Das Regime profitiert von der Eskalation im Nahen Osten

Die Mission des goldenen Reiters

Das irakische Regime profitiert von der Eskalation im israelisch-palästinensischen Konflikt. Der angekündigte US-Militärschlag wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Eine politische Lösung« anstelle des militärischen Primats in der Außenpolitik forderte Rudolf Scharping mit Blick auf den Irak und gab einmal mehr zu verstehen, mit der US-Regierung »weitgehend im Einverständnis« zu sprechen. Anders als in Berlin sieht man in Washington allerdings kaum Möglichkeiten, einen Konsens mit der irakischen Regierung zu finden.

Daran ändert auch die politische Verhandlungsmission des irakischen Außenministers Naji Sabri nichts, der am Mittwoch und Freitag vergangener Woche in New York mit UN-Generalsekretär Kofi Annan zusammentraf, um Bagdads Friedenslösung zu präsentieren: Eine zeitlich befristete Überprüfung zuvor abgestimmter Anlagen von einem ausgewählten UN-Waffeninspektionsteam und im Gegenzug die Aufhebung der Flugverbote im Norden und Süden des Landes. Am Ende der Inspektion müsse auch das Embargo aufgehoben werden. Die Verhandlungen endeten ergebnislos, sollen aber fortgesetzt werden.

Sabri präsentierte seine Vorschläge, ohne auch nur einen Schritt auf die Forderungen des UN-Sicherheitsrates zuzugehen. Dessen Mehrheit möchte mittlerweile nur allzu gerne die Sanktionen aufheben. Eine effektive Kontrolle irakischer Arsenale an Massenvernichtungswaffen ist damit genausowenig in Sicht wie die Erfüllung der restlichen Auflagen, an die die Aufhebung des Embargos geknüpft ist.

Vor dem Treffen stand daher für die irakische Regierung das Ergebnis bereits fest: »Israel ist Amerika und Amerika Israel«, erklärte Tarik Aziz, »und der UN-Generalsekretär wird sie nicht herausfordern«. Sabris Besuch in New York dient so vor allem der Verlagerung der Diskussion weg von den inhaltlichen Fragen des Irak-Konflikts hin zum Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Der Vorwurf von double standards bei der Behandlung Israels und des Irak zielt dabei auf eine wachsende Uneinigkeit im Sicherheitsrat über die künftige Nahost-Politik.

Ganz im Zeichen des israelisch-palästinensischen Konfliktes standen auch die diesjährigen Feierlichkeiten zum Geburtstag Saddam Husseins am 28. April. Mehr als eine Million Menschen wurden landesweit zu Massenaufmärschen auf die Straßen getrieben, um den heiligen Krieg gegen die »Zio-Imperialisten« Israel und die USA zu fordern. Zum Höhepunkt der Feiern, die nach Angaben der Staatspresse rund 25 Millionen US-Dollar verschlungen haben, stand die Enthüllung einer goldenen Reiterstatue in Anwesenheit internationaler Unterstützer der Anti-Embargo-Kampagne auf dem Programm. Ein säbelbewehrter Saddam Hussein reitet als Wiedergänger Saladins aus zur »Befreiung Jerusalems«.

Gleichzeitig erhöhte die irakische Regierung erneut die finanzielle Unterstützung für die Angehörigen von »palästinensischen Märtyrern«: 25 000 US-Dollar erhält jede Familie eines Selbstmordattentäters nunmehr aus Bagdad. »Lang lebe Palästina, arabisch und stolz zwischen Meer und Fluss«, verkündete Saddam Hussein, »möge Gott die Zionisten und Amerikaner demütigen, diese Feinde der Völker«.

Hussein, der sich in der Pose des Befreiers eines »arabischen Jerusalem« gefällt, ist dabei nicht allein von Größenwahn getrieben. Für die irakische Regierung stellt die Verschärfung des israelisch-palästinensischen Konflikts in den vergangenen Monaten einen Glücksfall dar. Nicht zuletzt der jüngsten Eskalation dort hat das Regime zu verdanken, dass die Bemühungen der USA um nahöstliche Bündnispartner gegen den Irak ins Leere liefen. Der angekündigte Militärschlag gegen Bagdad ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden.

Ein außenpolitischer Erfolg, der nachholend der panarabischen Propaganda des Regimes Recht zu geben scheint. Wenn Tarik Aziz heute davon spricht, dass »Palästina, der Irak und die arabische Nation« nicht zu trennen seien, dann spiegelt dies auch die Tatsache wider, dass eine Umorientierung der US-amerikanischen Nahost-Politik hin zum Irak bislang vor allem durch den Widerstand der Palästinenser vereitelt wurde.

