Kein polizeifreier 1. Mai

Wenn Helden zündeln

Das Konzept »Denk Mai Neu!« für einen polizeifreien 1. Mai ist gescheitert - an Innensenator Ehrhart Körting und linksradikalen Puristen.

Nun hat es auch Peter Grottian getroffen. Unbekannte zündeten in der vergangenen Woche in Kreuzberg den Wagen des FU-Professors an, als er auf dem Weg war zu einem Treffen des von ihm initiierten Bündnisses »Denk Mai neu!«. Wer die Täter waren, ist bislang unbekannt. Wahrscheinlich kommen sie jedoch aus der linksradikalen Szene. Das Bündnis, gebildet von einem breiten Spektrum von SPD-Abgeordneten bis zur Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB), war in den letzten Wochen in die Kritik geraten. Die Initiative, die sich für breite politische Debatten und eine polizeifreie Zone am Kreuzberger 1. Mai einsetzte, wolle die linke Szene befrieden.

»Der Anschlag auf Grottian ist der traurigste und hohlste, an den wir uns seit langer Zeit erinnern können. Er zeigt, wie schmal der Grat zwischen politischer Militanz und inhaltsleerer Gewalt ist«, heißt in einer Erklärung »autonomer und antifaschistischer Gruppen«, adressiert »an die Idioten, die Grottians Auto angezündet haben«. Grottian ist einer der letzten linken Professoren der Freien Universität, der sogar der autonomen Maxime Genüge tat, auf Privilegien zu verzichten und nicht nur theoretisch Stellung zu beziehen. 1984 rief er anlässlich der Nato-Nachrüstung zum Beamtenstreik auf und kassierte prompt ein Disziplinarverfahren. Im vergangenen Herbst legte Grottian zusammen mit zwölf weiteren Kollegen für zwei Tage die Arbeit nieder und veranstaltete stattdessen ein Teach-in zum Afghanistan-Krieg. Seit Jahren verzichtet er auf ein Drittel seines Gehaltes und finanziert damit eine Frauenprofessur an der FU.

Doch der Anschlag auf Grottian kommt nicht überraschend. Er steht in einer Reihe ähnlicher Aktionen, die mit dem Niedergang der Berliner Autonomen Ende der achtziger Jahre begannen. Für das Scheitern autonomer Politik gab es genügend interne Gründe: Abschottungsmentalität, subkulturelle Engstirnigkeit, die Abwesenheit von Demokratie und Strategie. Doch statt über eigene Fehler nachzudenken und daraus Konsequenzen zu ziehen, projizierte die Szene die Ursachen ihrer Erfolglosigkeit auf die reformistische Linke. Anschläge auf den taz-Redakteur Gerd Nowakowski sowie auf Anhänger und Aktivisten der Alternativen Liste folgten. Der Niedergang der Szene aber wurde dadurch nicht aufgehalten, sondern eher beschleunigt.

1994 schließlich war auch der 1. Mai politisch tot, die radikale Linke hatte sich selbst befriedet. Die autonome Demo fiel aus, nachdem im Jahr zuvor die Revolutionären Kommunisten mit Eisenstangen auf Demonstranten eingeprügelt hatten. Erst die Dummheit der Berliner Polizei, die 1995 das Walpurgisnachtfest auf dem Kollwitzplatz angriff, bot einen Anlass, die Tradition des 1. Mai erneut aufleben zu lassen. Ironischerweise ergriff die AAB diese Gelegenheit, die einst angetreten war, mit den autonomen Politikformen zu brechen.

War der 1. Mai bis Ende 1993 noch ein Bestandteil der Aktivitäten einer Szene, die auch in den restlichen zwölf Monaten mobilisierungsfähig war, wurde er ab 1996 zum Ersatz für andere Aktionen und zum einzigen Tag des Jahres, an dem die radikale Linke noch in nennenswerter Zahl auf die Straße ging. Der nun ins 15. Jahr gehende Streit um den 1. Mai belegt, wie gefährlich es ist, ausschließlich auf eine solche symbolische Politik zu setzen. Denn am Ende müssen die Symbole auch noch gegen diejenigen eisern verteidigt werden, die zwar die Symbole für falsch halten, nicht aber das, wofür sie stehen sollen. Also gegen Linke, die nicht einsehen mögen, dass das alljährliche Zertrümmern von Bushaltestellen etwas mit revolutionärer Politik zu tun hat.

