Beethoven gegen McDonald's

Alte antiamerikanische Ressentiments haben wieder Konjunktur in Deutschland.

Ende April warf eine »militante Gruppe« im brandenburgischen Groß Ziethen einen Brandsatz in ein Geschäft, das Automobile US-amerikanischer Hersteller verkauft. Der bekennerbriefliche Hinweis, der anstehende Besuch George W. Bushs in Berlin diene dazu, »die BRD-Regierung als zuverlässigen Partner für einen Feldzug der 'zivilisierten Welt' gegen den Irak zu begeistern«, dürfte die Suche nach den Tätern kaum erleichtern. Denn von antiimperialistischen Gruppen und der Friedensbewegung über Panislamisten und Neonazis bis zu Attac und Rudolf Augstein kommt praktisch jeder in Frage.

»Das Völkerrecht wird schon seit langem hin- und hergebogen«, diktierte der Herausgeber des Spiegel bereits im vergangenen November der Anti-Bush-Bewegung ins Pamphlet, »nach Gutdünken und eigenen Machtinteressen vor allem von den USA.« Und so erinnern auch die aktuellen Plakate zur Bush-Demonstration nicht von ungefähr an die Titelbilder des Spiegel, auf denen die US-amerikanische Regierung im Rambo-Look als »Bush-Krieger« dargestellt wurde oder George W. Bush als texanischer Dr. Seltsam, der mit zwei gezückten Revolvern auf der Erde reitet.

Das Problem ist nicht neu. Schon in den achtziger Jahren flogen der Roten Armee Fraktion und den RZ die deutschnationalen Herzen zu, wann immer US-amerikanische Einrichtungen zum Ziel ihrer Anschläge wurden. So sehr, dass sich im April 1983 die RZ genötigt sahen zu erklären: »Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob wir McDonald's als einen US-Ernährungskonzern begreifen, der Maßstäbe für die Organisation arbeitsintensiver Niedriglohnarbeit wie auch weltweites Agro-Business gesetzt hat oder aber als Ausdruck einer wie auch immer verstandenen 'Yankee-Kultur'.«

Tut es das? Die Erklärung selbst legte bereits das Gegenteil nahe. Denn gerade in der politisch-ökonomischen Rationalisierung des antiamerikanischen Ressentiments manifestieren sich ungewollt dessen Wesenszüge am deutlichsten. Nicht die RZ, sondern der völkische Autor Giselher Wirsing schrieb 1941, die USA seien »im wesentlichen die große Geschäftsagentur des Finanzkapitals, das die Machtmittel des Staates diplomatisch und militärisch für die Kapitalinteressen der verschiedenen beherrschenden Wirtschaftsgruppen einsetzt«.

Das Verhältnis der Nationalsozialisten zu den USA war in etwa so gespalten, wie das der RZ zum Vorwurf des Antiamerikanismus, wenn auch aus entgegengesetzter Perspektive. Als Kommunisten glaubten diese, die USA lediglich als am weitesten entwickelte kapitalistische und imperialistische Macht abzulehnen, während die Nazis als Antisemiten scharf zwischen Produktions- und Zirkulationssphäre trennten. Ihnen erschien die amerikanische Produktionsweise, also »Rationalisierung« und »Modernisierung«, als auch für Deutschland vorbildlich, dem bürgerlichen Parlamentarismus mit seinem »Human Rights Evangelium« (Wirsing) dagegen galt ihr ganzer Hass.

Weniger Amerika selbst also, das Hitler als »kontinentale Macht und prototypischen Großraum der Erde« ansah, und die »weißen Amerikaner«, denen auch Rosenberg einen »nordischen Rassekern« bescheinigte, sondern das ideologisch auf Freihandel und Demokratie fußende System des »internationalen Kapitalismus«, das vom »Judentum in Amerika durchgesetzt« (Hitler) worden sei, stellten den Kern des antiamerikanischen Ressentiments dar.

