Französisch-irakische Beziehungen

French Kissing in Bagdad

Im UN-Sicherheitsrat bemüht sich Frankreich um die Rehabilitation Saddam Husseins. Diese Politik setzt die in den siebziger Jahren begonnene Unterstützung des irakischen Regimes fort.

Was könnte das sein? 130 Schwertransporter der irakischen Republikanischen Garden verlassen im Konvoi eine militärische Anlage südlich von Bagdad in Richtung Wüste, ungefähr eine Stunde bevor die Abrüstungskommission der Uno die Anlage besichtigen will. Der australische Diplomat Richard Butler, ehemaliger Leiter der Rüstungskontrollkommission Unscom, legte die entsprechenden Satellitenaufnahmen dem UN-Sicherheitsrat vor und bekam unerwartet Antwort vom Vertreter der französischen Regierung, Alain Dejammet. Vielleicht, mutmaßte dieser, handele es sich um ein Trucker-Picknick in der Wüste.

Frankreich ist neben Russland im Sicherheitsrat die treibende Kraft hinter allen Versuchen, die Sanktionen gegen den Irak aufzuheben und das Regime wieder anzuerkennen. »Die amerikanische Politik besteht darin zu strafen«, erklärte der nunmehr abgelöste Außenminister Hubert Védrine, »unsere Politik darin, nach Lösungen zu suchen.« Dabei ließ die französische Regierung nie einen Zweifel daran, dass sie diese Lösung nicht von den Erfolgen der internationalen Abrüstungskommission abhängig machen will. Noch bevor der Irak 1998 die Unscom wegen angeblicher Spionage des Landes verwies, eröffnete die französische Regierung eine Debatte über die Unabhängigkeit Butlers von israelischen und amerikanischen Interessen.

Dem Streit vorausgegangen war ein Interview der New York Times mit Richard Butler, in dem dieser erklärt hatte, der Irak verfüge über genug Anthrax, um ganz Tel Aviv auszulöschen. »Unglaublich«, empörte sich der seinerzeitige Innenminister Jean-Pierre Chevènement, der 1991 wegen des Golfkriegs vom Amt des Außenministers zurückgetreten war. Védrine warf Butler vor, seine Kompetenzen »weit überschritten« zu haben.

»Selbst wenn der Irak nach wie vor chemische und biologische Waffen produziert«, fasst der ehemalige französische Diplomat und Autor von Le Monde Diplomatique, Eric Rouleau, die Haltung seiner Regierung zusammen, »glauben französische Experten nicht, dass man dies wirklich sicher kontrollieren könnte. Jeder weiß, dass man diese Waffen auf sehr engem Raum, in kleinen Anlagen produzieren kann. Das wird so oder so im ganzen Nahen Osten gemacht, und dort prüft das auch keiner nach.«

Die Ergebnisse der Unscom-Untersuchungen allerdings gaben Butler Recht, dessen Team nicht einmal zu einem Fünftel aus amerikanischen Wissenschaftlern bestand. Die UN-Inspektoren stießen nicht auf Garagenwerkstätten, sondern auf riesige unterirdische Anlagen. Seit Mitte der neunziger Jahre läuft unter dem Kommando des berüchtigten Geheimdienstes Mukhabarat der Wiederaufbau der Rüstungsindustrie auf Hochtouren.

Der begrenzte Erfolg der Unscom-Inspektionen ist indessen nicht nur dem irakischen Versteckspiel mit Massenvernichtungswaffen und dem zur Herstellung benötigten Equipment geschuldet, sondern auch Frankreichs Weigerung gegenüber allen Versuchen der Non-Proliferation im Falle des Irak. Das würde eine vollständige Offenlegung der staatlichen Kredite und Bürgschaften an jene Firmen bedeuten, die den Irak mit Gütern zur Produktion chemischer, biologischer und nuklearer Massenvernichtungswaffen versorgt haben. Auch Deutschland hat die 1991 avisierte internationale Non-Proliferation im Falle des Irak blockiert und damit die Herausgabe von Akten und die mögliche strafrechtliche Verfolgung der staatlich subventionierten Unternehmen verhindert.

Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Firmen, die das nukleare und chemische Rüstungsprogramm des Irak unterstützt haben, sondern auch um die Rolle der Regierungen bei diesen Geschäften. In Frankreich ist die exponierteste Figur der Irak-Connection gerade als Staatspräsident im Amt bestätigt worden: Jacques Chirac, der als Premierminister in den siebziger Jahren den Kontakt zum baathistischen Irak persönlich hergestellt hatte.

1974 besuchte der französische Außenminister Michel Jobert Bagdad und erklärte die Bereitschaft seines Landes, den Aufbau einer »technologischen Infrastruktur« zu unterstützen. »Ich bin glücklich«, erklärte er der irakischen Bevölkerung, »dass Ihr großartiges Land nunmehr die Mittel haben wird, seine einstige Größe wieder zu erreichen.«

Über den Weg dorthin allerdings herrschte Uneinigkeit. Bagdad verlangte von Frankreich das Equipment für einen so genannten Brüter, mit dem auf direktem Wege atomwaffenfähiges Material hergestellt werden kann. Das ging der französischen Regierung, die zur gleichen Zeit mit dem Iran über den Aufbau eines Atomprogramms verhandelte, allerdings zu weit. Ein Jahr nach dem Besuch Joberts reiste der Premierminister Jacques Chirac nach Bagdad. Dort verhandelte er mit dem damals zweiten Mann im irakischen Staate, Saddam Hussein, dem Chirac eine Zukunft als »großer Staatsmann« voraussagte, »dessen Qualitäten das Volk zu Fortschritt und nationalem Wohlstand führen werden.«

Als erstes Resultat der Männerfreundschaft zwischen Chirac und Saddam sagte Frankreich die Lieferung eines Kernreaktors des Typs Osiris zu - ausschließlich zu Versuchszwecken. Die notwendige hot cell zur Umrüstung auf einen Brüter stellte Italien zur Verfügung. 1979 lieferte Frankreich den Osiris-Reaktor, der nun offiziell Osiraq hieß. Israel, das niemals an die von Frankreich beteuerte rein friedliche Nutzung des Reaktors glaubte, zerstörte ihn im Juni 1981.

Die Bedenken der Israelis waren nicht unbegründet. Längst hatte der französische Konzern Thomson CSF auch das notwendige Equipment zur Herstellung von Trägerraketen geliefert und das Commissariat à l'Energie Atomique (CEA) drei Tonnen schweres Wasser für den Reaktorbetrieb hinzugefügt. Mit Hilfe der in Frankreich zusammengekauften Ausrüstung setzte der Irak sein Atomwaffenprogramm auch nach der Zerstörung von Osiraq fort, mit dem Ziel, aus dem noch erhaltenen Material des Reaktors Waffen herzustellen. Bereits Ende der achtziger Jahre testete der Irak so genannte schmutzige Bomben, die radioaktives Material enthielten. Ein Teil des von Frankreich gelieferten Materials entdeckten Unscom-Inspekteure dann Jahre später.

So setzt Frankreich auch heute bei dem Versuch, den USA im Nahen Osten den Rang als Hegemonialmacht abzulaufen, wieder auf den Irak und das Regime Saddam Husseins. Als erster Staat der Anti-Irak-Koalition nahm Frankreich bereits 1994 über die rumänische Botschaft wieder diplomatische Kontakte zu der offiziell nach wie vor isolierten Regierung auf. 1996 verließ Frankreich dann die Anti-Irak Koalition. Die offizielle französische Irak-Politik besteht seitdem darin, die Debatte um die UN-Sanktionen vom Regierungswechsel abzukoppeln, den Großbritannien und die USA verlangen, während von der extremen Rechten bis in die Linke hinein rührige Komitees gegen das Embargo mit »Solidaritätsflügen nach Bagdad« und anderen Aktionen die Regierungspolitik zivilgesellschaftlich flankieren.

Dies geht einher mit dem Versuch, über eine Stärkung Syriens und des Libanon den Einfluss in jenen Ländern des Nahen Ostens auszubauen, die mit Genugtuung die Äußerung des französischen Botschafters Daniel Bernard registriert haben dürften, der kürzlich auf einer Cocktailparty in London fragte, warum man »Israel, diesen kleinen Scheißstaat«, nicht fallen lasse.