»Schneller Krieg, Ölpreis sinkt«

Frank Lehmann

Märkte ächzen. Kurse rumpeln. Der Dax purzelt. Der Dow Jones jauchzt. Eine Aktie kriegt den Hintern nicht hoch, eine andere geht ab wie die Feuerwehr. – Ökonomie ist lustig. Jedenfalls wenn Frank Lehmann dem staunenden Publikum vom Tag an der Frankfurter Börse erzählt und man selbst nicht auf die falschen Werte gesetzt hat. Lehmanns Berichte sind eine Mischung aus Börsenticker, Blauem Bock und Sportschau. Er leitet die Wirtschaftsredaktion des Hessischen Rundfunks und die Programmabteilung Börse der ARD.

Deniz Yücel fragte ihn, wie es nach dem Krieg mit der Wirtschaft weitergeht.

Folgt auf den Krieg ein Aufschwung der Konjunktur?

Wenn der Krieg ein schnelles Ende findet, wird es zu einem Aufschwung kommen, auch wenn keiner weiß, in welchem Umfang. Wichtig ist, dass der Ölpreis, der zuletzt auf deutlich über 30 Dollar pro Fass gestiegen war, sich annähernd bei seinem jetzigen Stand von 24, 25 Dollar stabilisiert. Der Ölpreis ist eine wesentliche Stütze.

Deswegen sind die Amerikaner im Irak?

Das Motiv ist klar. Herr Bush muss schnell die Lage befrieden. Noch wissen wir nicht, ob es doch zu Terroranschlägen in der Welt kommt oder Ussama bin Laden wieder Unsinn macht. Dann wird es an den Börsen einen Knall nach unten geben. Momentan geht man jedoch davon aus, dass der Plan X aufgeht, also: schneller Krieg, Ölpreis sinkt, Konjunkturerholung.

Könnte es nicht andersrum laufen? Nämlich, dass sich die Aufmerksamkeit wieder den Konjunkturdaten widmet, die ja in den USA wie in Deutschland schlecht aussehen.

Diese Unsicherheit ist in den Märkten. Volkswirtschaftler und Prognostiker gucken alle mit großen Augen wie das Karnickel auf die Schlange und warten, das was passiert. Wenn der Krieg gewonnen ist, treten sofort knallhart die ökonomischen Daten wieder in den Vordergrund. Dann wird man checken: Freunde, was machen wir? Kommen die Verbraucher aus der Reserve?

Die Gefahr ist weiterhin gegeben, dass die Wirtschaft, ausgehend von den USA, in eine Rezession dümpelt. Denn die amerikanische Industrie ist nur zu 75 Prozent ausgelastet. In den Boomjahren hat jede Branche gewaltig investiert, jetzt wartet jeder ab. Aber Investitionen sind entscheidend für Arbeitsplätze, Konsum und Unternehmensgewinne. Bei diesem Kreislauf sehe ich ein dickes Fragezeichen. Alle gucken nach Amerika, auf den größten Importeur der Welt.

Dort ist man derzeit auf Deutschland weniger gut zu sprechen. Werden die Verstimmungen zwischen Berlin und Washington den deutschen Export nachhaltig belasten?

Die amerikanische Verschuldung ist so gigantisch wie noch nie in den letzten 50 Jahren. Bush hat ein gigantisches Steuersenkungsprogramm in die Welt gesetzt, zu dem selbst ihm freundlich gesonnene Ökonomen sagen: Das ist für die Katz! Hinzu kommt das immense Leistungsbilanzdefizit von 500 Milliarden Dollar. Amerika braucht pro Tag zwischen 1,5 und zwei Milliarden Dollar Zufluss, echtes Geld.

Was passiert, wenn Bush dazu aufruft, deutsche Autos und französischen Weichkäse zu boykottieren? Die vielen europäischen Großanleger werden sagen: Dann leck uns, wir ziehen unser Geld zurück! Wenn Bush einen soliden Haushalt hätte und die amerikanische Wirtschaft im Lot wäre, könnte er sich jeden Schabernack ausdenken, um die Herren Schröder und Chirac zu ärgern. Aber so? Vergessen Sie es!

Der Boykott deutscher Waren fällt aus?

So was geht in der total vernetzten und globalisierten Wirtschaftswelt nicht mehr. Die amerikanischen Arbeitnehmer, die bei deutschen Niederlassungen in den USA beschäftigt sind, würden Bush was husten, wenn der was gegen Aventis oder Bayer unternähme. Mitten in der jetzigen Phase kauft Procter & Gamble die Darmstädter Wella. Geschäft ist Geschäft, Politik ist Politik. Das ist höchstens eine kurzfristige Stimmung. Mary und John kaufen vielleicht ein paar Tage keinen Camembert, dann kehren sie zur Normalität zurück, weil der französische Käse besser schmeckt als das amerikanische Cheese-Zeug.