Bereits damals gehörte auch das Entlarven der eigentlichen Ziele der »US-Kriegspolitik« zum wichtigsten Inventar dieser Feindschaft. Anton Zischka etwa geißelte in seinem 1939 in Berlin erschienenen Buch »Ölkrieg« den gerade von den Nazis begonnenen Zweiten Weltkrieg als »Krieg der 'Demokratien' gegen das nationalsozialistische Deutschland«. »Wie der (erste) Weltkrieg wurde dieser Krieg vom ersten Tag an als 'Krieg für Freiheit und Recht' getarnt, hetzte (...) unzählige in den Tod, nur 'um die Ideale der Menschheit aufrechtzuerhalten'.« Wie die Anti-Bush-Kampagne heute beim »Krieg für Demokratie und Menschenrechte« so markierte auch Zischka schon seine Distanz zu einem »Krieg für Freiheit und Recht« mit Anführungszeichen.

Das Skandalisieren des Selbstverständlichen, dass nämlich hinter einem Krieg auch materielle Interessen stehen, stellt eine der Schnittstellen zwischen Linken und Rechten dar. Der vermeintliche amerikanische Krämergeist, der Demokratie und Freihandel als Synonyme versteht, zog schon immer den Hass derjenigen auf sich, die sich einer höheren Mission verpflichtet fühlten.

Diese Wahrnehmung ist fast so alt wie die USA selbst, über deren Einwohner in einem deutschen Bestseller schon 1832 zu lesen war: »Der Amerikaner kennt nichts, er sucht nichts als Geld; er hat keine Idee; folglich ist der Staat kein geistiges und sittliches Institut (Vaterland), sondern nur eine materielle Konvention.« Die stereotyp gesetzten Anführungszeichen treffen nicht das Diktat des Werts, sondern markieren lediglich die bürgerliche Form kapitalistischer Vergesellschaftung als falsch.

Nichts anderes meinte Hitler, der begeisterte Technikfan und Bewunderer Henry Fords, der schrieb, Woodrow Wilson habe das amerikanische Volk als »Marionette« der »jüdischen Rasse«, der »jüdischen Presse«, des »jüdisch beherrschten internationalen Leihkapitals« und der »jüdischen Kapital- und Trustdemokratie« in den Ersten Weltkrieg getrieben.

So trafen sich, anders als beim Antisemitismus, der in der Linken vor 1933 nicht hegemonial war, im Hass auf Amerika schon früh rechte wie linke Gegner des bürgerlichen Staates. Nach dem Einmarsch französischer Truppen im Rheinland 1923 mobilisierten Seite an Seite Völkische und KPD zum Widerstand, weil, wie Clara Zetkin warnte, das amerikanische Kapital »die deutsche Arbeiterschaft als billige Arbeitskraft in die Hand bekommen (wolle), um auf diesem Wege Deutschland in eine Kolonie der Vereinigten Staaten zu verwandeln«.

Auch die Anti-Bush-Kampagne will »Wut und Hass« auf die Straße bringen gegen die USA, die einer Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag Bonn zufolge »auf der weltpolitischen Bühne wie ein absoluter Herrscher über 190 Staaten« auftrete, um die »militärische und ökonomische 'neue Weltordnung'« auszubauen, »in der eine Minderheit alle Ressourcen für sich beansprucht - aktuell Erdöl und Transportwege in Afghanistan und dem Irak - und der großen Mehrheit der Weltbevölkerung damit die Lebensgrundlagen entzieht«.

Das Bild des Kolonialisten beherrscht heute wie damals die Wahrnehmung der USA, die im Gegensatz zu Europa selbst niemals über Kolonien verfügten. So erklärte Henning Eichberg, ein deutschnationaler Vertreter der Friedensbewegung, in den achtziger Jahren: »Ich meine, dass es eine sehr wichtige Erfahrung ist, dass wir nach Jahrzehnten der Besetzung plötzlich merken, dass wir ein besetztes Land sind.« Helmut Gollwitzer sah in der Stationierung US-amerikanischer Raketen eine »Auslieferung der Verfügung über die Existenz unseres Volkes an eine fremde Regierung«.

