Werwolf im Schafspelz

Erst stand er den Sozialdemokraten nahe, dann wurde Hermann Löns zum völkischen Heidedichter. Führers Bettlektüre II. von axel klingenberg

Es gibt kaum eine Ortschaft in der Lüneburger Heide, die glaubt, ohne eine Hermann-Löns-Straße oder eine andere Ehrung Hermann Löns’ auskommen zu können. Auch heute noch gilt der 1866 in Westpreußen geborene Schriftsteller und Journalist als »der Dichter der Lüneburger Heide«. Das klingt harmlos, doch sowohl er als auch die anderen Heimatdichter seiner Zeit befanden sich in bedenklicher Nähe zu kulturpessimistischen und präfaschistischen Ideen. Der Übergang zur entstehenden Blut- und Bodenliteratur war fließend.

Als Student war Löns, der von seinen Eltern zum Medizinstudium gezwungen wurde, Mitglied einer schlagenden Verbindung. Als er wegen verspätet zurückgezahlter Schulden ausgeschlossen wurde, brach er sein Studium ab. Für kurze Zeit näherte er sich daraufhin der Sozialdemokratie und dem aufkommendem Naturalismus an.

In jener Zeit verfasste er recht erfolglose sozialistische und antimilitaristische Gedichte. Als er 1893 in Hannover als Journalist zu arbeiten begann, wandte er sich jedoch sehr schnell von derartigen Vorstellungen ab, denn, wie er selbstironisch vermerkte, »wenn man einen Anarchisten aus den bewegten Wellen des Proletariats in die ruhigen Verhältnisse des Kapitalismus bringt«, werde er »schon nach fünf Minuten (…) konservative Blüten treiben«.

Einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangte der gewordene Konservative Löns vor allem durch spöttische Glossen und Gedichte, die zumeist lokales Geschehen zum Thema hatten. Hinzu kamen populärwissenschaftliche Tier- und Jagdgeschichten wie in seinem Buch »Mümmelmann. Tiergeschichten aus der Heide«.

Aber Löns schrieb auch über politische Themen und setzte sich etwa für das preußische Dreiklassenwahlrecht und für die deutsche Flotten- und Kolonialpolitik ein. Mit der Veröffentlichung seines dritten Romans »Der Wehrwolf« feierte Löns schlagartig im gesamten deutschen Sprachraum Erfolge. In einem Brief an seinen Verleger Eugen Diederichs schrieb Löns, dass das Buch »ein urdeutsch aristokratischer Roman« sei, »aristokratisch im Rassensinne genommen«.

Gleich zu Beginn der Geschichte ist von »ein paar armseligen Wilden« die Rede, die von überlegenen Menschen mit »blanken Gesichtern und gelbem Haar« vertrieben werden. Nach einem kurzen historischen Abriss kommt die Erzählung im Dreißigjährigen Krieg an. Ein Dorf in der Lüneburger Heide wird mehrmals geplündert, als »Tatern« bezeichnete Sinti haben den Söldnern den Weg gewiesen.

Daraufhin bilden die Bauern einen Geheimbund, der die Bevölkerung schützen soll, indem Fremde, die sich dem Dorf nähern, kurzerhand erschlagen, erschossen oder aufgehängt werden. Die besagten »Tatern« sowie die durch ihre Physiognomie, durch ein »gelbes Gesicht«, und ihre Namen, etwa »Tonio« oder »Wladslaw«, als Ausländer kenntlich gemachten Soldaten, werden von den Bauern als »Ungeziefer«, »Läuse« und »Flöhe« bezeichnet. Das Töten dieser Personen sei richtig, argumentiert einer der Protagonisten, »denn erstens sind es keine richtigen Menschen, und außerdem, warum bleiben sie nicht, wo sie hingehören?«

In dem Buch vereinigen sich die bürgerlichen Ressentiments des Möchtegerndandy Löns mit dem provinziellen Rassismus des niedersächsischen Heimatdichters. In dem Roman dürfen nur besitzende Bauern Mitglied des Geheimbundes werden. Löns teilte seinem Verleger in einem Brief mit, dass »sich der ganze Roman um die Erhaltung des Eigenbesitzes dreht«.

In der Weimarer Republik genossen Löns’ Bücher Kultstatus in der völkischen und in der Jugendbewegung. Die Nationalsozialisten erkannten diese Beliebtheit, seine Bücher erlebten immer neue Auflagen, sogar noch kurz vor dem Ende des Krieges, als »Der Wehrwolf« noch einmal aufgelegt wurde, um als Propagandaschrift für die Terrororganisation Werwolf zu dienen. Der größte Teil der Auflage des Buches ging allerdings bei einem Angriff alliierter Bomberflugzeuge in Flammen auf. Ebenfalls der Propaganda diente das »Matrosenlied«, das im Radio unter dem Titel »Engellandlied« die Meldungen über versenkte Schiffe der Alliierten einleitete.

Löns starb 1914 im Krieg bei Loivre. Die Beisetzung seiner Gebeine, die erst 20 Jahre später gefunden wurden, fand am 2. August 1935 unter militärischen Ehren statt. Die Grabstätte in einem Wacholderhain in der Nähe von Walsrode, einer von 150 Hermann-Löns-Gedenkstätten in Deutschland, soll immer noch jährlich von 250 000 Menschen besucht werden.

Große Erfolge waren auch die so genannten Löns-Filme, die beide mit »Grün ist die Heide« betitelt waren. Sowohl das Original aus den dreißiger Jahren als auch das Remake von 1951 haben jedoch mit den Werken von Hermann Löns kaum etwas zu tun. Allerdings wurden die Filme durch seine Lieder und Balladen sehr populär, wie etwa das oft fälschlich für ein Volkslied gehaltene »Auf der Lüneburger Heide«.

Bis ins Jahr 1959 sahen 19 Millionen Menschen die zweite Verfilmung im Kino, die Erstausstrahlung im Fernsehen 1980 verfolgten rund 15 Millionen Zuschauer. Die Gesamtauflage der gedruckten Bücher Löns liegt mittlerweile bei über zehn Millionen Exemplaren. Und noch immer werden viele seiner Bücher verlegt, der »Mümmelmann« genauso wie »Der Wehrwolf«.

Eine gewisse Reputation genießt Löns auch als ein früher Förderer des Umweltschutzes. So setzte er sich für die Gründung eines Naturschutzparks in der Lüneburger Heide ein, ein Ziel, das 1911 verwirklicht wurde. Naturschutz sei, so schrieb Löns, »ein Kampf für die Gesunderhaltung des gesamten Volkes, ein Kampf für die Kraft der Nation, für das Gedeihen der Rasse«. Hier schließt sich der Kreis, denn auch seine Verherrlichung der Bauern sollte am Ende nur der Nation dienen: »Der Bauer ist das Volk, ist der Kulturträger, ist der Rasseerhalter.«

Derzeit plant die »Hermann-Löns-Stadt« Walsrode, ein weiteres Denkmal für den Dichter zu errichten. 137 000 Euro soll das lebensgroße Standbild kosten.