Israelisch-palästinensischer Konflikt

Arafats Alamo

Die militärische Offensive hat Israel international isoliert. Diesen Vorteil will die palästinensische Führung ausnutzen.

Man kann keinen Frieden mit Herrn Arafat erreichen«, erklärte der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon in einem Interview mit dem Fernsehsender CBS am Freitag. Indirekt kritisierte er den Willen der US-Regierung, an Verhandlungen mit dem Vorsitzenden der palästinensschen Autonomiebehörde (PA) festzuhalten: »Deshalb hätte es eine Anstrengung geben sollen, jemanden zu finden, mit dem das möglich ist.«

Wenige Minuten nach der Aufzeichnung des Interviews sprengte sich eine palästinensische Selbstmordattentäterin auf einem Markt in Jerusalem in die Luft und tötete sechs Israelis. Am folgenden Tag distanzierte Arafat sich von dem Anschlag: »Wir verurteilen entschieden alle Angriffe auf Zivilisten beider Seiten und besonders den gestrigen Angriff auf israelische Zivilisten in Jerusalem.« Doch in einem Video hatte die Attentäterin Andaleeb Takataqah ihre Absicht erklärt, für die mit Arafats Fatah verbundenen Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden einen Anschlag in Israel durchzuführen.

»Sharon hat bewiesen, dass er jenseits der Anwendung militärischer Gewalt ungeschickt ist, wenn es darum geht, andere Methoden aus dem Arsenal auszuwählen, das ihm zur Verfügung steht«, kommentierte Uzi Benziman in der israelischen Tageszeitung Ha'aretz. »Das Problem ist, dass Arafat Sharon ständig Vorwände liefert, sich auf die von ihm gewählte Methode zu verlassen.«

Sharon hat zwar in allgemeiner Form immer wieder seine Friedensbereitschaft bekundet und auch den von der Arabischen Liga in Beirut verabschiedeten Friedensplan (Jungle World, 15/02) als positiven Ansatz begrüßt, aber nie eigene Vorschläge vorgelegt oder gesagt, mit wem er statt Yassir Arafat lieber verhandeln würde. Die Ende März begonnene Militäroffensive in den palästinensischen Gebieten hat Israel international isoliert. Dass Sharon der Forderung des US-Präsidenten George W. Bush, die Armee »ohne Verzögerung« wieder abzuziehen, nicht nachkam, hat auch die amerikanischen Verbündeten verärgert.

Eigentlich hat die PA eine gute Ausgangsposition, um neue Verhandlungen mit internationaler diplomatischer Rückendeckung zu beginnen. Ungeachtet der Tatsache, dass Arafat entweder ein doppeltes Spiel treibt oder seine Kampftruppen nicht unter Kontrolle hat, stimmte US-Außenminister Colin Powell einem Treffen mit ihm nach der Distanzierungserklärung zu. Die Gespräche am Sonntag in Ramallah blieben jedoch ergebnislos.

»Wir verweigern Verhandlungen, solange die israelische Besatzung besteht«, erklärte der PA-Sicherheitschef für Gaza, Mohammad Dachlan, nach dem Treffen. Auch Sharons Vorschlag, die bewaffneten Palästinenser, die sich seit zwei Wochen in der Geburtskirche in Bethlehem verschanzt haben, in ein drittes Land ausreisen zu lassen, wurde zurückgewiesen. Offenbar glaubt Arafat, den seit der israelischen Offensive erlangten Sympathiegewinn für eine Internationalisierung des Konflikts noch weiter ausnutzen zu können.

Nur durch die Kalkulation, die Märtyrerkarte zur Mobilisierung der westlichen und islamischen Öffentlichkeit ausspielen zu können, ist erklärbar, dass sich seine Kämpfer in militärisch aussichtslosen Konfrontationen der überlegenen israelischen Armee (IDF) stellen. Dass etwa 200 leicht bewaffnete Palästinenser in einem Flüchtlingslager in Jenin den Kampf gegen die mit Kampfhubschraubern und Panzern ausgerüstete israelische Übermacht neun Tage lang durchhielten, dürfte die Grundlage für einen neuen Mythos nach dem Muster des Kampfes texanischer Freischärler gegen die mexikanische Armee in Alamo bilden.

