Die Typen aus dem Schulaufsatz

Die Fernseh-Doku »Was war links?« ist 68er-lastig, lustig und ein Grund, revolutionär drauf zu kommen. von andreas hartmann

So, wie ich in den Neunzigern angefangen habe, konkret zu lesen, habe ich nach dem Abitur aus Protest gegen die linken Lehrer an meiner Schule erst einmal zehn Bände Ernst Jünger gelesen. Auch das war linkes Handeln, denn ich dachte mir, Erika Runges ›Bottroper Protokolle‹ alleine können es wohl nicht sein.«

Nein, dieses Zitat findet sich leider an keiner Stelle des Fernseh-Vierteilers »Was war links?«, der bereits auf B1 und SWR läuft und im April komplett auf 3Sat wiederholt wird. Vielmehr bekennt sich der Sänger der Band FSK und Schriftsteller, Thomas Meinecke, in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Literaturen zu dieser, wie er es nennt, »hakenschlagenden, partisanischen« Haltung. »Was tun? Revolution und Utopie – Neues von der Zukunft« lautet der Themenschwerpunkt der März-Ausgabe von Literaturen.

101 Jahre nach Lenins Streitschrift »Was tun?« möchte man dazu beitragen, einem »Mangel an utopischem Denken abzuhelfen«. Deshalb besucht man Antonio Negri in Rom, um nochmals dem Potenzial einer Theorie der Multitude in »Empire« nachzuschürfen, fragt den linken Historiker Eric Hobsbawm, warum er um Gottes willen trotz Stalinismus und dem Ende der DDR immer noch Kommunist ist, und widmet sich im Besprechungsteil aktuellen Publikationen, die im Zusammenhang neuer linker Protestbewegungen verfasst wurden.

Man will also in der von Sigrid Löffler herausgegeben Zeitschrift einen Blick nach vorne wagen und die Zukunftsfähigkeit der Neuen Linken untersuchen, man versucht es wenigstens. Währenddessen die Fernsehdoku mit dem Titel »Was war links?«, schon allein um das selbstgestellte Thema nicht zu verfehlen, nur im Damals, in einer vergangenen Zeit herumstochern kann. Märchenstunde also: Es war einmal …

So beschränkt sich der Vierteiler dann auch auf die Sechziger und Siebziger, die glory days, danach war links anscheinend nichts mehr. Es geht also, mal wieder und zum tausendsten Mal um die Achtundsechziger – fast ausschließlich um die in Deutschland – und darum, wie dufte bei denen alles war mit ihren Teach-Ins, den Vorlesungen bei Marcuse persönlich und der Marx-Lesegruppe, bei der Cola trinken verboten war.

»Was war links?« wird im Titel gefragt. Also hätte man auch erwarten können, dass wirklich Fragen gestellt werden, Widersprüche auftauchen, unterschiedlichste Spuren von den Haschrebellen bis hin zu einer Popkommune wie Amon Düül verfolgt werden. Aber nichts dergleichen. Das Bild von dem, was so toll links war, ist homogen, und neben Dutschke, Klassenkampf und RAF ist da nicht mehr viel Platz für randständige linke Theorien und Gruppierungen, für Tortenschmeißkommandos oder Drogencombos wie die Kosmischen Kuriere, also für Phänomene, über die man vielleicht noch nicht in der neunten Klasse seine Geschichtsklausuren geschrieben hat.

Unterteilt ist die Fernsehdokumentation in vier Blöcke, »Protest und Theorie«, »Dutschke und Konsorten«, »Lärm und Gewalt« und »Kunst und Klassenkampf«. Ein Grundübel – der rote Faden des Grauens – ist zudem der Sprecher Thomas Thieme, dessen ironisch-provokanter Tonfall nicht zum Aushalten ist. Für eine Revolution gibt es nun den Grund mehr, dass Thieme danach unbedingt für seine furchtbare Kommentierung von »Was war links?« zur Rechenschaft gezogen werden muss.

Äußerst bizarr ist, dass gleich im ersten Block »Protest und Theorie« ausgerechnet der für seine stets begnadete und immer treffsichere Einschätzung weltberühmte Ernst Nolte die Linke als historische Bewegung charakterisieren und ein wenig mit Marx’ Begriff des »Urkommunismus« herumjonglieren darf. Da hätte man auch den Papst oder Edmund Stoiber um eine Stellungnahme bitten können. Fast noch besser wird es dann, wenn jemand wie Bernd Rabehl als »Apo-Aktivist, heute Soziologe an der Freien Universität Berlin« eingeführt wird und in seinem Steckbrief einfach weggelassen wird: »heute Deutschnationaler, nicht mehr zurechnungsfähig«. Dasselbe gilt natürlich auch für Horst Mahler, der »heute NPD-Anwalt« ist, und nicht etwa zusätzlich noch »Neonazi und Antisemit«.

