Geschäfte im Hinterhof

Auf seiner Reise durch Lateinamerika verfolgte Bundeskanzler Schröder europäische Freihandelsinteressen.

Vielleicht hat Gerhard Schröder das mit der Demokratisierung und den Menschenrechten doch nicht richtig verstanden. Aber wahrscheinlich wollte er nur seinem Kollegen Vicente Fox Quesada schmeicheln. Jedenfalls wird es die mexikanischen Studenten der Autonomen Universität Unam verwundert haben, dass ihnen der deutsche Kanzler in Sachen Chiapas erklärte: »Mexiko muss den guten Weg der letzten Jahre weitergehen: den der Annäherung, der Gewaltlosigkeit und des Respekts gegenüber der indigenen Bevölkerung.«

Dass gewalttätige Übergriffe in dem südmexikanischen Bundesstaat alltäglich sind und ein Abkommen über die Rechte der Indígenas in weiter Ferne liegt, wird auch Schröder nicht fremd sein. Sei's drum, Hauptsache, die Diktion stimmt. Wer mit Europa anbandelt, steht für Rechtsstaatlichkeit, Friedensprozesse und Menschenrechte. In Bagdad, in Gaza und auf der anderen Seite des Atlantiks.

So sah man im mexikanischen Nationalpalast nur zufriedene Gesichter, als der deutsche Kanzler zu Beginn seiner Lateinamerika-Reise in der vergangenen Woche bei Präsident Fox zu Gast war. Zumal die Regierung des ehemaligen Coca-Cola-Managers wie auch Schröders rot-grüne Koalition mit jener seltsamen Politikmixtur angetreten ist, die Bürgerrechte mit Wirtschaftsliberalismus verbinden wollte. Seit 14 Monaten ist Fox im Amt, eine Aufklärung der Verbrechen des Militär- und Polizeiapparates ist ebenso wenig in Sicht wie etwa ein Ende der Korruption der politischen Klasse. Umso erfolgreicher führte Fox fort, was seine Vorgänger begonnen hatten: die Privatisierung staatlicher Unternehmen und die Öffnung des Marktes für internationale Investoren. »Ich wage zu behaupten«, so Fox, »dass Mexiko derzeit der beste Platz auf der ganzen Welt für Investitionen ist.«

Eine optimistische These, schließlich schafft der überbewertete Peso Exportprobleme, und das Lohnniveau der Fachkräfte ist so hoch wie in den USA. Maquiladoras, die zum Schlüsselsektor des Landes geworden sind, machen dicht, um woanders für niedrigere Löhne produzieren zu lassen.

Dennoch hatten die Spitzen der deutschen Wirtschaft allen Grund, mit Schröder auf Tour zu gehen. Wegen seiner Einbindung in das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta gilt Mexiko als Einfallstor zum US-amerikanischen Markt. Und auch mit dem lateinamerikanischen Markt ist der Staat bestens verbunden. Mit Guatemala, Honduras und El Salvador gibt es seit dem Jahr 2000 ein Handelsabkommen, seit 1992 gelten entsprechende Verträge mit Chile, Costa Rica, Nicaragua, Venezuela, Kolumbien und Bolivien.

Über 700 Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung lassen in Mexiko produzieren. Sie sorgen für fünf Prozent des mexikanischen Bruttoinlandsproduktes. Im Mai des letzten Jahres rollte in Puebla der fünfmillionste Volkswagen aus mexikanischer Produktion vom Band, der Chemiekonzern BASF plant Investitionen in Höhe von 200 Millionen Dollar.

Vor allem von dem im Juli 2000 in Kraft getretenen Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mexiko versprechen sich die deutschen Unternehmer höhere Umsätze. Denn diese »zügigste Marktöffnung, die Europa jemals mit so einem Abkommen bekommen hat«, so der mexikanische EU-Botschafter Jaime Zabludovsky, bietet günstige Konditionen für den europäischen Investor Nummer eins. Im Jahr 2001 stiegen die mexikanischen Importe aus Deutschland um sechs Prozent, während die Importe insgesamt um drei Prozent sanken.

Entsprechend zuversichtlich gibt sich Präsident Fox. »Mit ein wenig Anstrengung« könne das Handelsvolumen zwischen der EU und Mexiko in zehn Jahren die gleiche Höhe erreicht haben wie das derzeitige zwischen Mexiko und den USA. Gegenwärtig wickelt der Staat noch die meisten seiner Geschäfte mit dem nördlichen Nachbarn ab. Von dieser Abhängigkeit wolle man wegkommen, erklärte Fox, und Schröder ergänzte: »Wir wissen, dass 90 Prozent der mexikanischen Exporte in die USA gehen, aber wir wissen auch, dass das ein Risiko bedeutet.«

In den maßgeblichen Gremien des Europäischen Parlaments wird über den Risikofaktor USA längst diskutiert. Vor allem über die Free Trade Association of the Americas (FTAA), der geplanten gesamtamerikanischen Freihandelszone von Alaska bis Feuerland, ist man in Sorge. So heißt es in einem Bericht des »Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik« vom Oktober 2001: »Als strategische Antwort auf das Projekt FTAA und die Hegemoniebestrebungen der Vereinigten Staaten in der Region« müsse die EU ein interregionales globales Assoziierungsabkommen abschließen. Da die FTAA bereits bis zum Jahr 2005 verwirklicht werden solle, sei »die EU dringend gefordert, konkrete Initiativen zu ergreifen«.

