Die R'n'B-Sängerin Brandy

Sex ohne Sex

Vegan essen, sich auf die Ehe freuen - die R'n'B-Sängerin Brandy vermiest sich und anderen das Leben.

Wenn man den Korrrespondenten glauben darf, dann gibt es in den USA nach dem 11. September nur einen Trend: Prüderie in all ihren Facetten. Dem Spiegel zufolgte besteht »die neue Partykultur in New York« aus »Keksen und Milch: Vor allem junge New Yorkerinnen zwischen 20 und Mitte 30« zögen die Pyjama-Party dem Disco- oder Bar-Hopping vor.

In einer Umfrage der Zeitschrift New Yorker erklärte die Mehrheit der befragten Singles, seit den Anschlägen am Samstagabend lieber zu Hause zu bleiben, 35 Prozent hätten ihr Sexualleben eingeschränkt. Ein New Yorker Soziologe interpretiert diesen Trend gar als Re-Infantilisierung.

Auch ein Deutschlandfunk-Reporter berichtet vom ungewohnten Trend des Metropolen-Yankees zum Cocooning, der Kultivierung des Lebens in den eigenen vier Wänden. Und im ARD-Weltspiegel ist eine hübsche und erfolgreiche Wall-Street-Maklerin Mitte Zwanzig zu sehen, die stolz erklärt, nach dem Morgen des 11. September wusste sie endlich, dass sie ihren Geliebten heiraten müsse. Das Problem ist zwar, dass der irgendwo in einem Kaff im mittleren Westen wohnt, aber für die junge Lady ist das unproblematisch. So könne sie jetzt endlich Hausfrau und Mutter werden. Die Hektik der Großstadt sei ihr mittlerweile sowieso zuwider.

Gleich, welches Lifestyle-Magazin, welches Interview man liest, welchen Spielfilm man sieht, es geht den Akteuren nur noch um den Rückzug in die tragische Zweierbeziehung - nicht aus Liebe gezeugt -, es wird aus Zweckmäßigkeit und ungewisser Angst zueinander gefunden.

Etwa auf der neuen Platte von Brandy: Wenn die Rhythm'n'Blues-Sängerin hier über Liebesschmerz singt, weiß man nicht mehr so genau, ob der Song von der Aufgeschlossenheit des Kennenlernens und des Gefühlsabenteuers handelt oder von ehekarrieristischer Planenttäuschung. Nicht dass Brandy einem bisher als sonderlich aufgeschlossene Person erschienen wäre. Dazu bekannte sie sich schon zu Zeiten ihres Hits »The Boy Is Mine« zu häufig zu christlichen Werten und bedankte sich zu oft bei ihrer engstirnigen Familie für die tolle Förderung ihres unbestreitbaren Talents. Aber wie die heute 23jährige seit einigen Monaten von ihrer Hochzeit schwärmt, das lässt schon arg an ihrem Verstand zweifeln.

Und nicht nur das: Ihre Figur, gibt sie zu Protokoll, verdanke sie nämlich keineswegs dem Training im Fitnessclub, sondern dem Verzicht auf Junk Food: »Ich aß jeden Tag nur Hamburger und Pommes. Und ich wurde ständig krank.« Deshalb wurde sie vor einiger Zeit Veganerin: »Ich aß einen vegetarischen Burger. Und der hat überhaupt nicht anders geschmeckt als ein normaler Burger! Es geht nur ums Würzen und wie du den Burger zubereitest.«

Brandy interessierte sich fortan auch noch für New Age und Metaphysik. Das Album »Full Moon« - Achtung, Metaphysik - ist fast so einschläfernd wie die Sit-Com »Moesha«, in der sie mitspielte: humorlos, selbstironiefrei, elternorientiert. Zwar posiert Brandy im Booklet und in den Video-Clips wie üblich im Leder-Dress und mit den neuesten Klamotten aus Downtown, aber das entschädigt nicht wirklich.

Man bräuchte sich um die Sinnkrise und die künstlerische Krise von Brandy nicht weiter scheren, wäre sie nicht sowohl in Japan als auch in Südafrika und Australien wie in Malaysia, Indonesien, Süd-Korea und Europa ein Superstar, wäre sie nicht auch beachtete Schauspielerin und Model, gäbe es nicht eine Mattel-Puppe von ihr, und wäre sie nicht der Darling des bürgerlich-linksliberalen Teils der Black Community in den USA, wäre sie nicht Unicef-Botschafterin und Promoterin von Mädchenrechts- und Bücherlese-Organisationen, der Vereinigung schwarzer Frauen und Anti-Aids-Kampagnen.

Und vor allem bräuchte man sich nicht darum zu scheren, wenn nicht etliche andere Künstlerinnen ähnlichen Quatsch von sich gäben. Aber auch Destiny's Child (»Survivor«) oder Mariah Carey (»Loverboy«) meinen, ständig darauf hinweisen zu müssen, dass ihr offenherziger Look nicht bitch-mäßig gemeint sei, sondern nur sophisticated leger ist. Sie wollen nicht wie Mädchen ausschauen, die leicht zu haben oder gar käuflich seien. Und allgemein würden sie allen Frauen den Tipp geben, beim ersten Date nicht zu viel Dekolleté zu zeigen, denn das künde von mangelndem Stolz.

Ein merkwürdiger Widerspruch von Desexualisierung durch Sexualisierung tut sich auf im aktuellen Pop- und Showbiz: Je körperbetonter die Foto-, Video- und Bühnen-Kompositionen, desto körperfeindlicher sind die dazugehörigen Aussagen der Abgebildeten. Und das gilt auch für Mainstream-Stars wie Jennifer Lopez (»I'm real«) oder das ehemalige Power-Girlie Gwen Stefani von No Doubt (»Just a girl«). Sie ist sogar der Bravo (»Barbie-Puppe oder Domina ?«) zu bauchbedeckt geworden: »Überraschend spießig - Gwens 'Sex-Verbot' für ihre weiblichen Fans, an dem der Papst Freude hätte: 'Wartet bis zur Ehe, Sex bringt nur Probleme!'«

Es geht nicht mehr um »Let's talk about sex!«, wie bei Salt'n'Pepa, um die Selbststilisierung zur wütenden und fordernden Frau wie bei En Vogue (»No, no, no«), sondern um die Renaturalisierung des Geschlechts und der Geschlechter.

Soll man jetzt etwa noch George W. Bush erwähnen, der gerade 150 Millionen Dollar für ein Programm zur Werbung für Jungfräulichkeit vor der Ehe bereitgestellt hat? Oder soll man lieber erwähnen, dass es ja immer noch Eve (»Who's that girl?«), Toni Braxton (»The Heat«) oder neuerdings Mis-Teeq mit ihrem UK-Garage-Hit »One Night Stand« gibt? Oder war Brandys veganes Coming-out vielleicht doch nur ein Promo-Gag: »In letzter Zeit habe ich immer öfter das Gefühl, dass ich bald wieder mal Fisch essen will. Ich habe diese seltsamen Träume, in denen ich Fisch esse. Es ist ja schon deshalb hart, Veganerin zu sein, weil ich immer noch Klamotten und Schuhe aus Leder trage. Vor allem in den Videos und so. Es ist fast ein Widerspruch.«

Brandy: Full Moon (Atlantic)