Beinahe drei Jahre hat Filmemacher Andreas Christoph Schmidt für seinen Film gebraucht. Was ihm dabei inhaltlich misslungen ist, hat wenigstens formale Stärken. Das historische Material ist von hohem Unterhaltungswert, etwa die Szene, in der Max Horkheimer seiner Frau in furchtbarem Englisch einen Comicstrip vorliest und ihr dazu noch den philosophischen Gehalt des Bilderwitzes erläutert. Oder wenn im vierten Teil »Kunst und Klassenkampf« der Arbeiterschriftsteller Max von der Grün tapfer durchs Ruhrgebiet stapft und den Gestank der Fabrikschlote genießt, weil das so halt so richtig arbeiterklassenmäßig ist. Überhaupt ist der vierte und letzte Block der unterhaltsamste. Auch wenn hier eigentlich alles fehlt, was in so einem Kapitel nicht fehlen sollte – Beuys, Happenings, Fluxus –, und Martin Walser viel zu viel Raum eingeräumt wird, sein Geschwätz von damals als Geschwätz von damals einzuschätzen. Dennoch ist es ziemlich lustig zu sehen, wie sich Intellektuelle um Solidarisierung mit den Arbeitern bemühten und sich für sozialen Realismus und ähnlichen Quatsch einsetzten.

Ein Trauerspiel für sich ist der Umgang mit Musik und Pop in dem Fernsehfilm. Das geht schon damit los, dass der Fusselbart-Hippie Mike Chapman dauernd sein weinerliches »Among the trees« seufzen darf. Der Song soll einem durch seinen Dauereinsatz deutlich machen: Taschentücher raus, liebe Linke, hier geht es ums Jammern. Schließlich hätte man ja auch ein weniger transusiges Stück von Jimi Hendrix, Jefferson Airplane oder »Anarchy in the UK« von den Sex Pistols als Erkennungsmelodie einsetzen können.

Klaus Theweleit sagt zwar an einer Stelle, zuerst wäre es damals um Popmusik gegangen und dann erst um Marx. Für den Kommentator wird Popmusik am Anfang des dritten Teils »Lärm und Gewalt« aber trotzdem zum Instrument der Unterdrückung, weil Pink Floyd und Rod Stewart dem falschen Bewusstsein so richtig viel nicht entgegenzusetzen wussten. Dass es deswegen ja auch bald Punk gab, eine radikale, anarchische Form von Linkssein, die Ende der Siebziger die 68er als Spießer ausmachte, davon kein Wort.

Und so ist zwar immer wieder von Vatermord die Rede, aber eben stets nur bezogen auf die 68er, die sich von ihren Eltern, die es im Deutschen Reich zu Ruhm und Ehre gebracht hatten, lösen mussten. Mit bewaffnetem Widerstand will eigentlich keiner der zu Wort kommenden etwas zu tun gehabt haben. SDS und Mao-Bibel ja, RAF und Schleyer-Mord nein, und da ist sie wieder, die homogene Linke von damals. Und wie glücklich sie sind, aus dem Nähkästchen plaudern zu dürfen, die alten Säcke, die sich wie Christian Semler unbedingt noch stilecht eine rollen oder wie Rüdiger Safranski an der Pfeife schmauchen müssen, weil sie so aufgeregt sind: Damals! Wie toll! Neidisch sollen da die Jungen werden, die ja bloß ihr »No Logo«, ihr Genua und ihren Technopapp und keine Internationale und keinen Glauben an die Weltrevolution mehr haben. Und so wird ganz am Schluss der Doku das »Kommunistische Manifest« herausgekramt und ganz genüsslich dessen berühmter erster Satz in einer revolutionären Tat vor der Kamera verfälscht. Fortan heißt es in Regisseur Andreas Christoph Schmidts persönlichem Marx-Büchlein: »Ein Gespenst geht um, nicht in Europa – das Gespenst des Kommunismus.«

Die letzte Folge von »Was war links?« am 26. Februar auf B1; 27. Februar auf SWR. Die gesamte Staffel wird ab dem 16. April auf 3Sat wiederholt.