Im »Befreiungskrieg der Völker« (Horst Mahler) gegen die USA spielt seit eh und je das Gegenstück zum kosmopolitischen Kapitalismus, das Volk, die wichtigste Rolle. »Überall siegt Blut über Öl«, prophezeite schon Zischka, »siegt Nationalbewusstsein über internationalen Kapitalismus.« Heute formuliert Linksruck denselben Gedanken so: »Die USA stehen vor einem Widerstand der Bevölkerung auf allen Erdteilen, (...) die ihre Kräfte aus der Erbitterung gegen die neoliberale Politik, gegen die bestechlichen Herrscher, die multinationalen Konzerne und überhaupt gegen den Kapitalismus zieht.«

Im Widerstand des Blutes gegen das Öl schwingt immer auch der Neid der Zukurzgekommenen mit, die sich im internationalen Wettbewerb um Ressourcen und Macht den USA ebenbürtig fühlen, aber doch immer nur einen hinteren Platz belegen. »Auch wir sind gegen die USA-Politik!« meldet sich jetzt ein Bündnis arabischer, türkischer und europäischer Kommunisten zu Wort. »Die USA wünscht, dass die ganze Welt vor ihr in die Knie geht. (...) Doch das reicht ihr nicht, alle Völker, die sich vor ihr beugen, sollen ihre Kultur, ihre Werte aufgeben und Amerikaner werden. Die USA ist der größte Terrorist der Erde. Die Völker der Erde wollen nicht die 'Freiheit und Demokratie' der USA.«

Ein ähnliches Bild transportiert das Demo-Plakat »President Evil«, auf dem »ein tödlicher Virus; ein fataler Fehler« das Böse in die Welt trägt. Die USA sind demnach nicht mehr nur Ausbeuter und imperialistischer Aggressor, sondern sie infizieren den halluzinierten Volkskörper wie ein Virus, damit dieser seine Kultur und seine Werte aufgibt. Hier erhält auch das Bild der »kleinen Minderheit« (Friedenskooperative) einen Sinn. Schon 1906 konnte man in einem beliebten völkischen Lexikon unter dem Eintrag »Amerikanismus« lesen: »Verjudung heißt eigentlich Amerikanisierung.«

Die Nazis verstanden ihren Kampf gegen Amerika nicht als Krieg gegen den Staat USA allein, sondern vornehmlich als Kampf der Völker gegen das »jüdische Prinzip«, das ebenbürtig sich in der Wall Street und im bolschewistischen Internationalismus verkörperte und »das Gegenbild zum nationalen Sozialismus in der Welt« darstellte. Wenn heute der Neonazi Steffen Hupka erklärt, der imperialistische Staat USA verbreite »nichts als Elend in der Welt«, und Horst Mahler hinzufügt, den ausgebrochenen Dritten Weltkrieg würden die »Globalisten verlieren und die Völker werden siegen«, knüpfen sie bewusst daran an.

So genannte Globalisierungskritiker mögen andere Motive haben, wenn sie gegen Bush auf die Straße gehen. Wie schon zu Zeiten der Friedensbewegung aber klaffen der subjektive Anspruch und die objektive Wirkung weit auseinander. So wie diese sich zu einer die Wiedervereinigung mental antizipierenden, nationalen Erweckungsbewegung entwickelte, fällt es heute der globalisierungskritischen Bewegung schwer, Distanz zum völkischen Antisemitismus zu erzeugen. Treffend bemerkte daher das Wall Street Journal: »Das zentrale Thema der europäischen Bewegungen gegen Globalisierung heute ist der Vergleich zwischen dem Holocaust, in dem sechs Millionen Juden getötet wurden, und der Intifada, die bisher 1 300 Palästinenser das Leben gekostet hat.«