Weich wie Gummi

Seit über 16 Monaten befinden sich die mexikanischen Arbeiter eines Tochterwerkes des deutschen Konzerns Continental im Ausstand. Das könnte sich bald ändern. von knut henkel

Das eigentliche Ziel der Reise nach Deutschland haben wir bereits erreicht«, sagt Jesús Torres Nuño erleichtert. Der Generalssekretär der SNRTE, der Gewerkschaft des mexikanischen Tochterunternehmens der Firma Continental, Compañia Hulera Euzkadi de Mexico, ist zufrieden, weil der Vorstandsvorsitzende von Continental, Manfred Wennemer, die Wiederaufnahme der Verhandlungen zugesagt hat. »Wir brauchen eine schnelle Lösung, und auch der Konzern steht unter Druck, den Arbeitsstreit beizulegen«, so der Gewerkschafter.

Den Druck auf den Reifenkonzern hat die kleine unabhängige Gewerkschaft mit der Unterstützung der Menschenrechtsorganisationen Fian und Germanwatch aufgebaut. Nicht allein die seit 16 Monaten währende Blockade des Werkes, aus dem keine Maschine abtransportiert werden konnte, sondern auch die Präsenz der Gewerkschafter auf bisher zwei Aktionärsversammlungen und die damit einhergehende Berichterstattung der Medien haben ihre Wirkung gezeitigt.

Und Torres sowie seine sechs Kollegen, die seit dem 20. Mai in Deutschland als Delegation der SNRTE unterwegs sind, legten gleich nach. Drei Tage nach der Aktionärsversammlung präsentierten sie in der Konzernzentrale in Hannover drei Vorschläge für die Verhandlungen, die in Mexiko stattfinden sollen. Die obersten Ziele sind die Wiedereröffnung des am 17. Dezember 2001 geschlossenen Werkes und die Wiedereinstellung der Arbeiter (Jungle World, 36/02).

Diese Möglichkeit hat Wennemer zwar schon auf der Aktionärsversammlung in Hannover kategorisch ausgeschlossen, aber Torres sieht keinen Grund, von den Forderungen abzurücken. »Wir wollen unsere Arbeit wieder aufnehmen, entweder unter der Regie des Continental-Konzerns oder eines anderen Arbeitgebers.« Torres spricht für die rund 700 in der SNRTE organisierten Arbeiter, die seit der Schließung des Werkes in El Salto im Bundesstaat Jalisco auf der Straße sitzen.

»Nur wenn es gar nicht anders geht, würden wir das Werk in Eigenregie übernehmen oder einem Verkauf der Produktionsstätte an Dritte, die die Arbeiter wieder einstellen, zustimmen«, sagt er. Erst als dritte Option käme die Zahlung einer Abfindung und der ausstehenden Löhne an die 700 Arbeiter in Frage, die sich bisher weigerten, eine Abfindung von Continental zu akzeptieren.

Die Entbehrungen, die die Arbeiter in den letzten 17 Monaten auf sich genommen haben, sind beträchtlich. Frauen, aber auch Kinder verdienen als Straßenverkäufer dazu, Brüder und Schwestern, Onkel und Tanten unterstützen die Familien. »Nur durch die Solidarität innerhalb der Familien und die Unterstützung anderer Gewerkschaften war es möglich, den Streik aufrechtzuerhalten«, sagt Manuel Gamboa Hernández, der ebenfalls der Delegation aus El Salto angehört.

Die Belegschaft des Getränkeherstellers Pascuales spendet wöchentlich, und die nationale Pilotenvereinigung stellte drei Tickets bereit, damit die Gewerkschafter nach Deutschland reisen konnten. Sie alle hoffen auf eine schnelle Einigung. Und die ist mittlerweile in Sicht, weil sich sowohl die deutsche Regierung als auch die mexikanische in den Fall einschalteten.

Die Grundlage dafür sind die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die zwar rechtlich nicht verbindlich sind, aber sowohl von Mexiko als auch von Deutschland unterzeichnet wurden. Dadurch verpflichteten sich beide Länder, nationale Kontaktstellen zur Verbreitung des Verhaltenskodex, der sich auf die Menschenrechte und die so genannten ILO-Kernarbeitsnormen bezieht, einzurichten und Beschwerden entgegenzunehmen, wenn ein Unternehmen gegen diese Leitsätze verstößt.

In Deutschland ist die Kontaktstelle nach einer Beschwerde von Germanwatch mittlerweile aktiv geworden und lud jüngst Gewerkschafts- und Unternehmensvertreter zu einer Anhörung ins Wirtschaftsministerium ein. »Die Initiative des Ministeriums zeigt, dass die Regierung Mitverantwortung für deutsche Unternehmen im Ausland trägt«, sagt Martin Wolpold-Bosien von Fian. Für ihn ist der OECD-Verhaltenskodex ein neues Instrument in strittigen Menschen- und Arbeitsrechtsfragen, das nun erstmals angewendet wird.

Positiv wird die Einladung auch von der SNRTE bewertet, da Regierungsvertreter beider Länder zugegen waren. Für Mexiko nahm der Botschafter in Deutschland teil, wodurch das Treffen zusätzliches Gewicht erhielt, meint Torres. Er hofft, dass nun auch die mexikanische Kontaktstelle sich des Falles annehmen wird. »Die mexikanische Continental-Tochter hat das nationale Arbeitsgesetz verletzt, sich nicht an die Bestimmungen gehalten, und wir sind sicher, dass die Gerichte uns Recht geben werden«, sagt er.

Ein Gutachten des renommierten mexikanischen Arbeitsrechtlers Alfonso Bouzas Ortíz stützt die Position der Gewerkschaft und könnte den Konzern teuer zu stehen kommen. Es kommt zu dem Schluss, dass der Konzern sich nicht an die mexikanischen Gesetze gehalten hat und die Schließung des Werkes in El Salto illegal ist. Demzufolge wäre auch die Entlassung der 1 164 Beschäftigten nicht rechtskräftig, ihr Streik legal und der Anspruch auf Weiterbeschäftigung und Lohnnachzahlung berechtigt.

Das sieht Heimo Prokop, der Pressesprecher von Continental anders. »Wir respektieren das Gesetz und überlassen die rechtliche Klärung den zuständigen Stellen«, sagte er im Anschluss an die Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium. Zum vorliegenden Gutachten wollte er sich nicht äußern, bekräftigte jedoch die Verhandlungsbereitschaft des Unternehmens. Bereits in der kommenden Woche soll die SNRTE eine Antwort auf ihre Verhandlungsvorschläge erhalten.

Es wird wahrscheinlich wieder verhandelt werden, und das zeigt, dass Continental in der Defensive ist. Dem Image des Konzerns sind die Auftritte der Gewerkschafter sicher nicht förderlich. Und die unbequeme Frage, weshalb ein Werk, das erst 1998 übernommen wurde, und das nach Angaben der Gewerkschaft das modernste und produktivste des Landes war, plötzlich geschlossen wurde, steht auch noch im Raum.

Für die SNRTE ist diese Frage einfach zu beantworten. »Unternehmensvertreter haben wiederholt gesagt, dass das eigentliche Problem die Gewerkschaft ist und nicht die Produktivität«, so Torres, der auch ein Bestechungsangebot über eine Million Dollar erhalten haben will, das er ausschlug. »Wir geben nicht einfach auf, lassen uns nicht korrumpieren. Das Image unseres Arbeitgebers spielt dabei keine Rolle.«