Proteste verhindern den Bau eines Flughafens

Verkauft wird nicht

Nach neun Monaten harten Widerstands hat die mexikanische Regierung das Flughafenprojekt Texcoco aufgegeben.

Wie eine Trophäe steht der gelbe Vermessungswagen der Geo-Tec am Marktplatz von San Salvador Atenco. Er wurde schon sehr früh »beschlagnahmt« und stillgelegt, erzählt Felipe Nuñez Hernandez, »kurz nachdem die Planungen offiziell bekannt wurden«. Das war im Herbst des vergangenen Jahres. Mexikos Präsident Vicente Fox ließ damals wissen, man werde in der östlich der Hauptstadt gelegenen Region Texcoco einen neuen Flughafen bauen. Schließlich verfüge der in Mexiko-Stadt nicht über die mittlerweile notwendigen Kapazitäten.

Dem auf fünf Milliarden Dollar veranschlagten größten Infrastrukturprojekt der konservativ-liberalen Regierung sollten 13 Dörfer Teile ihres Bodens opfern. Allein in der Gemeinde Atenco sollten rund 70 Prozent des Ackerlandes den neuen Start- und Landepisten, Verwaltungsgebäuden und kommerziellen Zentren weichen, 345 Wohnhäuser des Dorfes sollten dem Erdboden gleich gemacht werden. Für Nuñez Hernandez und die Mehrheit der Bewohner und Bewohnerinnen von Atenco war seither klar: Freiwillig geht hier keiner.

Neun Monate lang ließen die Bauern keinen Zweifel daran, dass sie es ernst meinen. Sie verbarrikadierten die Zufahrtsstraßen der Gemeinde mit Sandsäcken, um Polizei und Armee fernzuhalten, verjagten den Bürgermeister, schlossen das Polizeirevier und entwaffneten Polizisten, die sich dennoch ins Dorf gewagt hatten. Mit ihren Macheten demonstrierten sie im Zentrum von Mexiko-Stadt, und mehrmals setzten sie Arbeiter fest, die versuchten, mit dem Bau des Flughafens zu beginnen. Im Mai »entführten« die Bewohner mehrere Angestellte einer bulgarischen Firma. Erst einige vermittelnde Telefonate zwischen der Regierung Bulgariens und den rebellischen Bauern ermöglichten ihre Freilassung.

Doch seit Donnerstag letzter Woche werden in Atenco keine Gefangenen mehr bewacht und keine vermeintlichen Zivilpolizisten mehr kontrolliert. Es wird gefeiert. Die Wandtafel, auf der bislang genauestens eingetragen wurde, wer zu welchem Zeitpunkt Nachtwache schieben musste, hat ihren Zweck erfüllt. Und vor der Bühne des Auditorio Municipal, auf der in den vergangenen Monaten vor allem gegen die Regierung, den Neoliberalismus und das Kapital gewettert wurde, wird getanzt.

Die Bauern haben ihr Ziel erreicht. Präsident Fox hat seinen Plan aufgegeben. Der neue Flughafen Texcoco wird nicht gebaut. Es gebe, so hieß es plötzlich aus dem Ministerium für Kommunikation und Transport, »überzeugende Alternativen für einen vergrößerten Flughafen im Zentrum des Landes«. Das Dekret vom Oktober 2001, nach dem die rechtmäßigen Besitzer des Landes mit einer lächerlichen Entschädigung enteignet werden sollten, tritt außer Kraft. Es gelte, »den sozialen Frieden, die Stabilität und den Rechtsstaat« zu erhalten. »Die Regierung war zu dieser Entscheidung gezwungen, weil die Vernunft immer auf unserer Seite stand«, meinte América de Valle, eine der Aktivistinnen aus Atenco.

Lange Zeit spielte derlei Vorstellung von vernünftigem Handeln im mexikanischen Regierungspalast Los Pinos keine Rolle. Im Gegenteil, mit der Entscheidung, den Flughafen dort zu bauen, hätten die Bewohner der Region »in der Lotterie gewonnen«, erklärte Fox und meinte eine ökonomische Infrastruktur, die Arbeitsplätze versprechen, gleichzeitig aber die Lebensgrundlage zahlreicher Menschen vernichten sollte.

Monatelang ignorierte man also den Widerstand der Bauern, bevor er in den letzten Wochen zu einer existenziellen Machtfrage für Fox wurde. Dabei schien eine Zuspitzung von Anfang an unvermeidlich. Nur wenige Tage nach dem Bekanntwerden des Dekrets legten rund 2 000 Menschen aus verschiedenen Dörfern der Region beim Suprema Corte de Justicia de la Nación, dem höchsten Gericht Mexikos, Klage gegen die Enteignung ein, über die bis heute nicht entschieden wurde.

