Gericht spricht französischen Zwangsarbeitern Entschädigung zu

Erfreuliches Exempel

Weit reichende Folgen könnte ein Urteil des Arbeitsgerichts Fontainebleau nach sich ziehen. Denn Anfang Februar verpflichteten die Richter im Département Seine-et-Marne den deutschen Staat zur Zahlung einer Entschädigung von 91 244 Euro an Roland Bucheron. Der französische Zwangsarbeiter war 1944 nach Hannover deportiert worden.

Als »beispiellose Entscheidung« bezeichnete der konservative Figaro das Urteil zugunsten des 77jährigen, der nach der Inhaftierung durch die Gestapo zehn Monate lang in den Varta-Werken Zwangsarbeit leisten musste. Vor Gericht beschrieb er, wie er an sechs, oft auch sieben Tagen pro Woche zehn bis 14 Stunden schuften musste, geschlagen wurde und keinen Lohn erhielt. Die Verpflegung bestand aus einer Schüssel Suppe am Tag, dazu gab es zweimal pro Woche ein Stück Schwarzbrot und Margarine.

Nach dem Urteil zeigte Bucheron sich glücklich, endlich einen rechtlichen Anspruch auf Entschädigung geltend machen zu können. Zugleich ermutigte er alle weiteren noch lebenden französischen Zwangsarbeiter, jetzt Klagen einzureichen. Enttäuscht äußerte sich Bucheron jedoch über die deutsche Regierung, die es nicht für nötig erachtet hatte, einen eigenen Repräsentanten zum Prozess zu entsenden.

Emmanuel Ludot, der Anwalt des Klägers, sieht in dem Urteil trotz der zu erwartenden deutschen Berufung einen Präzedenzfall. Er verwies darauf, dass das Gericht in seiner Entscheidung das Prinzip anerkannt habe, dass Arbeit entlohnt werden muss, egal ob sie erzwungen oder frei vereinbart wurde. Noch im Mai 2001 hatte sich das Arbeitsgericht Paris in den Fällen dreier weiterer Zwangsarbeiter für nicht zuständig erklärt, unter anderem deshalb, weil keine Arbeitsverträge vorgelegt worden seien.

Ludot vertritt zur Zeit sieben weitere Klagen französischer Zwangsarbeiter gegen den deutschen Staat. Der Anwalt glaubt, dass etwa 1 000 Personen aus ähnlichen Gründen wie Bucheron Ansprüche erheben könnten. Mehr als 600 000 französische Staatsbürger mussten während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland Zwangsarbeit leisten.

Schon jetzt ist abzusehen, dass die meisten Anträge der Überlebenden von der deutschen Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft abgewiesen werden. Nur die wenigsten von ihnen können belegen, in einem Konzentrationslager, einem ständig bewachten Arbeitslager oder einem Ghetto interniert gewesen zu sein. Und ohne diese Nachweise wollen die Bundesregierung und die Wirtschaft keine freiwilligen Entschädigungszahlungen leisten.

Kaum eine deutsche Firma, die Zwangsarbeiter ausbeutete, ist zur Ausstellung einer entsprechenden Bescheinigung bereit. Ohnehin können die Antragsteller von der deutschen Stiftung keinen Ersatz für entgangenen Lohn erwarten, sondern bestenfalls eine einmalige Kompensation von höchstens 7 700 Euro.

Die Bundesregierung lehnte das Urteil wie erwartet ab. Ihrer Meinung nach verstößt der Richterspruch gegen das Prinzip der Staatenimmunität, sie zeigte sich zuversichtlich, in der nächsten Instanz eine Aufhebung zu erreichen. Die Maßgabe, dass kein Staat von einem Gericht eines anderen Staates verurteilt werden dürfe, müsse gültig bleiben.

Dennoch ist man im Auswärtigen Amt ein bisschen irritiert. Schließlich rechnete Berlin auch im Falle Griechenlands nicht damit, dass das oberste Gericht in Athen Reparationsforderungen von Opfern deutscher NS-Massaker anerkennen würde. (Jungle World, 8/02) Anwalt Ludot will notfalls bis vor das Europäische Gericht für Menschenrechte ziehen, wenn das Urteil von Fontainebleau nicht bestätigt wird.