Franz Doblers »Westerngedichte« auf CD

»Scheiße« oder einfach »Mutter«

Franz Doblers Westerngedichte hören sich auch auf CD gut an.

Mir geht es heute noch so wie Franz Dobler vor zehn Jahren, als ihm die Idee zu seinen Westerngedichten aus einem Mangel an »lyrischer Sensibilität« kam, ihm »Begriffe wie Poesie oder Lyrik oder Gedichte auf einem Buchumschlag kein Leuchten ins Auge« zauberten. Gedichte (und auch Romane) sind selten so gut, dass man sie nicht gleich wieder weglegt, geschweige denn sie ein zweites Mal lesen will.

»Ein gutes Gedicht« ist eben »so selten wie ein guter Polizist oder ein guter Bandit«, sagt Dobler, dessen »Westerngedichte« 1991, lange bevor Madonna den Cowboyhut aufsetzte, als Buch erschienen. Sie sind keine »Art Überfall« geworden, wie er anfangs dachte, sondern gehen eher leise und unbemerkt in Mark und Bein und tun damit genau das, was so viele andere Gedichte nicht schaffen.

Zu hören sind die »Westerngedichte« jetzt auf CD mit Soundtracks von hubl g (Bandleader von The Blech) unter dem Titel »Der Tag An dem Ich Allen Glück Wünschte«. Die Musik tut den Gedichten gut, obwohl der Klangteppich aus Cool-Jazz und Elektro manchmal zu repetitiv eingesetzt wird.

Trotzdem wirkt es insgesamt so, »als würde man«, wie Andreas Niedermann über die Gedichte schrieb, »im Zug sitzen, zum Fenster rausschauen und die Landschaft vorbeiziehen sehen«. Klar, das ist keine »wirkliche, handfeste Landschaft, sondern eher eine innere, geträumte«. Das Schöne und Gute dabei ist, dass sich diese »innere, geträumte Landschaft« nach einer Weile mit der des Zuhörers vermischt, als ob er selbst aus dem Fenster eines fahrenden Zuges blickte und sein eigenes Buch, seine eigene Geschichte schriebe.

Mit den Westernklischees vom starken Mann, von Law and Order oder mit dem Gangstermythos haben die Gedichte wenig zu tun. Der Erzähler kann kein Blut sehen, keine Flasche Jack Daniels trinken und gerade aus der Kneipe rausgehen, er könnte keine Bank überfallen und dem Kassierer keinen Schein in die Tasche stecken, er kann nicht reiten, kann nicht schießen und hat noch nie einen Menschen krepieren sehen.

Klar, es purzeln viele bekannte Namen der Westernhistorie, wie Daltons, Billy The Kid, Geronimo oder Jesse James. Doch sind diese Namen nie Selbstzweck oder simples Namedropping. Sie sind schlichte Utensilien, mit denen Dobler spielt, seine ganz eigenen Geschichten erzählt und vom gängigen Westernmyhtos wenig übrig lässt. Jesse James wird im eigenen Wohnzimmer erschossen, als er gerade das schiefhängende Wandgemälde zurechtrücken will. Kurz vor dem Aus ist sein letzter Gedanke »Scheiße oder einfach nur Mutter«.

Auch das »Cowboy-Lied«, das erstmals 1989 in der ersten Nummer des von Thomas Palzer und Franz Dobler herausgegebenen Magazins Ziegelbrennen erschien und den Anstoß zu den »Westerngedichten« gab, zeigt, wie Dobler äußerst minimalistisch, dabei sehr ironisch, auch ein bisschen sarkastisch, aber mit viel Liebe zum Sujet unterhalb der Gürtelline des Cowboys unterwegs ist:

»Da steht der Cowboy Jim und putzt an seinem Ding / Da liegt der Cowboy Billy und treibt's mit seiner Lilly / Ich bin der Cowboy Pete und sing' mein neuestes Lied / Vom schönen Cowboy Jim und seinem großen Ding / Vom schnellen Cowboy Billy und seiner frechen Lilly / Ich bin der alte Pete / Das war mein letztes Lied«.

Doblers Gedichte sind Collagen aus historischen Ereignissen, Songzitaten, Westernfilmen (Sam Peckinpah) und persönlichen Erinnerungen, die immer wieder mit Bildern aus Bayern, wo er aufgewachsen ist, kombiniert werden.

Schon sein erster Roman, »Tollwut«, spielte auf dem Land »in einem toten Winkel zwischen München und Dachau« und war so etwas wie ein bayerischer Western. Ein junger Typ verteidigt mit dem Gewehr in der Hand sein Land gegen Enteignungsversuche. In den Westerngedichten lässt Dobler, der als DJ Country-Musik auflegt und eine Biografie über Johnny Cash geschrieben hat, den Wilden Westen und das bayerische Hinterland zusammentreffen. Hank Williams meets Kraudn Sepp, einen bayerischen Volkssänger und Zitherspieler, bekannt für seine Wilderer-Balladen:

»Oft sind wir in die Berge hinauf, bloß weil es uns am Finger gejuckt hat, oder am Herzen / und oft auch, weil sie daheim vor Hunger ihren eigenen Namen vergessen haben / sind wir dem Gesetz begegnet, haben wir den Hut gehoben und 'Habe die Ehre' gesagt / und wenn uns dann die Kugeln der Jäger um die Ohren pfiffen, dann haben wir zurückgepfiffen / und wenn ihnen dann das Stroh aus dem Kopf hing, dann haben wir gelacht / es war schon eine lustige Zeit damals«.

Berichtet wird über das andere Leben in einem weiten Land, wo nichts passiert, die ganze Gegend wie tot ist, wo man davonläuft und einen die Sehnsucht wieder nach Hause treibt, wo man sich behauptet oder zugrunde geht als das, was man ist oder was man zu sein glaubt. Country ist überall, und Gelegenheit gibt es genug, den Kopf zu erheben gegen das Kleine und das Große um uns herum in der Welt und nicht auf allen Vieren zu kriechen, nur um irgendwie weiterzukommen.

Country oder Heimat ist bei Dobler etwas Bewegliches, das man sucht und vielleicht auch findet, aber gleich wieder verliert. Heimat ist keine konstante Größe, die man haben, besitzen kann, kein Ort der Ruhe oder einer gesicherten Identität, sondern ein Prozess, der ständig weiterläuft. Ein Blickwinkel, der gerade heutzutage wichtig ist, wo Heimat, Nation allerorten als stabiles, unbewegliches Gut verkauft wird, das eine ewige Ordnung garantiert.

Für den Schreiberling, den Schriftsteller, den Autor, der mit »einem Gedicht nicht sein Leben riskiert«, sind all die Outlaws und Wilderer bekanntermaßen beliebte und dankbare Figuren, die man so oder so verwendet. Reizvolle Stellvertreter für das, was man man vielleicht selber gern täte, aber sich nicht traut. Projektionsflächen für das Gute oder das Schlechte im Menschen, in der Welt oder für was auch immer. Ein Zeichen, ein Symbol für dies oder jenes. Ein Ort für Sehnsüchte und Wünsche, auf dass der Stift eine Waffe wird und die Literatur so wirklich wie das Leben.

Am Ende der CD »Der Tag An dem Ich Allen Glück Wünschte« könnte man es Franz Dobler fast glauben, »dass es genauso gefährlich ist, einen Roman zu schreiben, wie einen Millionenraub durchzuführen«. Ja, das klingt zwar gut, ist aber nicht die Wahrheit.

Franz Dobler: Der Tag An dem Ich Allen Glück Wünschte. Hörkunst (Indigo)