Die Zeitschrift 'Starship'

Die Wegwerf-Weitwurf-Theorie

Das Fanzine Starship liefert Momentaufnahmen aus der linken Kunstszene.

jörg nowak

Im Protest gegen den Wiedervereinigungsrassismus entstand Anfang der Neunziger neben antifaschistischen und antirassistischen Gruppen eine oftmals als Poplinke bezeichnete Szene. Aus dem Musik- und Kunstmilieu der Achtziger hervorgegangen, war man von Anfang an vor allem darum bemüht, Popkultur und Kunst als Felder der politischen Intervention zu begreifen. Auf der Basis poststrukturalistischer Theorien wurden Antirassismus und Feminismus in den Mittelpunkt politischer Diskussionen gerückt und Bezüge etwa zum kritischen Urbanismus der Situationisten und zur Konzeptkunst der Siebziger hergestellt.

Die Berliner Zeitschrift Starship ist im Herbst 1998 erstmals als eine Art Fanzine von und für die Poplinke erschienen. Mittlerweile haben sich Format, Umfang und Preis vervielfacht, es scheint fast so, als strebe die Zeitschrift der eigenen Etablierung entgegen. Die Mitherausgeberin von Starship, Ariane Müller, betont, dass das Magazin vor allem ein Medium für die Berliner Szene sein will, in dem befreundete Autorinnen ihre Texte und Bilder präsentieren können. In jedem Heft gibt es einen thematischen Schwerpunkt, ansonsten aber ist es den Starship-Machern wichtig, dass es wenig redaktionelle Steuerung gibt, denn das Magazin will eine Art spontane Momentaufnahme zum Stand theoretischer und künstlerischer Produktion der linken Kunstszene und -kritik liefern.

Themenaufhänger der soeben erschienenen fünften Ausgabe ist die Gleichzeitigkeit von Öffentlichkeit auf der »Straße« und den ins Individuelle verschobenen Verhältnissen, in denen gearbeitet und konsumiert wird, was als »displacement« definiert wird. Wie in vergleichbaren Publikationen wird hier versucht, Bildern und Texten, »Kunst« und »Theorie« den gleichen Rang einzuräumen. So bestreiten vierfarbige, meist fotografische Kunstproduktionen fast die Hälfte der Ausgabe. Stefan Panhans etwa hält auf drei Fotos von Kaufhäusern eine warenästhetisch gestaltete Umgebung fest und rückt die Verkäuferinnen ins Zentrum. Hier wird deutlich, wie stark das Äußere der Angestellten an das visuelle Konzept der Kaufhäuser angepasst ist. Farbgebung und Lichtverhältnisse im Berliner Lafayette und im Printemps in Paris unterscheiden sich zudem kaum voneinander, behaupten die Bilder. So entsteht die These, dass Konsumräume die Öffentlichkeit dezentralisieren.

Im Gegensatz zu Publikationen wie Texte zur Kunst oder Springerin, die einem ähnlichen Umfeld entstammen, ist Starship nicht unbedingt das Medium für Einblicke in die neuesten Erkenntnisse aktueller Kunstrezeption. Es geht eher darum, viele kleine Gucklöcher und kurze Einblicke zu schaffen. Für Ariane Müller ist Starship daher auch nichts für das gut sortierte Buch- und Zeitschriftenregal im Wohnzimmerschrank, »sondern eben eine Zeitschrift, schnell und billig, die man liest und wieder wegschmeißt«.

So dominieren auch kurze und eher fragmentarische Formen wie der Essay, die kleine Erzählung, der Kulturtip. Gut zu lesen sind vor allem eine Rezension des Mangas »Video Girl« und ein Artikel über die Duisburger Death-Metal/ Industrial-Band mit dem bizarren Namen Metallkrakenkrankenkanne. Mit dem Manga wird eine originelle Alternative zur Cyborgisierung im Alltag vorgestellt, während die Rezension über die fiktive Duisburger Brutaloband klar machen soll, wie schnell man auch mit kritischem Bewusstsein in die Falle tappen kann, euphorisch über »viel nordische Runenphantasie« zu berichten. Das Ganze funktioniert als Fake und satirischer Text, in dem Rockclubs »Untermensch« und LPs »Leichenroller« heißen, was nicht so weit vom wirklichen Leben entfernt ist.

Doch auch für längere semi-akademische Artikel, wird in Starship Platz frei geschaufelt. So wird in einem Kommentar zu Giorgio Agambens Äußerungen zum 11. September deutlich, dass in Starship poststrukturalistische Theorie nicht mehr wie in früheren poplinken Publikationen bloß verstärkt oder in deutsche Kontexte »übersetzt«, sondern vor allem kritisiert wird. Der Autor des Kommentars bemängelt, dass Agamben zwar als Inspiration seiner Analyse auf Foucault verweist, aber den für ihn weit wichtigeren und offensichtlicheren Einfluss von Carl Schmitt auf seine Theorien verschweigen würde.

Nach Agamben tritt angesichts der Unmöglichkeit eines klassischen Krieges zwischen souveränen Staaten der unübersichtliche »Terror gegen Terror« an dessen Stelle. Zorn kritisiert, dass diese Konzeption der Schmittschen »Theorie des Partisanen« entspricht und genauso von einer Notwendigkeit der Gewalt ausgeht; allein die Form der Gewalt habe sich inzwischen geändert. Im Unterschied zu Schmitt, der lediglich an der Moderne zweifelt, endet die Moderne für Agamben notwendigerweise im weltweiten Bürgerkrieg.

Diese Kritik an Agamben könnte auch in die Debatte um »Empire« einfließen. Da Michael Hardt von einer großen Bedeutung des Schmittschen Denkens für sein Konzept des »Empire« spricht, wäre zu untersuchen, in welcher Form Schmitts Überlegungen in die neue Bibel der Antiglobalisierungsbewegung eingegangen sind.

Wie Begriffe von Deleuze für eine kritische Wirklichkeitsbeschreibung verwendet werden können, ist hingegen bei Natascha Sadr Haghighian zu lesen. Sie beschreibt, wie die Erfahrung von Unterdrückung durch eine mimetische Wiederholung in Handlungsfähigkeit transformiert werden kann. Blaupause ist die Zeremonie der Hauka-Bewegung in Westafrika, die für den Filmemacher Jean Rouch 1954 inszeniert wurde und in der sich die Hauka die brutalen Gesten der Kolonialmächte imitierend angeeignet haben.

Dieses Ritual wird von der Autorin für die Deutung der Horror-Klassiker »Night of the Living Dead« und »Der Exorzist« und für »Harry Potter« verwendet. Die »Besessenheitsrituale der zivilisierten Welt« interpretiert sie weder als kollektiven Wahnsinn noch als Religion, sondern als den Versuch, »das scheinbar Unverwandelbare zum Ausgangspunkt für das eigene Handeln zu machen«. Die symbolische Aneignung biete somit einen vorläufigen Ausweg aus der kulturellen Neurose.

Das in all diesen Artikeln demonstrierte Bemühen, den Poststrukturalismus kritisch zu diskutieren, wird in Starship glücklicherweise immer wieder durch den Hang zum Verspielt-Beliebigen kontrastiert. Einfach schon deswegen, damit der Pop am Ende nicht zu kurz kommt. Alles in allem gelingt es Starship durchaus, interessante Zusammenhänge herzustellen. Manchmal jedoch wird der Leser auch mit akribischen Berichten über touristische oder konsumptive Praktiken ein wenig zu sehr gelangweilt.

Starship No.5, Frühjahr 2002, 7 Euro. Zu beziehen über: www.star-ship.org oder im Kunstbuchhandel