges Kooperationsangebot, und man verzichtete darauf, auch den Irak gegen deren Vorwurf zu verteidigen. So wurde unlängst der jordanische Botschafter ins Teheraner Außenministerium einbestellt, nachdem Jordaniens König Abdullah in Washington erklärt hatte, die Staaten der Region müssten nunmehr entscheiden, auf welcher Seite sie stünden. Eilig reichte Jordaniens Botschafter die Interpretation nach, man habe damit nicht den Iran gemeint.

Das Beispiel zeigt, dass die von den USA betriebene »Polarisierung« des Nahen Ostens zu gelingen scheint. Neben Jordanien, das wirtschaftlich fast vollständig vom Irak abhängt, und dem Iran, der erst in den vergangenen Jahren wieder diplomatische Kontakte zu Bagdad aufgenommen hat, beeilen sich auch andere Staaten, vorsorglich auf Distanz zum irakischen Regime zu gehen.

Dass dabei auch die Außenpolitik Europas eine Rolle spielt, zeigt nicht zuletzt das Verhalten der Türkei. Dort ist man seit langem verärgert über die EU, von der man sich nicht zuletzt auch eine Aufwertung als regionale Macht erhofft hatte. Seitdem aber die Niederschlagung der kurdischen Guerilla erfolgreich beendet wurde, hat die EU die Menschenrechtslage in der Türkei entdeckt. Während Europa verstärkt über Syrien und Irak Einfluss auf die Region zu gewinnen hofft, fällt der Türkei immer mehr die Rolle eines Bollwerks gegen jene Menschen zu, die vor allem aus dem Irak nach Europa zu fliehen versuchen. Eine Alternative zum Status quo hat die EU der Türkei bis dato nicht geboten.

So erklärte nunmehr auch der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit nach langem Zögern seine Zustimmung zu einem Militärschlag gegen den Irak, den die Türkei aus Angst vor einer Destabilisierung bislang verhindern wollte. Voraus ging ein letzter Versuch der türkischen Regierung, zumindest in der Frage der Waffenkontrolle den Irak zu einem Einlenken zu bewegen. Das Schreiben Ecevits an Saddam Hussein, in dem jener den Irak vor einer »großen Gefahr« warnte, konterte der irakische Präsident nach Angaben der türkischen Zeitung Milliyet mit der Forderung, die Türkei solle erst einmal dafür Sorge tragen, dass US-amerikanische und britische Kampfjets nicht mehr im türkischen Incirlik zur Überwachung der Flugverbotszone über den Kurdengebieten starten dürfen.

Nichts aber fürchtet die Türkei mehr als einen erneuten Waffengang des Regimes im kurdischen Nordirak, an dessen Ende entweder eine weitere Massenflucht von Kurden oder - aus türkischer Sicht noch schlimmer - womöglich eine kurdische Autonomie stehen könnte. Vor die Wahl gestellt, mitzumachen oder zuzuschauen, hat sich die Türkei nun offenbar gegen Saddam Hussein entschieden, unter der Bedingung, dass kein eigenständiger kurdischer Staat entstehen wird.

Von einem eigenständigen kurdischen Staat im Nordirak und einer Aufteilung des Landes aber spricht, außer der irakischen Propaganda und der deutschen Friedensbewegung, derzeit niemand. Die kurdischen Parteien halten an der Einheit des Landes fest. Auch die islamische Opposition mit Sitz in Teheran strebt keine Abspaltung des schiitischen Südirak an, sondern fordert den Sturz des Regimes in Bagdad. Die Opposition kann darauf verweisen, dass die Bevölkerung bereits 1991 mit landesweiten Aufständen gezeigt hat, wie sehr sie einen Umsturz herbeisehnt. Das irakische Regime hat sein Arsenal an Massenvernichtungswaffen, um die es in der aktuellen Auseinandersetzung formal geht, bislang ausschließlich benutzt, um missliebige oder widerständige Teile der eigenen Bevölkerung zu vernichten.

Ein möglicher Aufstand der Bevölkerung stärkt auch die irakische Opposition im Ausland, die einem Militärschlag gegen das eigene Land skeptisch gegenübersteht oder ihn ablehnt. Neben der islamischen Opposition, die jüngst zur »Zusammenarbeit mit allen Bevölkerungs- und Oppositionsgruppen« für einen demokratischen Irak aufgerufen hatte, fordert auch der oppositionelle Dachverband Iraqi National Congress (INC) von den USA vor allem Unterstützung bei der Ausbildung irakischer Kräfte, die zu einem Umsturz fähig sind.

Die Drohung wird in Bagdad offenkundig ernst genommen. Um die Situation zu entschärfen, erklärte die Regierung nun ihre generelle Bereitschaft, Inspektionsteams zur Untersuchung der Menschenrechtslage ins Land zu lassen. Wie so oft in den vergangenen Jahren ging dieser Ankündigung die erneute »Säuberung« der Gefängnisse des Landes durch Massenhinrichtungen voraus. Wie immer reagiert die Baath-Partei mit großen Gesten nach außen und verschärfter Repression nach innen.

Auf die innere Krise des Regimes reagieren die USA bislang allerdings verhalten. Eine Legitimation für ihre Politik sucht die Bush-Administration einzig in der Frage der Kontrolle irakischer Massenvernichtungswaffen. Damit folgt sie einerseits der bisherigen Irak-Politik, die vor allem eine nicht kontrollierbare revolutionäre Entwicklung verhindern sollte. Andererseits richtet sich das Argument auch an Europa und Russland, die den Irak über Jahrzehnte mit Material, Technik und dem erforderlichen Know-How zur Produktion von chemischen und biologischen Kampfstoffen beliefert haben. Mit deutschem Giftgas wurde Ende der achtziger Jahre die kurdische Bevölkerung im Nordirak niedergemacht, weshalb sich die humanitären Krieger im deutschen Außenamt auffallend zurückhalten.

Der Kritik an der Irak-Politik der USA bleibt daher nur der Hinweis darauf, dass diese lediglich eigene ökonomische und geostrategische Interessen verfolge - eine Kritik an der kapitalistischen Normalität, die sich jedoch nie gegen die Interessenpolitk der europäischen Konzerne richtet, die in den vergangenen Jahren nicht nur an der rücksichtslosen Wertabschöpfung durch das irakische Regime, sondern auch an den dafür zur Verfügung gestellten Mitteln verdient haben.

Im Bruch mit dieser skandalösen Normalität scheint sich nun ausgerechnet jenen eine politische Handlungsoption eröffnet zu haben, die längst abgeschrieben waren. Neben der irakischen Bevölkerung und der ins Exil vertriebenen Opposition ist dies ausgerechnet die PKK, die sich mit ihrer jüngst erklärten Transformation aus der Logik des Konflikts zu befreien versucht, an der sie zugrunde zu gehen drohte. »Der Systemkampf im Irak«, verkündete der Parteirat jüngst, »wird festlegen, wie das neue System des Mittleren Ostens aussehen wird.« Darin äußert sich vor allem die Hoffnung, dass der lähmende Status quo, in dem sich Europa so schön eingerichtet hat, bald ein Ende finden wird.