Die Zeitschrift 'Eltern'

Das Zentralorgan der Reproduktion

Eltern ist der Papier gewordene Mittelstandsdiskurs, aber das Magazin hat die tollsten Fotostrecken.

Herr R. ist genervt. Neun seiner Freunde und Bekannten werden noch in diesem Jahr Vater oder Mutter! Andere, so wie ich, sind es schon. Selbst die einzige Frau, mit der er sich eventuell hätte vorstellen können, eine Familie zu gründen, Kate Moss, ist inzwischen unverschämter Weise im wahrsten Sinne des Wortes belegt. Von einem anderen!

Faszinosum Vermehrung: Es heißt immer, Schwangerschaft sei keine Krankheit. Ansteckend ist sie in jedem Fall. Warum selbst hartgesottene Systemkritiker, Raver oder notorische Singles auf einmal klaglos den Kinderwagen schieben und sich die Nächte actiongeladen, aber spaßfrei um die Ohren schlagen, ist ein unerforschtes Geheimnis. Herr R. muss sich derweil mit Sticheln begnügen und sieht überall Latzhosen.

Doch wo es auf das Warum keine Antwort gibt, gibt es eine Milliarde Antworten auf das Wie, also auf Fragen, die alle frisch gebackenen Eltern beschäftigen. Ungefragte Tipps kriegt man ja permanent und überall, ob von den Großeltern oder von der Unbekannten auf dem Spielplatz. Wichtig ist dabei nur, dass sie selber Kinder haben, die mindestens einen Tag älter sind als das eigene. Man nennt das dann Erfahrungsvorsprung. Irgendwann schwirrt einem dann vor lauter guten Ratschlägen der Kopf, eine Lösung des jeweiligen Problems liegt nach wie vor in weiter Ferne.

Was liegt also näher, als zu Eltern zu greifen, zum Zentralorgan der Reproduktion, von dem Monat für Monat immerhin knapp eine halbe Million Exemplare unters Volk gebracht werden. Und erzähle mir kein Vater und keine Mutter, dass er oder sie da noch nie einen Blick riskiert hat! Ja, ich weiß, es hat etwas Anrüchiges. So viel vorweg: Ich vergöttere meine Tochter und bin stolze Mutter, aber als ich mit dem Kinderwagen den Zeitungskiosk aufsuche, um das aktuelle Eltern-Ausgabe zu kaufen, muss ich zwanghaft noch nach dem Spiegel greifen, nur um dem Verkäufer, einem 60jährigen Alkoholiker, zu signalisieren, dass ich mich noch für andere Themenbereiche außerhalb von Grießbreichen interessiere. Auch bei längeren Bahnfahrten liegt Eltern schamhaft zwischen taz und Jungle World und auch noch unter Vogue oder Gala. Und wie es bei anrüchiger Lektüre so ist: Alle anderen Publikationen müssen warten, bis man sich das heimliche Objekt der Begierde reingezogen hat, bis am Ende ein schales Gefühl zurückbleibt.

Eltern, das sind erst mal die Bilder. Kinder mit blauen und braunen Augen, mit und ohne Haare, frisch geschlüpft oder im Vorschulalter, aber immer süß, süß, süß. Keine Fünfziger-Jahre-Ästhetik, keine retuschierten Zwieback-Kinder, sondern herzallerwonnigste Menschlein perfekt in Szene gesetzt. Wer jetzt behauptet, kleine Babys, Katzen, Hunde oder Küken seien nicht süß, der ist entweder blind oder ein Unmensch. Es ist wie mit Modezeitschriften, man lässt sich inspirieren und träumt vor sich hin vom perfekten Babystyle, auch wenn die Realität anders aussieht. Gerade für Frauen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen oder schwanger sind, ist Eltern das perfekte Wunsch- und Projektionsmedium.

