Dem Atom entgegen

Die Auseinandersetzung zwischen Nordkorea und den USA spitzt sich zu. Der Konflikt könnte auch andere Staaten der Region zu nuklearen Rüstungsprogrammen bewegen.

Wirklich gefährlich war der Eindringling nicht. Die nordkoreanische Mig 19, die am Donnerstag vergangener Woche in den südkoreanischen Luftraum flog, drehte bereits nach zwei Minuten ab. Die Sowjetunion war zwar sehr stolz auf ihren ersten Überschall-Kampfjet, aber das war bereits 1953, und mittlerweile steht die Mig 19 fast nur noch in Militärmuseen herum.

Dennoch verfehlte die Demonstration ihre Wirkung nicht. Zwei Tage zuvor hatte die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA einen nicht namentlich genannten Armeesprecher mit der Drohung zitiert, dass »keine Option übrig bleiben wird, als den entscheidenden Schritt zu gehen und die Verpflichtung zur Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens aufzugeben«. Der Koreakrieg wurde 1953 durch einen Waffenstillstand beendet, doch ein Friedensabkommen kam nie zustande. »Ich glaube, die Kriegsgefahr auf der koreanischen Halbinsel ist gering, tatsächlich nicht existent«, beeilte sich der in dieser Woche aus dem Amt scheidende südkoreanische Präsident Kim Dae-jung zu versichern.

Doch seitdem die Demokratische Volksrepublik Korea (DPRK) im letzten Herbst bekannt gab, ein geheimes Atomwaffenprogramm zu betreiben, hat sich die Lage auf der koreanischen Halbinsel immer mehr zugespitzt. Auf die Ankündigung der US-Regierung, die nach der Beilegung der letzten Nuklearkrise 1994 vereinbarten Heizöllieferungen vorläufig einzustellen, folgte der Ausstieg Nordkoreas aus dem Atomwaffensperrvertrag.

Anfang Februar meldete KCNA, der umstrittene Reaktor in Yongbyon arbeitete wieder mit voller Leistung. Nach Ansicht der US-Regierung und der meisten Experten wird in dieser Anlage atomwaffenfähiges Material hergestellt. Als Washington mit der Ankündigung reagierte, die US-Truppenpräsenz in der Region zu verstärken, verschärfte Nordkorea seine Kriegsrhetorik weiter.

Den Beteuerungen der US-Administration, die Krise auf friedlichem, diplomatischem Wege beilegen zu wollen, schenkt Pjöngjang keinerlei Glauben. Dass Washington militärische Optionen nicht ausschließen will und den von Nordkorea geforderten Nichtangriffsvertrag ablehnt, bestärkt das Regime Kim Jong-ils in seiner Haltung. Als die internationale Atomenergiebehörde IAEA beschloss, den Fall der nordkoreanische Atomrüstung an den UN-Sicherheitsrat zu übergeben, wurde das als unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen. Bei einer UN-Resolution gegen ihr Nuklearprogramm drohen Nordkorea Sanktionen.

Sanktionen oder eine Seeblockade aber werden als Kriegserklärung gewertet, für einen solchen Fall droht Pjöngjang jetzt offen mit militärischen Erstschlägen gegen US-Einrichtungen bzw. gegen das im Süden der geteilten Halbinsel stationierte US-Militär. »Unser Sieg ist sicher, und unsere Zukunft ist noch strahlender«, verkündete das staatliche Radio, während KCNA prophezeite: »Danach wird die koreanische Halbinsel in Schutt und Asche liegen!«

Eine leere Drohung ist das nicht. Zwar ist die Ausrüstung des nordkoreanischen Militärs veraltet, doch die Armee zählt 1,1 Millionen Soldaten, und die meisten sind an der Demarkationslinie stationiert, die Nord- und Südkorea trennt. So gibt es auf beiden Seiten dieser entmilitarisierten Zone die weltweit höchste Konzentration von Militär. Mit Artillerie und Raketenwerfern könnte Nordkorea innerhalb von 24 Stunden das nur 50 Kilometer südlich gelegene Seoul in ein Flammenmeer verwandeln. Ein Krieg, so die südkoreanische Tageszeitung Hankook Ilbo, könnte eine Million Todesopfer fordern, eine Schätzung, die von Militärexperten bestätigt wird.

