Eckhard Henscheid in der ðJungen FreiheitÐ

Fall erledigt

Um des Knüllers wegen begeben wir uns an dieser Stelle aufs Glatteis eines Ritts über den Bodensee und richten eine Vorgabe an einen Romanautor, nämlich das Verbot, über heikle Sachen in Zukunft nicht mehr sprechen zu dürfen. In gewisser Weise muss der Betreffende wissen, dass ihn diese Vorverurteilung durch selbst ernannte gesellschaftliche Kräfte zu Recht trifft. Und außer ihm auch noch Martin Walser oder etwa Jürgen Möllemann nicht.

So redete Eckhard Henscheid in einem Interview der Jungen Freiheit, die sich demnächst wohl Geistige Freiheit nennen wird. Wer die »Mätresse des Bischofs« liebt, musste sich seit längerem um Henscheids Sprache und um seine politischen Anschauungen sorgen. Diese Zeiten sind nun vorbei, seit einer Woche ist Henscheid ein erledigter Fall. Und die Frage, ob die Analphabeten der Jungen Freiheit aus jedem einen Trottel machen, der mit ihnen spricht, oder ob einer schon ein Trottel sein muss, um mit der Jungen Freiheit zu sprechen, lässt sich nun auch beantworten: Ja.

Henscheid sprach über Walser und Möllemann, und wie es sich für ein solches Gespräch gehört, brach er ein Tabu und eine Lanze. »Mit dem so genannten und speziellen Judentabu in Deutschland konnte ich mich noch nie anfreunden.« Und wenn nun Paul Spiegel den Angriff Möllemanns auf Michel Friedman »die größte Beleidigung der Juden nach dem Holocaust« nennt, »dann kommt ein solches Missverhältnis zum Ausdruck, dass ich nur noch wenig Skrupel habe, mein 'eigenes' Judentabu zu brechen und zu fragen: Ist Herr Spiegel noch bei Sinnen? Wer den Holocaust und Möllemanns dicta auf eine Ebene bringt, der hat das Recht verwirkt, noch für voll genommen zu werden. Derjenige - nicht Möllemann - ist der rein taktische, verantwortungslose Schwätzer.«

»Nach dem Holocaust«, so viel hätte Henscheid ahnen dürfen, war aber bloß eine Zeitangabe. Spiegel wollte wohl kaum eine Rangliste aufstellen, mit dem Holocaust auf dem ersten und Möllemann auf dem zweiten Platz, und Auschwitz zu einer »Beleidigung der Juden« bagatellisieren. Tatsächlich sagte er nicht das, was Henscheid ihm unterschob, sondern nannte Möllemanns Äußerungen die »größte Beleidigung, die eine Partei in der Geschichte der Bundesrepublik nach dem Holocaust ausgesprochen« habe. Der Wille, das »Judentabu« zu brechen, lügt sich die Gründe immer selbst herbei.

Was aber war mit Walser? Man wisse zwar nicht, ob er in seinem neuesten Buch antisemitische Klischees zur Denunziation einer Figur verwendet, mit der Marcel Reich-Ranicki gemeint ist. Auf jeden Fall aber sei die Literaturkritik, wie dieser sie betreibe, »eine große Gaunerei«. Im Übrigen gehe es um einen »Grundwert des deutschen Geisteslebens, nämlich die geistige Freiheit«. Und da werde man Henscheid »immer, egal wie die politische Stimmung im Land ist, auf der Seite derer sehen, die die Sache der geistigen Freiheit vertreten«.

Man mag daran zweifeln, dass die Freiheit immer ein Grundwert ausgerechnet des deutschen Geisteslebens war, und die Walsersche scheint schon deshalb nicht bedroht, weil nun auch Henscheid einem »Klimawechsel« im Sinne Möllemanns ausdrücklich seinen Segen erteilt. Über Louis Ferdinand Céline liest man in den Literaturgeschichten, er sei ein guter Autor gewesen, aber leider ein Antisemit. Vielleicht heißt es nach dem Klimawechsel über Walser: ein Antisemit, aber leider kein guter Autor.