Seitdem setzt die irakische Regierung auf einen neuen Panarabismus und die Verschärfung des Konflikts mit Israel, die sie nicht nur rhetorisch betreibt. So erklärte der irakische Vizepräsident Taha Yasin Rammadan dem palästinensischen »Außenminister« Farouk Kaddumi, dass nur Kampf und 'Jihad' die Palästinenser und die heiligen Stätten befreien könnten. Wer für eine palästinensisch-israelische Koexistenz eintrete, ignoriere die »krebsgeschwürartige Natur der zionistischen Entität im Körper der arabischen Nation«. Gleichzeitig verhängte der Irak einen einmonatigen Erdölexportstopp.

Einmal mehr aber findet die »Befreiung Palästinas«, die sich Saddam Hussein zum Geburtstag wünschte, auch als Krieg gegen die eigene Bevölkerung statt. Bereits jetzt leidet das Land unter der staatlich verordneten Solidarität mit den Palästinensern. Seit der Irak seinen Ölexportstopp verhängt hat, sind die Preise für Nahrungsmittel rasant gestiegen. Die panarabische Mobilisierung des Irak erfordert dabei in der Logik des Regimes auch eine Säuberung im Inneren. Rund 500 000 Iraker wurden in den vergangenen Monaten in eine »Freiwilligen«-Armee »zur Befreiung des heiligen Jerusalems« gezwungen. Was denjenigen widerfährt, die sich verweigern, zeigte sich in Kirkuk, wo ein junger Mann öffentlich hingerichtet wurde, der nicht in die »Jerusalem-Befreiungsarmee« eintreten wollte.

Die aktuellen Massenaufmärsche im ganzen Land erfüllen daher auch die Funktion einer Selbstvergewisserung. Während in Bagdad ganze Stadtteile zur Akklamation auf die Straße getrieben werden, rüstet das Regime gegen die »zionistischen Feinde« auch im Inneren des Landes. Als solcher wird jeder identifiziert, der dem Projekt der internationalen Rehabilitierung des Regimes gewollt oder ungewollt im Wege steht. So hat die internationale Kritik an der Deportation der kurdischen Bevölkerung aus den Städten Kirkuk und Khanaqin die irakische Regierung dazu animiert, die »Arabisierung« der Region erneut zu beschleunigen.

Entlang der Demarkationslinie zum kurdischen Nordirak werden neuerdings Araber zwangsangesiedelt. Kurden ist dort nunmehr nicht nur der Erwerb von Immobilien, sondern generell der Abschluss von Handelsverträgen verboten. Die quasi-religiöse Mission des irakischen Volkes, ein arabisches Großreich zu schaffen und »die barbarische zionistische Entität« (Tarik Aziz) zu zerschlagen, geht einher mit einer erneuten Repressionswelle gegen die »zionistischen Agenten« im eigenen Land: Kurden, Schiiten und Kommunisten.

Hier zeigt auch die von der irakischen Regierung international angefachte Diskussion um die double standards bereits Wirkung. So blieb der Report von Andreas Mavrommatis, dem UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, der im März erstmals das berüchtigte Bagdader Abu-Graib-Gefängnis besichtigen durfte, weitgehend unbeachtet. Mavrommatis, dem bislang ein diplomatischerer Umgang mit dem Regime bescheinigt wurde als seinem Vorgänger, reagierte »entsetzt« auf die Zustände in dem Gefängnis, das die irakischen Behörden vor dem Eintreffen des Gastes schon »gesäubert« hatten. Mehr als 2 000 Menschen wurden dort und in anderen Haftanstalten in den vergangenen Jahren hingerichtet (Jungle World, 48/01). Eine Verlängerung seines Mandates wurde nur mit einer knappen Mehrheit beschlossen.

Ähnlich dürften die Reaktionen auch bei anderen Untersuchungen überall dort ausfallen, wo die irakische Regierung nach eigenem Bekunden nichts zu verbergen hat. Frankreich, China und Russland haben bereits ihren Widerstand gegen eine mögliche US-Intervention angekündigt und unterstützen den irakischen Protest gegen die Flugverbotszonen. Auch die Bundesregierung meint nichts anderes, wenn sie von politischen Lösungen spricht.

Unter welchen Bedingungen diese gefunden werden müssten, skizzierte jüngst der irakische Minister für »militärische Industrialisierung« Abd al-Tawab Mullah al-Huwaysh, dem unter anderem die Produktion von chemischen und biologischen Kampfstoffen untersteht: »Der allmächtige Gott möge mir und meinen Kameraden erlauben, ein Teil der irakischen Armeen unter der weisen Führung des Präsidenten zu sein, um Palästina und seine Krone, das heilige Jerusalem, von den kriminellen Zionisten zu befreien.«