Um dem vorzubeugen, versuchen China, Russland, Japan und Südkorea seit längerem, Nordkorea an den Verhandlungstisch zu bringen, was auch von der US-Administration befürwortet wird. Diese Vorschläge stoßen aber offenbar in Pjöngjang nur auf taube Ohren. Die DPRK will einzig und allein mit den USA, die sie für die Krise veranwortlich macht, in bilaterale Verhandlungen treten.

Mit der derzeitigen US-Regierung haben sie sich aber den denkbar ungünstigsten Partner gewählt. George W. Bush und sein Kabinett sind nicht unbedingt für große Kompromissbereitschaft bekannt. Und schon wegen der Vorbereitung des Irakkrieges will die US-Regierung nicht den Eindruck entstehen lassen, sie würde mit einem anderen Staat, der Massenvernichtungswaffen produziert, zu freundlich umgehen.

Somit sitzen jetzt erst einmal alle Beteiligten in der Falle, und eine weitere Zuspitzung der Krise ist absehbar. Die USA planen für März gemeinsame Militärübungen mit den südkoreanischen Streitkräften, was schon in der Vergangenheit Nordkorea immer wieder zu einer extrem aggressiven Propaganda veranlasste. Einen Vorgeschmack konnte man bereits in der vergangenen Woche bekommen. »Sitzen die Amerikaner im Süden, werden wir sie dort angreifen. Sitzen sie in Japan, dann eben dort!«, so ein Kommentator im nordkoreanischen Staatsrundfunk.

Drohungen dieser Art stärken in Japan jene politischen Kräfte, die eine stärkere Militarisierung fordern. Postwendend drohte Verteidigungsminister Shigeru Ishiba militärische Präventivschläge an, wenn Nordkorea seine Raketen auf Japan richten sollte. Neben einer Erhöhung der Militärausgaben befürwortete Ishiba die Verabschiedung einer »Krisengesetzgebung«, die dem japanischen Militär größere Befugnisse gibt und im Kriegsfall die Bürgerrechte einschränkt.

Wie südkoreanische Medien letzte Woche zu berichten wussten, werden in Japan auch die Stimmen immer vernehmlicher, die eine atomare Bewaffnung des Inselreiches fordern. »Wenn Nordkorea sich nukleare Waffen verschafft, würde sich die Haltung Japans und unseres Landes zu Atomwaffen ändern«, prophezeite Kim Dae-jung. Beide Staaten haben sich zum Verzicht auf nukleare Waffen verpflichtet, doch der Atomwaffensperrvertrag enthält auch eine Rücktrittsklausel: »Jede Partei soll (…) das Recht haben, sich von dem Vertrag zurückzuziehen, wenn sie entscheidet, dass außerordentliche Ereignisse, die mit dem Gegenstand des Vertrages verbunden sind, die höchsten Interessen dieses Landes gefährden.« Südkorea stoppte sein militärisches Atomprogramm 1978 auf Druck der USA, Japan unterhält zahlreiche zivile Nuklearanlagen und ist technisch in der Lage, innerhalb weniger Monate Atombomben herzustellen. Die Krise dürfte das Wettrüsten in Nordostasien anheizen und könnte zu einer neuen Runde der nuklearen Proliferation führen.

In der südkoreanischen Öffentlichkeit folgt man dem Ganzen mit Unverständnis und wachsender Sorge. Immer mehr Menschen fordern die US-Administration auf, sich flexibler zu zeigen und endlich Nordkoreas Forderung nach Abschluss eines Nichtangriffspakts zu erfüllen. In den nächsten Wochen werden hier noch mehr Demonstrationen gegen die Politik der US-Regierung stattfinden.

»Das Problem muss endlich dauerhaft gelöst werden. Es kann nicht angehen, dass die Bevölkerung auf der Halbinsel in regelmäßigen Abständen in Angst und Schrecken versetzt wird«, so Joh Ji-yeong, Akivistin der linken Demokratischen Arbeiterpartei. »Existiert erst einmal ein Nichtaggressionsabkommen zwischen dem Norden und den USA, ist auch die Präsenz der US-Streitkräfte im Süden überflüssig, und wir können uns endlich den Aufgaben einer zukünftigen Wiedervereinigung der beiden Landesteile widmen«, fügt sie hinzu. Dass dies auch von vielen anderen so gesehen wird, zeigte die Anti-Kriegsdemonstration am vorletzten Wochenende. Forderungen nach einem Nichtangriffspakt zwischen den USA und Nordkorea dominierten diese Manifestation.