Entscheidung über das Zuwanderungsgesetz

Willkommen im Ausreisezentrum

Nach der Abstimmung im Bundesrat entscheidet nun der Bundespräsident über das Zuwanderungsrecht. Sollte Rau das Gesetz unterzeichnen, könnte sich die Lage von 250000 Asylbewerbern verschlechtern.

Die Entscheidung für das Zuwanderungsgesetz ist gefallen, und sie ist doch nicht gefallen. Wer am Freitag den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) mit Schaum vor dem Mund auf sein Pult im Bundesrat einschlagen sah und in die wütenden Augen des brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) blickte, ahnte, dass das Gerangel noch lange so weitergehen könnte.

Dabei hatte alles so harmonisch angefangen. Noch vor einem Jahr waren sich alle Parteien einig, dass die Zuwanderung nach Deutschland in einem Gesetz geregelt werden müsse. Der von Innenminister Otto Schily (SPD) vorgelegte Gesetzesentwurf wurde im August 2001 von der CDU wohlwollend aufgenommen, die inhaltlichen Differenzen schienen minimal. Die SPD machte früh deutlich, dass sie in dieser Frage eng mit den Christdemokraten zusammenarbeiten wolle. Nicht nur, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens herzustellen, sondern vor allem, weil die Regierung aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat auf die Stimmen jener Ländern angewiesen ist, in denen die Union mitregiert.

Bis der Bundestagswahlkampf begann, schien tatsächlich ein Kompromiss möglich. Mit der Ernennung Edmund Stoibers zum Kanzlerkandidaten fiel auch die Entscheidung CDU/CSU, die »Ausländerfrage« aufs Neue zu erfinden, um sich zumindest auf diesem Gebiet von der rot-grünen Koalition zu unterscheiden.

Die Union stellte Forderungskataloge auf, von deren Berücksichtigung sie ihre Zustimmung zum Gesetz abhängig machte. Ging Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) auf einige Vorschläge ein und änderte den Entwurf, war man trotzdem nicht zufrieden. »Die CDU wollte von Anfang an nicht kooperieren«, sagt Memet Kilic, der Vorsitzende des Bundesausländerbeirates, »aber eigentlich ist Schily für den Rechtsruck der CDU verantwortlich. Weil er immer weiter auf sie zu gegangen ist und die Grünen und alle anderen hat links liegen lassen, konnte die Union sich immer weiter nach rechts bewegen.«

Als die Forderungen immer alberner wurden, war es nicht mehr zu übersehen: Die Union wollte dieses Gesetz einfach nicht. Um eine Schlappe zu vermeiden, blieb der rotgrünen Bundesregierung nur die Möglichkeit, einzelne Landesregierungen zu umwerben. Der SPD und den Grünen schwebte ein Coup wie im Jahr 2000 vor, als sie die Länder Berlin, Bremen und Brandenburg, in denen die CDU an der Regierung beteiligt war, mit großzügigen Finanzspritzen dazu brachten, gegen die Linie der Bundespartei und für die Steuerreform zu stimmen.

Doch das damalige Vorgehen ließ sich ebenso wenig wiederholen, wie der Versuch der Union gelang, die endgültige Entscheidung über das Gesetz mit einem Vermittlungsverfahren zu verschleppen. Bis kurz vor dem Beginn der Bundesratssitzung war nicht klar, wie das Votum Brandenburgs ausfallen würde. Entsprechend groß war die Überraschung, als Arbeitsminister Alwin Ziel (SPD) mit Ja stimmte und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) mit Nein.

Den eigentlichen Eklat löste dann aber der Präsident des Bundesrates aus, Klaus Wowereit (SPD), der seine Frage, wie sich Brandenburg entscheide, wiederholte. Diesmal antwortete Ministerpräsident Manfred Stolpe mit Ja, Schönbohm fasste sein Nein in die Formel: »Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident.« Gegen die Vorschriften der Verfassung wertete Wowereit diese widersprüchlichen Aussagen als Ja des Landes Brandenburg. Und das Zuwanderungsgesetz hatte, zumindest aus der Sicht der Union, eine Verfassungskrise ausgelöst.