Bei dem Angriff auf das nur etwa einen Quadratkilometer große Flüchtlingslager, in dem etwa 13 000 Menschen lebten, seien etwa 500 Palästinenser getötet worden, behauptete der PA-Informationsminister Yassir Abed Rabbo. Er beschuldigte die IDF, 50 Gefangene »exekutiert« zu haben. IDF-Sprecher bestritten die gezielte Tötung von Zivilisten und Gefangenen, nach ihren Angaben starben 150 bis 200 Palästinenser. Zwar habe es auch zivile Opfer gegeben, die IDF sei jedoch gezielt gegen die Bewaffneten vorgegangen. »Wir gingen in ein Haus nach dem anderen, um keine Zivilisten zu töten«, erklärte ein israelischer Panzerkommandant der Los Angeles Times.

Auch in den bisher vorliegenden Berichten palästinensischer Augenzeugen findet sich kein Beleg für die absichtliche Ermordung von Zivilisten. Dass Vertreter von Medien und Hilfsorganisationen nicht in das Kampfgebiet gelassen wurden, weckte jedoch den Verdacht, die israelische Armee wolle Menschenrechtsverletzungen vertuschen. Zudem beabsichtigten die IDF, getötete palästinensische Kämpfer in nicht markierten Gräbern an einem von der Armee als »Friedhof für Feinde« bezeichneten Ort im Jordantal beizusetzen.

Dieses Vorhaben wurde am Freitag von Richter Aharon Barak auf Antrag zweier Knesset-Abgeordneter und der Menschenrechtsorganisationen Adalah und Law zunächst unterbunden. »Wir wollen sicherstellen, dass jene, die für Verbrechen im Lager verantwortlich sind, die Beweise nicht verbergen können«, erklärte Mohammad Baraka, einer der beiden Abgeordneten. Am Sonntag entschied das Oberste Gericht, dass die Leichen zwar aus dem Lager entfernt, aber nicht anonym bestattet werden dürfen.

Ungeachtet der noch ungeklärten Fakten hat der Kampf um Jenin die antiisraelische Stimmung insbesondere in der arabischen Welt angeheizt. In Ägypten, Jordanien, Jemen, Bahrain und anderen arabischen Staaten kam es zu Protestdemonstrationen. Obwohl derzeit kein arabisches Regime akut gefährdet ist, bereitet die öffentliche Meinung den Herrschenden einige Sorgen.

Der jordanische König Abdullah II. beorderte deshalb einige Minister zur Teilnahme an propalästinensischen Kundgebungen. Eine Bedrohung der »nationalen Einheit« aber werde er unterbinden, ließ der König verlauten. Am Freitag erstickte ein Großaufgebot der Polizei Proteste in der Hauptstadt Amman. Um zu verhindern, dass Demonstranten sich sammeln konnten, wurde sogar der Zugang zu den Moscheen beschränkt. Auch in Kairo wurde die Umgebung der al-Azhar-Moschee, des Ausgangspunkts mehrerer Demonstrationen in den vergangenen Wochen, von der Polizei abgeschirmt.

Da die meisten arabischen Staaten keinerlei Beziehungen zu Israel unterhalten, haben sie kaum eine Möglichkeit, den antiisraelischen Protesten durch Sanktionen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Einzig Jordanien und Ägypten hätten die Option, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen. Doch auch ein solcher Schritt würde die nationalistischen und islamistischen Hardliner kaum zufrieden stellen. Um die emotionalisierte Mehrheit der Bevölkerung zu beruhigen, könnten die arabischen Regierungen daher möglicherweise den entgegengesetzten Weg gehen und ihren in Beirut verabschiedeten Friedensplan wieder entdecken, der wegen der gegenwärtigen Eskalation zu den Akten gelegt wurde.

Dann allerdings müsste die Fiktion der arabischen Einheit aufgegeben werden. Denn zumindest der Irak und Syrien haben derzeit kein Interesse an einer Normalisierung ihrer Beziehungen zu Israel. Aber auch für die »gemäßigten« arabischen Regierungen und Arafats PA ist die Konfrontation mit Israel ein willkommenes Mittel, von ihrer Unfähigkeit abzulenken, die drängenden sozialen und politischen Probleme zu lösen.