Plastikvogel, flieg!

In der Türkei sind wenige für einen Irakkrieg. Aber man versucht, das Beste aus der Situation zu machen.

Ahmet Tezel strahlt die Zufriedenheit eines cleveren Geschäftsmannes aus, dem gerade eine besonders lukrative Idee gekommen ist. Sein kleiner Laden auf dem Istanbuler Basar ging lange Zeit nicht besonders gut, aber jetzt hat er einen genialen Einfall. Nach den großen Erdbeben 1999 hat er keine der bunten Plastikvögel mehr vertrieben, die auf Erschütterungen mit Flügelschlagen und wildem Gekreische reagieren. Diese Erdbebenvögel sollten ihre schlafenden Besitzer bei Beben wecken. Doch die Istanbuler verließen sich lieber auf ihre sieben Sinne als auf die Plastikschreihälse.

Jetzt hat Tezel allerdings gehört, dass die amerikanische Regierung ihren Bürgern empfiehlt, Wellensittiche für den Fall eines Giftgasangriffs oder -anschlags zu halten. Fällt der Piepmatz von der Stange, so gilt es, schnell die Gasmaske überzustreifen. »Agabey«, wendet sich der Händler an seinen Glücksbringer verkaufenden Nachbarn, »kannst du dir vorstellen, was für ein gutes Geschäft es wäre, die Erdbebenvögel in Giftgasmelder umzurüsten? Die könnte man glatt noch ins Ausland exportieren.« »Quatsch«, grinst der zurück, »Wellensittiche sind billiger als dein Plunder, die kauft dir kein Amerikaner ab. Und hier in der Türkei setzen unsere Schlaumeier lieber die Schwiegermutter als Giftgasmelder vor die Haustür.«

Beide lachen schallend, werden aber bald darauf ernst. Wer weiß schon, wie lange dieser elende Krieg dauern würde? Schon jetzt gehen die Geschäfte bedeutend schlechter als noch vor einigen Wochen. Die Leute geben weniger Geld aus, die Möglichkeit eines Krieges im Nachbarland lässt alle zunächst an die wirtschaftlichen Nachteile denken. Mit etwa 30 Milliarden Dollar gibt die Türkei die Verluste an, die aus der Golfkrise entstanden sind, denn der Irak war unter anderem der zweitgrößte Handelspartner.

Ein wenig übertreibt Ankara da sicherlich. Seit 1991 hat man unzählige Milliarden Dollar mit Schwarzmarkthandel und Ölschmuggel verdient. Aber das sind inoffizielle Geschäfte, die in keiner Bilanz auftauchen. »Das ist ohnehin Geld, das sich vor allem der Staat in die Tasche gesteckt hat«, maulen die Händler, und dass es bei den Verhandlungen mit den USA auch nur um Geld und nicht um Prinzipien gehe.

Das ist nicht ganz richtig. Natürlich versucht die türkische Regierung, möglichst viele wirtschaftliche Vorteile bei den Verhandlungen mit Washington herauszuholen. Daneben hat die neue Regierung das Problem, zwischen den Stühlen zu sitzen. Neben ihrem eigentlichen Wunsch, gute Beziehungen zu den Nachbarstaaten des Nahen Ostens zu halten, muss sie die traditionelle türkische Außenpolitik fortführen, mit der man sich innerhalb der Nato immer als treuer und potenter Partner präsentiert hat. Die Türkei unterhält trotz der desolaten wirtschaftlichen Lage immer noch das drittgrößte Heer innerhalb der Nato, durch die jahrelange Militarisierung des kurdischen Südostens eine kampfbereite Truppe. Entscheidungen werden zur Zeit wohl vor allem vom türkischen Generalstab getroffen. Die Gül-Erdogan-Regierung kann es sich nicht leisten, da auszuscheren.

