Klinken putzen bei Saddam

Deutsche und europäische Delegationen setzen sich für das irakische Regime ein. Die EU fürchtet um ihren Einfluss im Nahen Osten.

Aauf dem Bagdader Saddam-Flughafen herrscht ein Betrieb wie lange nicht, und selbst die staatliche irakische Nachrichtenagentur Ina, sonst auf wöchentliche Updates der Zitatensammlung Saddam Husseins über »Zionismus und US-Imperialismus« spezialisiert, kommt kaum hinterher mit der Aufzählung der Delegationen, die derzeit im irakischen Außenamt vorstellig werden. Eben hatte Jörg Haider seine Gastgeschenke an Saddam Hussein überreicht, da saßen die viel gefragten Beamten des Regimes schon mit Gästen aus Deutschland bei Beratungen. Neben der Deutsch-Irakischen Gesellschaft unter der Leitung des Mitarbeiters im Deutschen Orient Institut Aziz Alkazaz wurde, wie die FAZ und Ina meldeten, auch eine weitere deutsche Delegation bei Tarik Aziz vorstellig. um mit der irakischen Führung Auswege aus dem Konflikt mit den USA zu beraten. Dabei soll es der Delegation, wie Haider und anderen europäischen Gesandten darum gehen, Alternativen zur Irak-Politik der US-Regierung zu suchen, die nunmehr offen den Sturz des Diktators betreiben will.

»Ein höllisch gefährliches Unterfangen!« meint Harald Bock. »Die regierenden amerikanischen Falken wollen die Landkarte neu zeichnen«, und der EU komme dabei »wieder einmal nur eine Zaungastrolle zu«. Bock muss es wissen, denn der Job eines Generalsekretärs der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG) besteht darin, für die deutsche Industrie um einen vorderen Platz bei der Aufteilung der nahöstlichen Märkte anzustehen.

Mit gut 50 Prozent - und mehr als sechsmal so viel wie der stärkste Konkurrent Schweiz - war die deutsche Wirtschaft in den achtziger Jahren nach Angaben der New York Times am Aufbau des irakischen Atomwaffenarsenals und an der Entwicklung von Trägerraketen beteiligt. Dazu kamen Deals der petrochemischen Industrie, der Bau von Bunkeranlagen und vor allem der lukrative Aufbau chemischer Fabriken zur Produktion von C-Waffen, die das irakische Regime in Halabja gegen die eigene Bevölkerung einsetzte und von denen heute in Deutschland niemand mehr etwas wissen will. Was also an »höllisch Gefährlichem« im Irak existiert, wurde zu erheblichen Teilen mit deutscher Unterstützung produziert.

Doch die Zeiten, als die Bundesregierung großzügig Hermeskredite für Geschäfte mit dem Irak verteilte und Mitarbeiter deutscher Unternehmen in den Verwaltungsbüros der Giftgasanlagen Faluja und Samarrah saßen, sind vorbei. Vom 1990 verhängten UN-Embargo wurden auch der legale irakische Außenhandel und die diplomatischen Beziehungen beendet. Seitdem fühlt sich die deutsche Industrie zum Zaungast deklassiert.

So exportiert der Irak zwar seit 1999 wieder dieselbe Menge Öl in die EU wie vor dem Golfkrieg, doch unterm Kuratel der UN, die über die Verwendung der Erlöse wacht. Der Export deutscher Waren liegt damit weiterhin praktisch bei null, während irakisches Öl zu Weltmarktpreisen eingekauft werden muss.

Das schmerzt um so mehr, als dieses Öl auf dem Schwarzmarkt zu Spottpreisen zu haben ist, wovon vor allem die Nachbarstaaten profitieren. Syrien, Jordanien und die Türkei haben in den vergangenen Jahren Milliarden damit verdient, dass sie irakisches Öl zu Schwarzmarktpreisen importieren und zu Weltmarktpreisen ausführen. Auf diesem Schwarzmarkt wird nicht nur Öl gehandelt, sondern fast alles, was der Irak an den Sanktionsbestimmungen vorbei importiert.

Und das sind nach Angaben des renommierten Wisconsin Project on Nuclear Arms Control durchaus nicht nur Farbfernseher und Funkwecker aus Fernost. Seit 1995 hat die irakische Regierung demnach in Russland, Weißrussland, Rumänien und der Ukraine rege Einkäufe getätigt, um das irakische Rüstungsprogramm zu verwirklichen. Die Verträge betrafen neben Militärhubschraubern und Kampfjets vor allem Fertigungsanlagen, Labors und Geräte zur Produktion von Trägerraketen, zur sicheren Lagerung und Weiterverarbeitung von chemischen und nuklearen Kampfstoffen und High-Tech zur Zielbestimmung. Aus China bezog der Irak Hardware zur Erneuerung seiner Flugabwehrbatterien. Auftraggeber war in fast allen Fällen das irakische Badr State Establishment, ein Unternehmen der staatlichen Rüstungsindustrie, das schon den Ausbau der sowjetischen Scuds zu jenen »Al Hussein«-Raketen übernommen hatte, die 1991 auf Tel Aviv abgefeuert wurden.

Deutsche und europäische Konzerne hoffen daher auf ein baldiges Ende der Sanktionen, damit auch die leidige Konkurrenz aus dem Osten ausgeschaltet werden kann. Im Irak wartet dann ein großflächiger Wiederaufbau, den weder Rumänien noch Russland leisten kann. Mit der Eröffnung einer Handelsvertretung im Juni und der Beteiligung an der Bagdader Industriemesse mit eigenem Pavillon im Oktober meldete die deutsche Industrie ihr Gewohnheitsrecht im letzten Jahr wieder an.

