Jihad online

Lies die blutigen Seiten

Todessehnsucht, Warnungen vor westlicher Dekadenz, Antisemitismus: Wer die Welt der Jihadisten kennen lernen möchte, sollte ihre Homepages besuchen.

Der Jihad ist ein schillernder Begriff. Von Muslimen, die den Islam als genuin friedfertig darstellen wollen, wird der Jihad als Streben des Individuums nach ethisch-moralischer Vervollkommnung begriffen und nur im extremen Fall als Verteidigungskrieg gerechtfertigt.

Auf der anderen Seite steht das Verständnis eines Jihad, der alle Hindernisse für die Ausbreitung des Islam beseitigen will. Dies kann den Krieg sowohl gegen »Ungläubige« als auch gegen eine muslimische Herrschaft legitimieren, die den Kämpfern als »unislamisch« gilt. Entwickelt wurde diese radikale Auffassung in erster Linie von dem Pakistani Abu l-a'la al-Maududi und dem Ägypter Sayyid Qutb. Vertreten wird sie heute vor allem von den so genannten Jihadis, so die in englischsprachigen Texten verwendete Selbstbezeichnung der Verfechter eines militanten Kampfes gegen alle »Feinde des Islam«. Ihren Kampf mit Worten und Bildern führen die Jihadis auch im Internet.

Einer der führenden Ideologen und Aktivisten des modernen Jihads dürfte der 1989 in Pakistan ermordete Palästinenser Abdallah Azzam gewesen sein. Seinen Namen trägt auch eine Website, die sich bis vor kurzem hauptsächlich dem Tschetschenien-Konflikt widmete. Während die von Azzam Publications betriebene Seite nach dem 11. September 2001 vom Netz genommen wurde, ist sie jetzt - zumindest zeitweilig - wieder direkt erreichbar (www.azzam.org). Fotostrecken dokumentieren Aktionen in Tschetschenien, hauptsächlich Verluste auf russischer Seite. Auf einem Bild wird die Lunge eines russischen Soldaten als Trophäe gezeigt.

Erfasst werden mittlerweile aber auch weitere Länder: Bosnien, Afghanistan, Palästina, Irak oder die Philippinen. Die Texte berichten vor allem über die Aktivitäten von Märtyrern, also getöteten Kämpfern des Jihad. Außerdem werden aktuelle Nachrichten verbreitet. Da die für den Jihad-Islam zentrale und repräsentative Azzam Publications eine erneute Schließung erwartet, forderte sie dazu auf, ihre Inhalte über andere Websites, Diskussionsgruppen oder via E-Mail weiter zu vermitteln.

Ähnlich strukturiert wie Azzam Publications war eine ebenfalls vom Netz genommene indonesische Seite. Sie fiel durch ihr Design auf. Rote Querbalken, von denen in einem fort Blut herabtropft, unterteilten die Seite. Ebenso vom Netz genommen wurde die Website »Jihaad ul-Kuffari wal Munafiqeen« (»Jihad gegen die Ungläubigen und die Heuchler«). Sie bot eine Vielzahl von Texten zu Problemen der modernen Jihadbewegungen an. Das Motto, ein Zitat von Abdallah Azzam, ist charakteristisch für die Mehrzahl der Jihad-Gruppen: »Nur der Jihad und das Gewehr. Keine Verhandlungen, keine Konferenzen, keine Dialoge.«

Dieses Motto passt auch zur Seite »The Defenders of Sahabah«: Unter zwei aufgerichteten Schwertern auf ihrer Eingangsseite publiziert sie einen Text, in dem ein pakistanischer Religionsgelehrter erklärt, dass die Ablehnung des Jihad mit Unglauben gleichzusetzen sei (www.geocities.com/Athens/Oracle/9684/jihad-denial.htm). Andere Webseiten zeigen eine Kalaschnikow vor einem Koran, denn für sie ist der Jihad ganz offenkundig der bewaffnete Kampf gegen »Ungläubige« und als Heuchler denunzierte Muslime.

Was sind die Charakteristika der über diese Sites verbreiteten Jihad-Ideologie? Wer konkrete Gesellschaftsentwürfe erwartet, wird enttäuscht. Was aufscheint, ist ein allgemeines Unbehagen, ein Gefühl der gesellschaftlichen Malaise, die nicht recht greifbar ist. Im Gegensatz zu national orientierten Organisationen, die wie die palästinensische Hamas oder die libanesische Hizbollah auf ein gewisses Maß an Programmatik nicht verzichten können, hat die hier skizzierte und die Prinzipien des Jihad vorgebende internationalistische Strömung daran kein Interesse.

Das auffälligste Element dürfte wohl die Todessehnsucht sein. In den Berichten von »Märtyrern« wiederholt sich die Vorstellung, Jihadis stürben mit einem Lächeln auf den Lippen. Auch die Fotos getöteter Aktivisten zeigen die Faszination des Todes. Hier kommt die extreme Form der immer wieder proklamierten Ablehnung der Welt zum Ausdruck. Insbesondere die Angst vor der »Korruption« durch das »westliche Luxusleben« tritt häufig auf. Der arabische Feldkommandant al-Khattab beschwert sich außerdem über den Einfluss der Familien von Jihadis. Seine Mutter bedränge ihn immer noch, doch nach Hause zurückzukehren.

