Wo Geldkehlchen singen

Deutschland, Dieter Bohlen und der Fernsehsender RTL suchen immer noch den Superstar. Simon Fuller und den Konzern Bertelsmann freut das. von alexander wriedt

Es gibt nur wenige Fotos von Simon Fuller, denn er meidet die Öffentlichkeit wie ein Vampir die Sonne. Der 42jährige arbeitet im Hintergrund. In seinem Büro im Süden Londons entwickelt er Starprojekte wie die Eurythmics, die Spice Girls, S Club 7 und nun auch die Talentshow »Deutschland sucht den Superstar«. Das multimedial vermarktete Spektakel, das in vielen anderen Ländern unter dem Titel »Idol« läuft, hat ihm bisher 50 Millionen Euro eingebracht. Mehr als 60 Länder haben die Show bereits lizenziert, unter anderem der Irak.

In Großbritannien sahen 13 Millionen Menschen, wie aus den Finalisten von »Pop Idol« der smarte Will Young (23) zum Sieger gekürt wurde, und in den Vereinigten Staaten saßen beim Finale von »American Idol« 23 Millionen Zuschauer vor den Fernsehern. Die Debüt-Singles der Gewinner schossen natürlich an die Spitzen der Charts. Es geht um Geld, um viel Geld. In Deutschland schalten regelmäßig acht Millionen Leute ein, die Quote ist gut. »Popstars sind nichts als Marken, die man bis zum Letzten ausnehmen muss«, so diktiert es Fuller den wenigen Journalisten, mit denen er spricht.

Auf den ersten Blick sind die Superstar-Shows nichts Neues. Sendungen wie »Popstars« oder »Teenstars«, die allesamt bei RTL II liefen, haben Deutschland bereits die No Angels und Bro’Sis beschert. Doch Fuller schwebt Größeres vor. »Es ist so etwas wie ein Grand Prix, keine Casting-Show«, sagt er. »Diese Talent-Show ist ein Phänomen«, schreibt auch die englische Tageszeitung The Guardian angesichts des Erfolgs.

Medienmagazine schwärmen außerdem von der gekonnten Mischung aus gesteuertem Starkult und massentauglicher Popmusik. Fuller winkt ab. »Das ist alles viel simpler. Nimm eine Idee, blas’ sie zum absoluten Maximum auf und hol’ alles raus, was geht«, erklärte er im Spiegel.

Niemals zuvor war der Erfolg einer Show so planbar wie bei »Deutschland sucht den Superstar«. Zum einen konnten die Macher von RTL auf die Erfahrungen in England und Amerika zurückgreifen. »Das hat uns natürlich sehr geholfen«, sagt der RTL-Sprecher Christoph Köfer. Doch die entscheidende Arbeit leisten die deutschen Medienmacher selbst. Anders als bei ähnlichen Produktionen von RTL II kümmert sich jetzt der RTL-Mutterkonzern Bertelsmann um ein perfektes Zusammenspiel seiner Firmen, getreu dem Motto Fullers, »alles rauszuholen, was geht«.

Die Produktion leitet das konzerneigene Unternehmen Freemantle Media; RTL sendet nicht nur die Show, sondern erzeugt in seinen Boulevardmagazinen die dazugehörigen »Nachrichten«; Vox erklärt, wie es »hinter den Kulissen« aussieht; BMG produziert die Platten, Mohn Media verlegt die Fanmagazine, der stern hilft mit Artikeln, und Radiosender wie 104.6 RTL hämmern die Informationen über die Superstars ihren Hörern schon am frühen Morgen in die Köpfe.

Ein Grund für das gute Zusammenspiel ist die wirkungsvolle Arbeit des so genannten Synergie-Komitees von Bertelsmann, einer im Hintergrund arbeitenden Einheit von zehn Managern, die in Hamburg die Arbeit der Konzerntöchter koordiniert. Der Bertelsmann-Chef Gunter Thielen war von der »gewinnbringenden Zusammenarbeit« so begeistert, dass er den beteiligten Firmen den »Synergiepreis 2002« verlieh.