Der Kampf gegen die UN-Sanktionen ist dabei zum Entréebillet für den irakischen Markt geworden (Jungle World, 28/01). »Es macht keinen politischen Sinn, die Sanktionen aufrechtzuerhalten oder den Markt zu boykottieren«, zitierte die libanesische Zeitung Daily Star Ulrike Donath vom deutschen Pavillon. Dabei setzt das Bagdader Regime die Anwärter durchaus auch unter Druck. Französische und russische Unternehmen wurden mit der Kündigung von Erdölförderverträgen bestraft, weil ihre Regierungen sich nicht vehement genug gegen das von Großbritannien vorgelegte Konzept »intelligenter Sanktionen« ausgesprochen haben.

Für Deutschland vertreten wie so oft Nichtregierungsorganisationen ihre Regierung, wo diese selbst nicht offen agieren kann. Seit der Lockerung der Sanktionen durch das oil-for-food-Programm werben Anti-Sanktionskomitees und Wirtschaftsverbände wie die DAG im Namen der irakischen Bevölkerung für die Rehabilitation des faschistischen Regimes und für eine »friedliche Lösung des Irak-Konfliktes«. Ihre politische Rhetorik speist sich direkt aus dem ideologischen Repertoire des irakischen Baathismus, der für den inneren Krieg gegen die Bevölkerung beständig äußere Feinde zur Rechenschaft ziehen muss. Also lehnen Deutschland und die EU jetzt auch den US-amerikanischen Vorstoß gegen das irakische Regime als Kriegspolitik ab, obwohl in Washington vom Krieg nur unter Vorbehalt gesprochen wird. Mehr als auf eine groß angelegte Invasion hofft man dort auf einen Kollaps des Regimes wegen des wachsenden internationalen Drucks und des Widerstand der Bevölkerung.

Die Panik, die von dieser Politik unter den deutschen und europäischen Regierenden ausgelöst wurde, lässt sich am besten in der offenen Übernahme dessen ablesen, was bislang ihre NGO erledigen mussten. So erklärte sich die EU auf ihrer Gipfelkonferenz in Spanien zur Friedensbewegung und forderte Alternativen zur amerikanischen Nahostpolitik. Unter Federführung des französischen Außenministers Hubert Védrine bemüht sie seitdem einen längst nicht mehr existenten Panarabismus und versucht, europäische Vorschläge zur Lösung des Konflikts zwischen den Israelis und den Palästinensern gegen eine US-amerikanische Politik zu setzen, in deren Zentrum der Irak steht.

Das europäische Versprechen an die in Agonie versinkende palästinensische Autonomiebehörde, ihr einen eigenen Staat zu verschaffen, kann derweil getrost als Propaganda abgetan werden. Seit über 50 Jahren sind die Palästinenser eine Chiffre für den politischen Konflikt im Nahen Osten. Für einen palästinensischen Staat interessiert sich die EU so wenig wie die arabischen und die islamischen Länder. Schon in den vergangenen 16 Monaten seit dem Ausbruch der Intifada erwies sich die Unterstützung der EU für die Palästinenser als halbherziger und taktischer Versuch, die eigene Hegemonie im Nahen Osten auszubauen. Wie in den Jahrzehnten zuvor von den arabischen Staaten wurden den Palästinensern hehre Versprechungen gemacht, die einzuhalten nicht beabsichtigt war.

Das Verhalten der arabischen Staaten gegenüber dem Irak dürfte der EU derzeit auch weitaus mehr Sorgen bereiten als das Schicksal der palästinensischen Nationalbewegung. Neben Jordanien und Saudi-Arabien sind dies vor allem der Iran und Syrien, wo die EU bislang außenpolitische Hegemonie anmelden konnte. Während der Iran unverhohlen auf einen Machtwechsel in Bagdad spekuliert und sich den USA als Partner andient, ist die syrische Regierung auf Tauchstation gegangen und reagiert weder auf die europäischen Vermittlungsversuche in Israel/Palästina noch auf den Irak-Konflikt. So stellte Al Hayat, die international wohl bedeutendste arabische Zeitung, lakonisch fest, dass »die Positionen der Europäer arabischer (sind) als die gewisser arabischer Politiker«.

Diese nämlich sind ebensowenig bereit, für den selbst ernannten Führer der arabischen Massen in Bagdad wie für das »leidende Brudervolk« in Palästina einen offenen Konflikt zu riskieren. Entsprechend gering ist die Rolle, die der »ehrliche Makler« aus Europa, wie Joseph Fischer hierzulande gerne tituliert wird, auf seiner jetzigen Nahost-Reise spielt; die FAZ spricht deshalb schon von einem »Widerstand der Machtlosen«.

So bleiben der EU und Deutschland nur die bedingungslose Parteinahme für den Paria des Nahen Ostens. Der FAZ erklärte Iraks Außenminister Tarik Aziz die Koordinaten eines irakisch-europäischen Kompromisses, der in der Aufhebung der Sanktionen bestehen könnte und in der Forderung, Waffeninspektionen in der »gesamten Region« durchzuführen.

Nicht aber in Washington, in Bagdad entscheidet sich, wie der Konflikt weiter verläuft. Denn nicht »die Region«, sondern das Regime Saddam Husseins hat mit Massenvernichtungswaffen einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt. Sollte es zu dem von den USA favorisierten Sturz des Regimes durch die Bevölkerung kommen, so wird mit Saddam Hussein auch das gesamte System europäischer Beihilfe zur Rechenschaft gezogen werden. Um dies zu verhindern, führt das Regime erneut Säuberungen in den eigenen Reihen durch. Während die deutsche Delegation mit Tarek Aziz in Bagdad beriet, wurden oppositionellen Quellen zufolge in einem Vorort der Stadt zehn hohe Offiziere per Kopfschuss hingerichtet.