Aber im Irak werden die deutschen Firmen nicht ins Geschäft kommen.

Diese Kartoffel haben sie geschluckt, das ist der Erfolg oder Nicht-Erfolg von Herrn Schröder. Entscheidend ist, dass künftig die Uno da unten mehr zu sagen hat als Herr Bush. Wenn der alleine marschiert, werden die Muslime ankommen und im Irak den Amerikanern das Leben zur Hölle machen. Also muss er die Uno wieder ins Boot holen. Uns wird man an humanitären Dingen beteiligen. Vielleicht gibt es Folgeaufträge, wenn die Uno mehr zu sagen hat. Aber Aufbauprogramme und das Ölgeschäft werden erst mal amerikanische Firmen übernehmen. Die Amerikaner sind politisch und wirtschaftlich viel vernetzter, als wir uns das vorstellen. Freier Kapitalismus? Denkste! Da haben wir in Deutschland einen viel freieren Kapitalismus.

Ist es nicht verständlich, wenn die Amerikaner sagen: Uns hat der Krieg 70 Milliarden Dollar gekostet, nun sollen unsere Firmen die Aufträge bekommen?

Na klar, da brauchen wir gar nicht zu meckern. Das ist der Preis, den wir für unsere politische Haltung zahlen.

Ihre Karriere als Fernsehstar ist verbunden mit dem Börsenboom der späten neunziger Jahre. Viele Kleinanleger sind vom Sparbuch zur Aktie gewechselt und haben letztlich eine Menge Geld verloren. Wie beurteilen Sie rückblickend die Rolle der Medien?

Wir haben diese Blase mit verstärkt, das muss ich selbstkritisch sagen. Wir haben uns die Internet- und Softwareunternehmen, die stapelweise an die Börse kamen – wir hatten ja drei bis vier Neuemissionen pro Tag …

… so viele wie in ganz Europa im ersten Quartal 2003 …

… gar nicht alle angucken können. Wir haben den Banken oder den so genannten Betreuern vertraut. Inzwischen hat die Banklandschaft selbstkritisch eingeräumt: Ja, wir konnten die gar nicht so genau prüfen. Wir sind mit Anfragen überhäuft worden und haben alle angenommen, weil wir Provision kassiert haben.

Die Banken haben die Kleinanleger teilweise in solche Werte reingetrieben. Umgekehrt gab es Aktionäre, die gesagt haben: Welche Firma ist mir egal, Hauptsache ich komme in die Zuteilung.

Die Berater waren zum Teil bescheiden qualifiziert. Ich habe solche Typen getroffen. Einige waren Anfang 20 und kamen mit: Wir haben Einblick in die Internetbranche. Und wir konnten das teilweise technologisch nicht abschätzen, das waren chinesische Dörfer. Wir haben diese Leute vor die Mikrofone geholt. Drei Monate später waren die Firmen, die sie positiv analysiert hatten, pleite. Als Journalist stehst du dann natürlich blöd da.

Nicht nur junge Leute erweckten damals den Eindruck, die Börse sei ein Spiel, bei dem alle immer gewinnen.

Sicher hatten die Medien Anteil am Gier-frisst-Hirn-Spiel. Wir haben zwar ab und zu Warnsignale abgegeben, aber die skeptischen Stimmen sind untergegangen. Jetzt haben wir den Salat. Das Vertrauen in die Aktie als solche ist so kaputt, dass man große Mühe hat, sie den Leuten schmackhaft zu machen. Aber ich halte sie nach wie vor für ein wichtiges Finanzierungsinstrument, auch für die Altersvorsorge.

Die haben so manche, gerade in den USA, an der Börse verzockt. Haben Sie zu hören bekommen: Wegen Lehmann habe ich EM.TV-Aktien gekauft, der ist daran Schuld, dass ich mit nichts dastehe?

Nein, mich hat nie jemand persönlich angemacht, weil die Leute wissen, dass wir vom öffentlich-rechtlichen keine Tipps gegeben haben. Was manche sagen, ist: Scheiße, ich wusste nicht, dass die Börse ein Kasino ist. Einige meinen: Ich habe mit Spaß Aktien gekauft, jetzt will ich mit Spaß beim Untergang dabei sein. Einer klopft mir lachend auf die Schulter und sagt: Ich guck mir entweder Horrorfilme an oder Börse im Ersten mit Lehmann.