Mit Brasiliens Staatschef Fernando Henrique Cardoso traf Schröder in der letzten Woche den Richtigen für solche Initiativen. Seit 1991 setzt die Regierung des südamerikanischen Staates auf den Mercosur, den »gemeinsamen Markt des Südens« von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay sowie den assoziierten Staaten Chile und Bolivien. 230 Millionen Verbraucher soll der Mercosur vereinigen. Zudem will man sich vor der ungerechten Einflussnahme und der ungerechten Handels- und Finanzpolitik der USA schützen.

Beinahe folgerichtig machen die Staaten inzwischen mehr Geschäfte mit den EU-Staaten als mit den USA. Und »Deutschland ist einer unserer wichtigsten strategischen Partner«, ließ Cardoso wissen. »Wir wollen in Lateinamerika ein starkes und engagiertes Deutschland, das seine Interessen in einer Region, die traditionell deutschfreundlich ist, auch in jeder Hinsicht wahrnimmt.« Damit hatte die deutsche Industrie bislang ohnehin keine Probleme. Etwa 1 200 Unternehmen haben sich dort angesiedelt und rund 16,7 Milliarden Dollar investiert.

Lange Zeit schlummerte der Mercosur vor sich hin, nicht zuletzt, weil Argentiniens damaliger Präsident Carlos Menem in den neunziger Jahren ein enges Verhältnis zu Washington unterhielt. Doch seitdem der Nachbarstaat ökonomisch zusammengebrochen ist, herrscht in Brasília Aufbruchstimmung. Die Aufhebung der Dollarbindung, zu der Argentiniens Präsident Eduardo Duhalde gezwungen war, schaffe wieder einen gleichen Währungsrahmen, erklärte sein brasilianischer Amtskollege Cardoso. »Das wird dem Mercosur neuen Auftrieb geben.«

Schröder ließ denn auch wissen, dass die EU bis zum kommenden Jahr ein Freihandelsabkommen mit dem »Gemeinsamen Markt des Südens« abschließen wolle. Und zwar noch bevor die USA die FTAA ins Leben rufen werden, ergänzte der mitreisende Wirtschaftsminister Werner Müller. Die Lösung des Problems der protektionistischen EU-Subventionen für landwirtschaftliche Produkte legte Brasiliens Staatschef Cardoso vertrauensvoll in Schröders Hände: »Wir erhoffen uns gerade von Deutschland eine Vorreiterrolle bei den Reformen der europäischen Agrarpolitik.«

Die deutsche Landwirtschaft und auch noch den Gegenspieler Frankreich dazu zu bringen, auf diese Subventionen zu verzichten, dürfte wohl zu den schwierigen Übungen gehören. Doch für die künftige Kooperation mit den Staaten jenseits des Atlantiks hat man große gemeinsame Pläne. Einem ersten Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas, der Karibik sowie der EU im Jahr 1999 in Rio de Janeiro soll im Mai ein weiteres in Madrid folgen. Dann soll über die Einrichtung einer europäisch-lateinamerikanischen Freihandelszone bis zum Jahr 2010 verhandelt werden.

Auf der Tagesordnung in Madrid steht auch der Plan Puebla Panama, ein seit langem diskutiertes Projekt, das den Süden Mexikos mit den zentralamerikanischen Staaten ökonomisch verbinden soll. Geplant sind Weltmarktfabriken, die, entsprechend infrastrukturell angebunden, optimale Verwertungsbedingungen für internationales Kapital schaffen sollen.

Vermutlich gehörte auch während Schröders Stelldichein in Mexiko-Stadt dieses Vorhaben zu den zentralen Themen, zumal, so der Bericht des EU-Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik die »Europäischen Staaten ihre Anstrengungen in der mittelamerikanischen Region auf die Durchführung dieses Projektes konzentrieren sollen«.

Dumm nur, dass zwischen Mexiko und Panama viele Gruppen ihren Widerstand gegen den Plan Puebla Panama angekündigt haben. Auch indigene Organisationen und die Zapatisten im Süden Mexikos. Aber bei Friedensprozessen und Menschenrechten kennt sich Schröder ja aus.