Neben den Diskussionen um Wirtschaftshilfe wird hinter den Kulissen vor allem darüber diskutiert, was für eine Rolle die Türkei bei der geplanten Invasion und dem späteren Wiederaufbau des Irak spielen soll. Ankara spekuliert damit, seine bereits im Nordirak, im Gebiet der Demokratischen Partei Kurdistans, befindlichen Truppen auf 45 000 Mann aufzustocken. Das bringt natürlich die Kurden auf die Barrikaden. Jelal Talabani, Anführer der Patriotischen Union Kurdistans, drohte bereits im vergangenen Herbst, Kurdistan werde eine Grabstätte für das türkische Heer werden. Eine Äußerung, die er später dementierte, die ihm aber sicherlich aus dem Herzen sprach.

Die Regierung plant zudem, eine beratende politische Funktion in Bagdad einzunehmen. Das würde weder Araber, Kurden noch die im Irak lebenden Assyrer sehr freuen. Lediglich die Turkmenen-Front des von der Türkei seit Jahren protegierten Ahmet Aga wünscht eine starke Beteiligung des Landes, um die eigene Rolle in einem Irak ohne Saddam aufzuwerten. Bedenklich stimmt viele oppositionellen Gruppen im Irak, dass Ankara immer ausdrücklich betont, die Gebiete um die Erdölfelder Kerkuk und Mossul seien das eigentliche Siedlungsgebiet der Turkmenen, obwohl es das erklärte Ziel der Kurden ist, Kerkuk zu ihrer Provinzhauptstadt zu machen.

Die irakischen Oppositionsgruppen werden daher in dieser Woche zu einer Konferenz in Erbil zusammenkommen, um eine gemeinsame Linie zu finden. Das ist ihnen bislang nicht gelungen. Jeder Gruppe geht es vor allem um eigene Machtansprüche. Meldungen zufolge sollen auch schon 5 000 Kämpfer der Bedr-Truppe der irakischen Shia vom Iran in den Nordirak einmarschiert sein. Ihre politische Vertretung, der Hohe Rat für eine Umsetzung der islamischen Revolution im Irak (SCIRI), dementierte dies zwar. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass die Bedr-Truppe bereits an der iranischen Grenze in den Startlöchern sitzt, um sowohl den Kurden, den USA als auch der Türkei zu demonstrieren: Wir vertreten 60 Prozent der irakischen Bevölkerung und ohne uns läuft hier gar nichts. SCIRI signalisierte bereits, dass er notfalls auch gegen die Amerikaner kämpfen würde, falls diese tatsächlich ein Protektorat in Bagdad einzurichten gedenken.

In der Türkei blicken die Menschen sorgenvoll auf das Geschehen. Während amerikanische Frachter bereits täglich Kriegsmaschinerie an dem für den Zivilverkehr seit Monaten stillgelegten Hafen von Iskenderun abladen, wird tapfer protestiert. In den vergangenen Wochen entstanden unzählige Initiativen. So reiste Fatma Uensal Bostan, eine Mitbegründerin der Regierungspartei AKP, als »lebendes Schutzschild« mit einer Gruppe Gleichgesinnter nach Bagdad. Die »Soldatenmütter« protestieren gegen den Einsatz ihrer Kinder bei einer bevorstehenden Invasion und die Lehrergewerkschaft führt Warnstreiks durch. Die Hafenarbeiter wurden von Antikriegsgruppen aufgerufen, kein Militärgut zu verladen. Gleichzeitig ist sich fast jeder der Bedeutungslosigkeit der eigenen Aktionen bewusst. Nicht die Türkei wird darüber entscheiden können, ob dieser Krieg stattfindet oder nicht.

Auch auf dem Basar hängt ein Plakat gegen den Krieg. Es zeigt ein weinendes Kind und könnte alles Mögliche bedeuten: gegen Krieg, Atomkraft oder Kinderarbeit. Ahmet Tezel zuckt resigniert die Achseln. Er wird seine Erdbebenvögel im Depot lassen. Sie waren eine Fehlinvestition. Doch da er ein optimistischer Mensch ist, lacht er und sagt: »Was haben wir Glück, keinen so im Mittelpunkt stehenden Diktator zu haben.«