Die Drogenpolitik

Rot-grüner Afghane

Eine liberale Drogenpolitik hat die Bundesregierung nicht betrieben. Kiffer gehen in den Knast oder verlieren den Führerschein.

Wer dachte, nach einem rot-grünen Wahlsieg würde Deutschland zu einem Kifferparadies, sah sich bereits im Oktober 1998 getäuscht. In den Koalitionsverhandlungen konnten sich die Grünen mit ihrer Forderung nach einer Entkriminalisierung des Haschischkonsums nicht gegen die SPD durchsetzen. Gerhard Schröder wollte schon damals die Stammtische nicht beunruhigen.

Immerhin gab es in der Koalitionsvereinbarung ein paar milde Stimmungsaufheller: »Eine zukunftsweisende Politik zur Drogen- und Suchtbekämpfung umfasst die Elemente Aufklärung, Prävention und Hilfe für Drogenabhängige, sowie Strafverfolgung des kriminellen Drogenhandels. Sucht ist Krankheit. (...) Zudem werden die Initiativen des Bundesrats (Modellversuche zur ärztlich kontrollierten Originalstoffvergabe mit wissenschaftlicher Begleitung, ähnlich wie dies in der Schweiz durchgeführt wurde; Rechtssicherheit für staatlich anerkannte Drogenhilfsstellen) aufgegriffen. Die Substitution durch Methadon oder Codein wird unterstützt.«

Die »zukunftsweisende« Programmatik war nichts weiter als die Neuformulierung der schon unter der Regierung Helmut Kohls verfolgten Linie: Wer Drogen nimmt, ist krank. Mit einer realistischeren Politik, die den Drogenkonsum als weit verbreitetes, gesellschaftliches Phänomen akzeptiert, konnte nicht gerechnet werden.

Dabei gab es durchaus günstige Bedingungen für eine Liberalisierung der Drogenpolitik. Etwa das Urteil des Lübecker Richters Wolfgang Neskovic aus dem Jahr 1992, in dem von einem »Recht auf Rausch« die Rede war, oder das so genannte Haschisch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994, das die gleiche Behandlung von Alkohol und Cannabis und eine bundeseinheitliche Definition, was als »geringfügige Menge« zu gelten habe, forderte. Eine Initiative der rot-grünen Regierung in Schleswig-Holstein sah den Verkauf von Cannabis in Apotheken vor und suchte bereits nach geeigneten Standorten für Gewächshäuser.

Und dennoch brachte die Bundesregierung keine Verbesserungen auf den Weg. Nach wie vor schwankt für einen Drogenkonsumenten das Risiko einer Verurteilung zwischen den einzelnen Bundesländern erheblich. Während in Schleswig-Holstein ein Verfahren beim Besitz von 30 Gramm Cannabis eingestellt werden kann, beschränken die Länder Bayern, Sachsen-Anhalt und Brandenburg die Anwendung des Paragrafen 31a des Betäubungsmittelgesetzes, der die Möglichkeit der Einstellung eines Verfahrens wegen Geringfügigkeit regelt, auf eine Menge unter sechs Gramm.

Zur Cannabisabgabe in Apotheken kam es nicht. Die von den Befürwortern der Legalisierung seit Jahrzehnten geforderte grundsätzliche Novellierung des Betäubungsmittelrechts und der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung wurde wie schon von der Vorgängerregierung mit dem Hinweis auf bindende internationale Rechtsabkommen zurückgewiesen.

Nach Ansicht des Bremer Verfassungsrechtlers Lorenz Böllinger ergibt sich jedoch keine »absolute Verpflichtung zur Kodifizierung (Aufnahme in den Gesetzestext) von Strafnormen« aus den internationalen Übereinkommen, unter anderem weil die Verträge der nationalen Gesetzgebung einen gewissen Spielraum lassen. Darüber hinaus kranke das deutsche Betäubungsmittelgesetz nach der Ansicht Böllingers an »elementaren Wertungswidersprüchen« und basiere auf »extrem diffusen Rechtsgütern« wie dem »Schutz der Volksgesundheit«.

Das derzeit geltende Gesetz mache keinen Unterschied zwischen so genannten weichen und harten Drogen. Unter den Bedingungen der Verschreibungsverordnung ist es einem Arzt nur mit erheblichem bürokratischen Aufwand und einem strafrechtlichen Risiko möglich, Opiate zu verschreiben. Darunter leiden neben Suchtkranken auch Schmerz- und Tumorpatienten. Eine Abgabe von Cannabisprodukten etwa zur medizinischen Betreuung von Aids-Patienten ist unmöglich, da Hanfharz auf der Liste der so genannten nicht verkehrsfähigen Stoffe steht.

Auf einer Tagung sprachen sich die Grünen Anfang Juni in Berlin zwar für die Legalisierung von Haschisch nach niederländischem Vorbild aus. Die ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Christa Nickels, sagte: »Wer jetzt immer nur weitere Studien einfordert, will von dem politischen Auftrag ablenken, der sich aus den bereits vorliegenden Studien ergibt.« Doch Nickels selbst hat in ihrer Amtszeit bis zum Januar 2001 Modellversuche auf den Weg gebracht, die überflüssig sind, etwa die Studie zur Originalstoffvergabe, bei der seit Mai dieses Jahres in einer Hand voll Städten an jeweils 60 bis 90 so genannte Schwerstabhängige Heroin verteilt wird, die vorher ihre Eignung durch eine möglichst lange Drogenkarriere und etliche abgebrochene Therapieversuche nachweisen mussten.

Doch Erfahrungen mit Heroin- und Kokainverschreibungen wurden bereits Ende der sechziger Jahre in England gemacht. Seit Oktober 1993 gibt es entsprechende Modelle mit gutem Erfolg in der Schweiz. Auch was die zweite wissenschaftliche Studie »Cannabis als Medizin« betrifft, die die Bundesregierung in Auftrag gab, sind die Ergebnisse längst aus den USA, England oder Indien bekannt. »Die Einstiegsdroge Nummer eins sind Zigaretten, nicht Cannabis«, gab sich Nickels kämpferisch. Dabei ist die Theorie von der Einstiegsdroge für die meisten Experten längst vom Tisch.

In einer Hinsicht kam es unter der rot-grünen Regierung sogar zu einer Verschlechterung. Wer heute mit Drogen wie Cannabis erwischt wird, muss mit dem Entzug des Führerscheins rechnen, egal ob er im Auto oder zu Hause auf dem Sofa ertappt wird. Diese Art der indirekten Bestrafung betrifft in Deutschland eine große Zahl von Konsumenten, deren Berufsaussichten oft auf Jahre eingeschränkt werden. Mit einer Streichung der entsprechenden Paragrafen in der Fahrerlaubnisverordnung kann freilich auch in Zukunft nicht gerechnet werden.

Die rot-grüne Drogenpolitik bietet alles in allem ein trauriges Bild. Allein im Jahr 2000 wurden 36 000 Personen wegen Konsumentendelikten verurteilt. Der Anteil der Häftlinge, die wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingesperrt wurden, liegt je nach Justizvollzugsanstalt zwischen 30 und 50 Prozent. Nicht einmal das Hanfsamenverbot der Vorgängerregierung unter Helmut Kohl wurde rückgängig gemacht. Einen legalen Zugang zu sauberen Drogen gibt es nicht, und die Zahl der Fahrerlaubnisverfahren nimmt zu. Was also tun? Stoned Bus fahren.