Vor allem der lächerliche Preis, den man den Eigentümern bot, sorgte für Aufregung: Sieben Pesos - umgerechnet etwa 75 Cent - sollten sie für jeden Quadratmeter Boden erhalten. Doch auch die Ignoranz, mit der die Regierung Fox vorging, schuf Unmut. »Wir wurden nie gefragt«, sagt Ignacio del Valle, einer der Sprecher der Bauern aus Atenco.

Wie die meisten aus dieser Gemeinde zählt er zu den Radikalen, für die es nie etwas zu verhandeln gab. »Wir kämpfen nicht für einen besseren Preis«, wiederholte er ein ums andere Mal. Während im Laufe der Zeit die Delegierten der meisten anderen Dörfer mit Regierungsvertretern um den Quadratmeterpreis verhandelten, blieb man in der 18 000-Seelen-Gemeinde stur: »Atenco no se vende« - Atenco verkauft sich nicht.

Das hatte einen einfachen Grund. Für viele Gemeinden ging es um fünf bis maximal 15 Prozent ihres Landes, für die Menschen aus Atenco hingegen standen 70 Prozent auf dem Spiel und damit die Existenz des gesamten Gemeinwesens. Zwar hatte die Regierung neue Wohnungen, Schulen und Arbeit auf dem Flughafen in Aussicht gestellt, aber wohl nicht mit der Renitenz der Anwohner gerechnet. »Ich will nicht als Tellerwäscher oder Kofferträger arbeiten«, wie der Bauer Miguel Buendia stellvertretend für viele erklärt.

Die konsequente Haltung und ihr militantes Vorgehen brachten den Bewohnern von Atenco viele Sympathien, aber auch die Distanzierung reformistischer Organisationen ein. Vor Ort ließen sich vor allem linksradikale Gruppen blicken. So etwa der Consejo General de Huelga (CGH), der kleine verbliebene organisierte Rest der Streikbewegung an der Autonomen Universität von Mexiko-Stadt (Unam). Auf Menschenrechtsgruppen und einflussreichere NGO wartete man vergeblich.

Am 11. Juli änderte sich die Situation. Während eines Besuches von Arturo Montiel, dem Gouverneur des zuständigen Bundesstaates, kam es zu heftigen Straßenschlachten. Mit Macheten, Steinen und Molotow-Cocktails reagierten die Bauern auf Angriffe von etwa 1 000 Beamten der Nationalpolizei. Nebenbei wurden drei Coca-Cola-Lkws »beschlagnahmt« und kurzerhand geplündert.

14 Personen nahm die Polizei während dieser Auseinandersetzung fest. Etwa 300 Demonstranten fuhren daraufhin zum Gefängnis in Texcoco und nahmen sieben Angestellte als Geiseln. Zusammen mit neun bereits zuvor festgesetzten Polizisten wurden sie am Abend der Presse präsentiert. Am Tag darauf traf man sich mit den Sicherheitskräften zum erfolgreichen Gefangenenaustausch. In der Folge sah sich Fox gezwungen, von möglichen Alternativen zu Texcoco zu sprechen, NGO schalteten sich als Vermittler ein.

Spätestens in diesen Tagen war das Vorgehen der Regierung in ganz Mexiko zum Symbol für die Ignoranz geworden, mit der man Großprojekte im Interesse einheimischer und internationaler Investoren gegen die Bevölkerung durchzusetzen versucht. Etwas übertrieben sprach der Verfassungsrechtler Burgoa Orihuela, der im Auftrag der Dorfbewohner die Prozesse beim Suprema Corte führte, von einer möglichen Zuspitzung, die Verhältnisse wie zu Zeiten der Agrarrevolution von 1910 schaffen könne.

Doch tatsächlich steht Fox unter erheblichem Druck. Über 4 000 ungelöste Konflikte um Land können täglich zu Auseinandersetzungen ähnlichen Ausmaßes führen. Auch im Rahmen des Plan Puebla Panama (PPP), mit dem der Staatschef den Süden Mexikos durch Weltmarktfabriken, Infrastrukturprojekte und Agrarindustrien an den internationalen Markt anbinden will, drohen neue Schwierigkeiten. In vielen Gemeinden organisiert sich die Bevölkerung gegen den PPP, nicht zuletzt weil ihre Interessen bei der Planung ignoriert wurden.

Ob der Rückzug der Regierung Fox auf diese Auseinandersetzungen mäßigend wirken wird, ist fraglich. Mehr spricht dafür, dass das radikale Handeln der Bauern von Atenco das Vertrauen in eine autonome Organisation gestärkt hat. Während Unternehmensvertreter nun lamentieren, mit der Aufgabe des Projekts habe man den Respekt vor dem Privateigentum und dem Rechtsstaat zerstört und internationale Investoren abgeschreckt, ist sich der Bauernführer Adán Espinoza sicher: »In diesen Monaten haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Als es noch Polizisten gab, hatten wir zum Beispiel viele Raubüberfälle und Probleme mit Drogen. Diese Probleme haben nachgelassen. Das bestärkt uns in der Entscheidung, dass künftig ein autonomer Rat diese Gemeinde regieren wird.«