Oberflächlich betrachtet ist Eltern also ein Hochglanzmagazin für Familienästheten. Im Detail ist das Heft der Papier gewordene deutsche Mittelstandsdiskurs zu den Themen Schwangerschaft, Geburt, Rolle der Frau, Rolle des Manns, Partnerschaft und Erziehung. Da wären zunächst die obligatorischen Schönheitstipps in der Schwangerschaft und die kindgerechten Kochrezepte. Geschenkt. Kann man getrost überblättern, ist eh immer dasselbe. Dann gibt es die Ratgeberartikel, die sich genau genommen auch immer um dieselben Themen drehen, Geburt und vor allem Angst vor der Geburt, Schlaflosigkeit, Trotzphase, Kinderkrankheiten, die ganze Palette an Problemen, mit denen sich alle Eltern zwangsläufig rumschlagen.

Das Seltsame daran ist, dass man auch noch den hundersten Artikel zu dem einen oder anderen Thema liest - je nachdem, wo gerade der persönliche Problemschwerpunkt liegt -, in der absurden Hoffnung, irgendwo die Zauberformel zu finden, die es natürlich nicht gibt. Deshalb stelle ich mir die Arbeit von Eltern-Redakteuren wie klassische Reproduktionsarbeit im Haushalt vor: Wenn man das letzte Feld beackert hat, geht es am anderen Ende wieder von vorne los. Apropos Redakteure: Es gibt wohl in kaum einer Redaktion eine höhere Frauendichte als bei Eltern. Der Chefredakteur ist aber natürlich ein Mann - wie in der Durchschnittsfamilie eben.

Bleibt der Überbau, die Rollenverteilung, das transportierte Familienbild. Ein trauriges, wenn vermutlich realistisches Kapitel. In der April-Ausgabe findet sich ein Paradeartikel dazu mit dem Titel: »Mütter-Meeting um Mitternacht«. Es soll wohl sowas wie eine inspirierende Kurzgeschichte sein, in der es darum geht, dass eine Frau nachts im Schlaf von zwei Mütterstereotypen verfolgt wird, wie sie fest im Unterbewusstsein der Deutschen verankert sind. Da wäre zum einen die Übermutter, die den ganzen Tag kocht und putzt und nur für ihre Familie existiert, und auf der anderen Seite die Karrierefrau, die nur Designerfummel trägt, nie Zeit hat für ihre Kinder, gestresst und frustiert ist.

Gemeinsam ist beiden, dass sie am Ende der Geschichte von ihrem Mann verlassen werden. Die Moral? Hausarbeit, Kindererziehung und Teilzeitarbeit ohne große Ambitionen gepaart mit guter Laune und gutem Geschmack, das macht die Männer und damit auch dich selbst glücklich. Auch wenn ein paar Seiten weiter das tolle, exotische Modell »beide Eltern arbeiten Teilzeit« vorgestellt wird. Das Problem ist doch nach wie vor ein anderes. Dass seit Jahrzehnten im Kreis diskutiert wird, ob man sein Kind von anderen betreuen lassen darf.

Kostprobe? »Kindergarten für jedes Kind ab drei«, heißt die Eltern-Leserdiskussionsrunde, die man so auch schon vor 30 Jahren geführt hat. Natürlich gibt's da auch die Lehrerin, die sagt, dass Kinder ein besseres Sozialverhalten zeigen, wenn sie vor der Schule im Kindergarten waren. Somit wäre Fremdbetreuung pädagogisch geadelt. Aber dann gibt es auch Frauen, die behaupten, der Kindergarten sei ein »Abschiebebahnhof«. Wie auch immer, die profansten Selbstverständlichkeiten haben sich noch lange nicht im Familienmainstream etabliert und so vergisst man auch hier schnell die guten Tipps und vertraut auf die eigenen Fähigkeiten. Bis zur nächsten längeren Bahnfahrt. Und vielleicht infizieren sich demnächst ja auch mal die scheinbar Immunen wie Herr R. und haben dann die Lösung zu allem.