Die so dargestellte Welt ist voller Feinde, die den Islam und die Muslime schwächen. Immer wieder weisen die Texte darauf hin, dass die Muslime in ihrer jetzigen Situation nicht in der Lage seien, wirklich islamisch zu leben: »Die Erscheinung der Schwäche im Glauben hat sich unter den Muslimen ausgebreitet. (...) Viele Muslime zeigen die Symptome dieser Krankheit, die der Ursprung aller Katastrophen und der Grund für alle Schwierigkeiten und alles Unglück ist.«

Nach Überzeugung der Jihadis werden diese Schwäche im Glauben und der moralische Verfall, der sich etwa in der »Hingabe an Sexualität« ausdrücke, unter anderem von den Medien und durch die Übernahme westlicher Rechtssysteme seitens der bestehenden Regierungen befördert. Außerdem wird das Erziehungswesen verantwortlich gemacht. »Das Erziehungssystem ist ein typischer Ort, an dem die Indoktrinierung beginnt«, heißt es etwa in dem Webzine »Nidaul Islam«, das von einer australischen Organisation unterhalten wird (www.islam.org.au). Als genauso bedrohlich gilt die Präsenz von Frauen im öffentlichen Raum: »Vielleicht stellt dies die größte Gefahr für den Muslim dar.«

Kernpunkt jeglicher Jihad-Agitation ist der Versuch, Personengruppen für die Schwächesymptome verantwortlich zu machen: »Diejenigen, die Unzucht betreiben, die Homosexuellen, diejenigen, die den Jihad aufgeben, die verwerfliche Neuerungen einführen und die Alkoholiker wie auch die, die sich mit ihnen zusammentun, sind eine Quelle des Unheils für die Religion des Islam.«

Hier finden wir auch eine weiteres konstitutives Element des Jihadismus: den Antisemitismus. So sucht ein langer Text auf »Jihaad al-Kuffaar wal Munafiqeen« zu belegen, dass die US-amerikanischen Medien, die Filmindustrie und das Fernsehen von Juden beherrscht seien: »Es gibt heute auf der Welt keine größere Macht als die von den Manipulateuren der öffentlichen Meinung in Amerika ausgeübte. Kein König oder Papst früherer Zeiten hat jemals über eine Macht verfügt, die auch nur annähernd der der wenigen Dutzend Männer gleichkommt, die Amerikas Massennachrichten und -unterhaltungsmedien kontrollieren. Ihre Macht ist weit entfernt und unpersönlich ...« Der Text bemüht sich in der Folge nachzuweisen, dass Juden als Vorstandsvorsitzende, Manager oder Eigentümer die Kontrolle über die US-Medien ausüben.

Diesen äußeren Mächten tritt in den Jihad-Texten die Abgrenzung vom »westlichen« Lebensstil gegenüber. Auf ihn reagieren die Jihadis mit Destruktion und Autodestruktion sowie mit einer Ideologie des einfachen Lebens. Es ist ein gerade-zu verzweifeltes Bedürfnis zu spüren, jeglichen »fremden« Einfluss auszuschalten und die Muslime und ihre Familien abzuschotten - ein Bestreben, das als Begierde dieser muslimischen Männer erscheint, ihre (Körper-) Grenzen vor Auflösung in der »westlichen« Kultur zu bewahren, die zugleich abstößt und attraktiv ist.

Dabei taucht »männliche« Tapferkeit immer wieder als hoher Wert auf. Schwerste Kriegswunden werden als unbedeutend abgetan. Konsequenterweise wird die Homosexualität dämonisiert. Einer der längsten Texte auf »Jihaad al-Kuffaar wal Munafiqeen« behandelt die gesundheitlichen Gefahren homosexuellen Verhaltens und stützt sich im Wesentlichen auf medizinische Berichte aus den USA.

Die zusammengeschweißte Einheit muslimischer Männer läuft an der Spitze in der Figur des so genannten »Befehlshabers der Gläubigen«, des amir al-muminin, zusammen. Von dessen »Rechtleitung« sind Wohl und Wehe des Jihad-Kämpfers abhängig. Folgt der Jihadi seinem Befehlshaber, siegt er über die Welt, folgt er ihm nicht, geht er in der Welt unter. Allmacht verbindet sich mit Ohnmacht.

Immer wieder zeichnen sich die Texte durch diese Gedankenfolge aus: Die Muslime sind schwach und nur wenn sie sich für den Islam in der Jihad-Auslegung entscheiden, sind sie stark, ja existieren überhaupt erst. Hier drängt sich allerdings die Frage auf, warum denn so wenige Muslime bisher den Weg in die Reihen der Jihadis gefunden haben.

Schuldig seien vor allem die Regime der muslimischen Staaten. Sie seien Pseudo-Muslime. Als Glaubensabtrünnige gebrandmarkt werden sie ebenfalls zum Ziel des Jihad. Letztlich ist aber die moralische Schwäche des einzelnen Gläubigen verantwortlich, der alleine nicht fähig zu sein scheint, den Weg des Jihad zu beschreiten und so zu einem richtigen Muslim zu werden. Er benötigt Anleitung - auch via Internet.

Weitere Websites:

www.ibnfarooq.tripod.com und www.abuzubair.com, hier geht es vor allem um den Tschetschenien-Konflikt

www.alribat.com, Recht instruktiv ist hier der Text über »Sisters Role in Jihad« und »How can I train for Jihad«.

In mehreren Sprachen präsentiert sich die Organisation Hizb ut-tahrir (www.hizb-ut-tahrir.org)und auf Arabisch die ägyptische Gamaat al-islamiya (www.almurabeton.org)

Der Artikel erschien zuerst in den Blättern des iz3w, Nr. 259, www.iz3w.org.