Das Superstarprojekt könnte das Unterhaltungsmodell der Zukunft sein. Denn mit der klassischen Musikbranche geht es rasant abwärts. Der Markt schrumpft jährlich um etwa sieben Prozent. »Wir beobachten einen regelrechten Verfall«, sagt Rolf Schmidt-Holz, der Unternehmensleiter von BMG. Fuller sieht das genauso: »Die Plattenindustrie ist tot.« Da müssten eben andere Geldquellen angezapft werden. Fuller ist beteiligt an sämtlichen Einnahmen der »Superstars«. Er hält die Hand bei den Werbeeinnahmen der Fernsehsender ebenso auf wie beim Merchandising.

Obwohl das Konzept der Sendung in allen Ländern dasselbe ist, müssen die nationalen Macher ausklügeln, wie sie die Begeisterung in ihrem Land anfachen können. Um von der ersten Sendung an in den Schlagzeilen zu sein, musste natürlich eine prominente Jury her. Da fiel die Wahl schnell auf Dieter Bohlen. »Keiner hat so viel Kohle wie ich, aber ich habe auch eine Wahnsinnsfigur«, fasste er vorab seine Qualifikationen für den Job zusammen. Eine kluge Wahl, denn der Dieter, der von Oldenburg nach Tötensen auszog, um – an den Verkaufszahlen gemessen – der erfolgreichste Musikproduzent Deutschlands zu werden, wurde nicht nur als Macher der Sieger-Single und als Jury-Mitglied verpflichtet. Nein, über ihn, der BMG seit 20 Jahren als Produzent und Popstar verbunden ist, konnten die Manager Bertelsmanns die konzernfremde Bild-Zeitung einbinden, die bekanntlich ein Fanclub Bohlens ist.

Er leistete dann auch von Anfang an ganze Arbeit. Mit Sprüchen wie »Du singst wie Kermit, wenn hinten einer drauftritt« oder »Du hast alles, was wir hier nicht brauchen«, gab er aussichtslose Kandidaten der Lächerlichkeit preis.

Für jeden Zuschauer muss etwas dabei sein. Selbstbewusste Frauen treten ebenso auf wie schüchterne, smarte Männer und glatte Gel-Typen. Nur selten lassen sich ein paar Eigenheiten entdecken, die den Möchtegern-Stars einen Hauch von Individualität verleihen. Nicht fehlen darf auch der Klassenclown, verkörpert von Daniel Küblböck, einem verhaltensauffälligen 17jährigen mit Quäkstimme, der in der Bild-Zeitung verriet, einschlägige Erfahrungen mit Erziehungsheimen zu haben.

Die Konkurrenz von RTL versucht auf ihre Weise, am Geschäft mit den »Superstars« teilzuhaben. Mit vermeintlichen Enthüllungen über die Show, etwa, dass Bohlen den »Superstar«-Song schon einmal aufgenommen haben soll oder der Sieger bereits feststehe, versucht sie, Stimmung gegen die Sendung zu machen. Doch sie erreicht nur das Gegenteil. Denn je umstrittener das Format, desto interessanter wird es.

Ein besonderer Glücksfall ist die Romanze zwischen dem Kandidaten Daniel Lopez und seiner Konkurrentin Juliette. Denn eine Liebesbeziehung beweist ja, dass das hier nicht bloß eine abgekartete Show, sondern das Leben selbst ist. Einen »Skandal« bot die Geschichte auch noch. Mehrere Frauen meldeten sich in verschiedenen Zeitungen zu Wort, die Daniel für sich beanspruchten. Eine von ihnen hatte immerhin eine dreimonatige Ehe mit ihm vorzuweisen. Daniel vergaß über das Beziehungschaos und die »gemeinen Anschuldigungen« bei seinem letzten Auftritt den Text und wurde vom Publikum abgewählt. Juliette bekam einen Heulkrampf.

Mitleid erregte Judith, die dem Druck nicht standhielt und aus der Show freiwillig ausschied, während Küblböck in seiner Naivität bisher nichts aus dem Tritt bringen konnte. Doch wer es so weit wie Daniel Lopez gebracht hat, kann sich der Aufmerksamkeit der Showbranche sicher sein. Das gilt erst recht, falls er, wie angekündigt, RTL wegen angeblicher Manipulation der Telefonabstimmung verklagen sollte. Es war die Abstimmung, die ihn aus seinen Popstar-Träumen riss.

Simon Fullers Träume könnten hingegen bald in Erfüllung gehen. Er möchte demnächst »World Idol« veranstalten, eine Show, die in allen Ländern der Erde stattfinden soll. »Es könnte das größte TV-Event aller Zeiten werden.«