Nun muss Bundespräsident Johannes Rau (SPD) das Gesetz unterzeichnen. Ob er das tun wird, ist fraglich, denn das würde den Eindruck roter Trickserei und Verschwörung verstärken. Unterschreibt er das Gesetz trotzdem, will die Union vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Genau genommen, gibt es also momentan noch kein Zuwanderungsgesetz. Was nicht unbedingt schlecht ist, denn die SPD hat mit ihrer Einschätzung, das »modernste Zuwanderungsgesetz Europas« geschaffen zu haben, leider gar nicht so unrecht. Die Bundesrepublik wäre mit diesem Gesetz europäischer Vorreiter bei der Auswahl von Zuwanderern nach Nützlichkeitskriterien. Während hoch Qualifizierten eine unbefristete Niederlassungserlaubnis und der Nachzug ihrer Kinder bis zu einem Alter von 18 Jahren gewährt würde, hätte das Gesetz gerade für Flüchtlinge schwer wiegende Konsequenzen.

So etwa für die 250 000 Personen, die bisher nur über den Rechtstitel einer Duldung verfügen, der mit dem neuen Gesetz abgeschafft werden soll. Gleichzeitig sieht das Gesetz die Einrichtung von so genannten Ausreisezentren vor, was einer Ausweitung der Abschiebehaft gleichkommt. Asyl würde nicht mehr unbefristet gewährt, sondern die Asylberechtigten müssten sich alle drei Jahre einer erneuten Prüfung ihres Falls unterziehen und könnten später noch abgeschoben werden.

Karl Kopp von Pro Asyl fürchtet, dass mit diesem Gesetz neue Standards im europäischen Flüchtlingsschutz gesetzt werden. »Die restriktivsten Regelungen setzen sich innerhalb der EU durch. Es gibt einen Wettlauf im Kampf um die niedrigsten Asylbewerberzahlen in Europa.« Weil Deutschland mit seiner restriktiven Politik bisher schon ein Vorbild für andere Länder war, habe die Entscheidung für das Gesetz auch eine europäische Bedeutung. Außerdem verstoße es gegen den Amsterdamer Vertrag, der vorsieht, bis Mai 2004 eine gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik der Europäischen Union zu erarbeiten. Die Regierungen haben sich in dem Vertrag verpflichtet, bis dahin keine Gesetze zu erlassen, die den von der EU-Kommission erarbeiteten Vorschlägen entgegenstehen. Genau das aber soll nun in Deutschland geschehen.

Die Union könnte also zufrieden sein mit dem Gesetz, gäbe es da nicht noch andere Differenzen zur SPD. Die vor der Abstimmung im Bundesrat abgegebenen Statements der Ministerpräsidenten zeigten es deutlich: Der CDU geht es um die Deutschen, der SPD um Deutschland. Die einen wollen das deutsche Blutsrecht retten, die anderen den Standort.

So befürchtet der thüringische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU), dass die Zuwanderer, um die es in dem Gesetz geht, aus dem »außereuropäischen Kulturkreis« kommen und deshalb »das Erscheinungsbild Deutschlands nachhaltig verändern« könnten. Sie würden Integrationskosten verursachen, die eben »nicht nur finanziell, sondern auch emotional zu tragen« seien. Die demografische Entwicklung in Deutschland sollte also nicht durch Einwanderung beeinflusst werden, vielmehr müssten das »Geburtenverhalten und die Familienbildung verbessert werden«. Dagegen betonte die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) die Notwendigkeit, den Standort Deutschland zu stärken, was ohne die Zuwanderer nicht möglich sei.

Während also die einen den reaktionären Albtraum der ethnisch homogenen Nation heraufbeschwören, reden die anderen dem nützlichen Edelmigranten das Wort. Beides läuft darauf hinaus, dass erneut in Frage gestellt wird, worüber eigentlich längst Einigkeit herrschte: dass Deutschland Zuwanderung braucht.

Das befürchtet auch Kilic. »Der Wahlkampf wird auf dem Rücken zum Teil nicht einmal stimmberechtigter Migranten ausgetragen.« Für seinen Verband kündigt er an: »Die Ausländerbeiräte werden sich nicht mehr auf interkulturellen Festen als volkstanzende Dönerverkäufer präsentieren, sondern Gegenposition beziehen. Wir werden uns gegen die rassistische Stimmung im Land wehren. Die Verteidigungslinie stinkt mir. Wir sind keine braven Gastarbeiter mehr, die ihre Bitten an die Obrigkeit stellen. Wir sind Teil der Gesellschaft und wir werden für unsere Rechte kämpfen. Ich kann nur davor warnen, Migranten für einen Wahlkampf zu instrumentalisieren, aber wenn das geschieht, dann werden wir dagegen aufstehen.«