Menschen wie Rinder

Gustav Frenssen schrieb sich mit seiner Kolonial- und Heimatliteratur in die Herzen der Deutschen. Erster Teil einer Serie über nationalsozialistische Dichter. Führers Bettlektüre I. von jan süselbeck

Ich war vor 30, 40 Jahren ein Nationalsozialist und bin nie etwas anderes gewesen oder geworden«, schrieb der ehemalige Pastor Gustav Frenssen am 6. Mai 1932 an seinen Schriftstellerkollegen Heinrich Eckmann.

Frenssens erste Erfolgsromane wirken wie Dokumente einer geistesgeschichtlichen Entwicklung, die Helmuth Plessner in seinem Werk »Die verspätete Nation« so beschrieb: »Der Blutglaube übernimmt (in höchst durchsichtiger Verbindung des religiösen und des wissenschaftlichen Elementes) die von der freien Philosophie nicht mehr zu erfüllende religiöse Funktion wissenschaftlicher Weltanschauung.« Nach dem von Friedrich Nietzsche verkündeten »Tod Gottes« und den u.a. durch Charles Darwin ausgelösten Erschütterungen des althergebrachten religiösen Weltbildes wurde auch für Frenssen die biologistische Weltsicht zum neuen Erklärungsprinzip der Natur des Menschen.

Das geschah in der gesellschaftlichen Stimmung der Jahrhundertwende, die von der Angst vor Fremden, vor Verfall und Dekadenz geprägt war. Von hier war es zur autoritären und nationalistischen Idee der rassenmäßigen Begrenzung der Gesellschaft und zu völkischen Züchtungsidealen nicht mehr weit. So träumte Frenssen bereits um 1900 von Zeiten, in denen »man in großen Sportfesten schöne und gesunde Menschen zeigen wird, so wie man jetzt nur schöne Pferde und Rinder zeigt«.

Gustav Frenssen war um 1905 der meistgelesene Autor Deutschlands. Sein Roman »Jörn Uhl« (1901) war einer der größten Bestseller der deutschen Literaturgeschichte. 1903 erreichte die Auflage 150 000 Exemplare. Neben Frenssens biologistischem Jesus-Roman »Hilligenlei« (1905) war »Jörn Uhl« damals ein Renner in den öffentlichen Leihbibliotheken.

Schriftsteller wie Wilhelm Raabe, Hermann Hesse und Gerhart Hauptmann nahmen Kontakt mit dem neuen Star der so genannten Heimatkunstbewegung auf. Diese Bewegung war um die Jahrhundertwende eine antimoderne, völkisch-nationalistische, teilweise auch antiklerikale Kulturströmung und fand in der Literatur ihr Medium und in Frenssen einen ihrer bekanntesten Vertreter.

1913 war Frenssen sogar für den Literatur-Nobelpreis im Gespräch. Zu seiner tiefen Enttäuschung erhielt jedoch Gerhart Hauptmann die Auszeichnung. Frenssen behauptete später, »romanisch-jüdischer« Einfluss in Stockholm habe ihn um den Preis gebracht.

Dafür schrieb sich Frenssen immer tiefer in die Herzen der Deutschen. Etwa mit seinem Kolonialroman »Peter Moors Fahrt nach Südwest« (1906). Sein »Feldzugsbericht« aus »Deutsch-Südwest«, dem heutigen Namibia, war Pflichtlektüre an deutschen Gymnasien. Der Text beschreibt, wie deutsche Truppen unter der Führung des Generals von Trotha 60 000 Hereros in die Wüste und damit in den qualvollen Verdurstungstod treiben.

Dann begann der Erste Weltkrieg, und Frenssen brauchte nicht lange nach neuen Themen zu suchen. 1916 veröffentlichte er die nationalistische Propagandaschrift »Ein Brief«, 1917 folgte der erfolgreiche Roman »Die Brüder«, der »von unserem Auswärtigen Amt angefordert« worden sei, um »zu zeigen, wie das deutsche Volk den Krieg erleidet und erlebt«.

Die Niederlage von 1918 ereilte Frenssen »wie ein Bergsturz, der über den Lebensweg gefallen war«. Er antwortete auf die nationale Katastrophe mit seinen Büchern. Die Figuren in »Otto Babendiek« (1926) ersehnen einen Führer, der sie zum Sieg geleiten möge. »Und dann müsste es irgendeinen genialen Offizier im Heer geben, wahrscheinlich einen jüngeren, einen Mann von 30, vielleicht 40 Jahren, einen modernen Menschen, der nichts in der Vergangenheit sucht, der kalten und klaren Auges sieht: so ist die Seele des deutschen Heeres und des Volkes daheim, und so muss ich es führen! Er müsste plötzlich alle Gewalt haben! Alle!«

Nachdem diese literarische Wunschfigur 1933 Reichkanzler geworden war, rückte Frenssen in die Akademie der Künste auf. Er wurde Mitglied der Nordischen Gesellschaft, der auch der Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP, Alfred Rosenberg, und der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, angehörten. 1936 war er neben dem Präsidenten der Reichsschrifttumskammer, Hans Friedrich Blunck, Gründungsmitglied des Eutiner Dichterkreises und wurde fortan mehr umschwärmt denn je.

Mit seinem auszugsweise im SS-Organ Das schwarze Korps abgedruckten Buch »Der Glaube der Nordmark« (1936) und der Autobiographie »Lebensbericht« (1940) machte der Künder des nordischen Glaubens klar, was er vom Christentum hielt. Es sah darin nur noch ein »sinnloses, zum Teil hässliches und untermenschliches Gedankengebilde«. Der Beifall der Nationalsozialisten war groß. Im Jahr 1938 verlieh ihm Adolf Hitler die Goethe-Medaille.

Frenssen befürwortete ausdrücklich die Judenverfolgung. In dem Pamphlet »Recht oder Unrecht – mein Land!« (1940) kommentierte er die Reichspogromnacht vom 9. November 1938: »Es (das Volk, d. Red.) säuberte den Boden seiner uralten Heimat von denen, die das uralte, heilige, allgemein menschliche Recht, das Gastrecht, (…) so über die Maßen schandvoll mit Füßen getreten.«

In seiner Altersethik »Lebenskunde« (1942) forderte Frenssen im Sinne der nationalsozialistischen Eugenik- und Rassengesetzgebung die Vernichtung »lebensunwerten Lebens«. Zu den auszulöschenden Menschen zählte er »geborene Mörder, Rohlinge (Gewalttäter), Einbrecher, Diebe, Arbeitsunwillige, Herumstreicher, Volksfeinde aus krankem Willen oder um Geld«. Am 11. April 1945 starb Frenssen im Glauben an den »Endsieg«.

Schon in den fünfziger Jahren wurden seine Bücher wieder neu aufgelegt, darunter »Peter Moors Fahrt nach Südwest« (1953). Der in Antiquariaten teuer verkaufte und 1996 vom Recklinghausener Manuscriptum-Verlag kommentarlos wieder aufgelegte Roman »Otto Babendiek« wurde bis zuletzt wegen einer Empfehlung Arno Schmidts als literarischer Lichtblick Frenssens gehandelt. So stellte der Germanist Thomas Krömmelbein den Roman 1997 in eine Tradition, »die mit Vergil begann und in unserem Jahrhundert mit James Joyces ›Ulysses‹ ihren vorläufigen großen Höhepunkt erfuhr«.