Welcher Hass dem Bündnis für einen anderen 1. Mai von vielen radikalen Linken entgegenschlägt, wurde nur zwei Tage nach dem Brandanschlag deutlich. Auf einer Podiumsdiskussion in der Kreuzberger Emmaus-Kirche wurde nicht nur Innensenator Ehrhart Körting (SPD), sondern auch Grottian, Sascha Kimpel von Attac und Michael Kronewetter, ein Vertreter der AAB, Sprechchören und Zwischenrufern attackiert. »Der Peter Grottian fährt jetzt Straßenbahn«, rief einer der Teilnehmer. Auch Verschwörungstheorien fehlten nicht. So beschuldigte ein Mann mit Dreadlocks Attac-Vertreter Kimpel, bei der Busfahrt zum G 8-Gipfel in Genua »mit dafür gesorgt zu haben, dass Leute in die Polizeifalle gegangen sind«.

Das Klima ist vergiftet. Mittlerweile sind drei Demonstrationen für den 1. Mai angekündigt, darunter eine um 16 Uhr, die sich ausdrücklich gegen »Denk Mai neu!« richtet und an der Ruine des am 1. Mai 1987 abgebrannten Bolle-Supermarktes beginnen soll. Im Aufruf des Gegeninformationsbüros heißt es, man werde nicht nach der »Pfeife der Regierenden und ihrer Wasserträger tanzen«.

Am Freitag zog der Koordinierungskreis von »Denk Mai neu!« die Konsequenzen. »Das Konzept lässt sich nicht aufrechterhalten«, sagte Grottian der Jungle World. Auf die Kultur- und Politikveranstaltungen im Kiez soll verzichtet werden, übrig bleibt eine kleinere Diskussionsrunde auf dem Oranienplatz vor der 18-Uhr-Demo der AAB. Außerdem will das Bündnis wie schon im Vorjahr Demonstrationsbeobachter entsenden, um Übergriffe der Polizei zu verhindern.

Grottian macht vor allem Innensenator Körting für das Scheitern seiner Initiative verantwortlich. Den Vorschlag für einen polizeifreien 1. Mai hatte Körting zurückgewiesen, weil ein solches Konzept die Bereitschaft zur Gewaltfreiheit auch auf der anderen Seite voraussetze. »Was die linke Szene betrifft, haben wir es nicht ausreichend geschafft, das Konzept mit den Gruppen zu diskutieren, bevor das Bündnis damit an die Öffentlichkeit getreten ist«, sagte Grottian.

Doch dass eine bessere Vorbereitung dem Konzept Grottians geholfen hätte, kann man getrost bezweifeln. Der 1. Mai in Kreuzberg ist eindeutig besetzt: als Symbol für eine vermeintlich spontane, in Wirklichkeit aber halb organisierte alljährliche Randale, bei der sich die Interessierten darauf verlassen können, dass sich schon ein Anlass finden wird, das übliche Katz-und-Maus-Spiel zu beginnen. Wer einmal am Nachmittag des 1. Mai die erwartungsvoll vor den Kreuzberger Cafés Sitzenden gesehen hat, weiß: Es ist nicht nur die Polizei, die ein Interesse an den Auseinandersetzungen hat.

An dem Versuch, den 1. Mai zu etwas anderem als einer ritualisierten Kiezrandale zu machen, sind schon andere gescheitert. So geistert seit 14 Jahren der Vorschlag durch die Szene, in der Innenstadt statt im Kiez anzugreifen; etwa so, wie es beim Londoner Mayday praktiziert wird. Die ewige Debatte um zerstörte Autos von Anwohnern und eingeworfene Scheiben kleiner Läden hätte sich damit auf einen Schlag erledigt. Verwirklicht wurde die Idee nie. Der Kreuzberger 1. Mai ist ein spätes Erbe der Sponti-Bewegung, in der der Ausdruck eigener Gefühle alles, der Erfolg dagegen nichts war.

Strategie und Erfolgsorientierung galten den Spontis als Teil kapitalistischen Denkens. Militante, die Gewalt als rationales Mittel der Politik betrachten, sind in Berlin in der Minderheit. Schlechte Voraussetzungen für einen Dialog.